Es gibt mehrere Gründe, warum es noch keine Corona-Aufarbeitung geben kann. Natürlich wäre sie dringend notwendig, weil beide Lager auch immer heftiger aneinander geraten. Es steht aber für beide Seiten viel auf dem Spiel und sie müssten die grössten Irrläufer (was Journalisten einschließt) in ihren Reihen in den Griff kriegen, ehe sie anderen begegnen (und das nächste Parlament wählen). Auch wenn wir es unabhängig vom Anlass betrachteten, begann bei der Verkündung des ersten Lockdowns im März 2020 ein automatischer Prozess abzulaufen, und zwar auf beiden Seiten, die sich damals bildeten. Dabei waren viele Menschen zunächst geneigt, dem Narrativ zu glauben, das allgegenwärtig war. Später gab es Punkte, an denen sie sich getäuscht fühlten und die der Ausgangspunkt für neue Betrachtungen waren. Es war auch andersrum möglich, ist jedoch weit weniger präsent, weil vor allem diejenigen laut sind, die zuerst bei Corona an Bord waren und dann nicht mehr.
In einem Artikel zu den Auftritten von Rammstein in Wien verwies ich auf eine Analyse, die das Muster von Verlustschmerz und Selbstverleugnung beschreibt. Wir investieren etwas in eine Sache, was Geld ebenso meint wie Zeit und Emotionen. Je mehr je länger in etwas geflossen ist, desto schwieriger ist es, davon abzulassen, eine andere Perspektive zu bekommen; es muss sich ja lohnen, es wert sein. Auch wenn wir bei etwas Recht haben und alles tun, um dies immer wieder zu überprüfen, bleibt ein Anteil von „es muss sich lohnen, es muss den Aufwand wert sein“ und macht uns subjektiv. Korrektive sind dann angebracht, doch nicht von ungefähr wurde bei Corona nicht nur auf Spaltung, sondern auch auf Isolation gesetzt. Selbstverleugnung bezieht sich auf das Gruppengefühl, das verlorengeht, wenn wir den Verlustschmerz überwinden wollen. Lieber zu etwas gehören, als etwas Abweichendes zu sagen, als jemanden kritisch sehen, dem andere zujubeln.
Corona-Aufarbeitung? Die Fronten sind noch starr! weiterlesen