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Putin, Prigoschin und GRU: Das grössere Bild



Gewissheit über den Tod von Jewgenij Prigoschin und Dmitri Utkin, über den tatsächlichen Hintergrund bringt denen wenig, die sich vor Wladimir Putins Methoden fürchten. Das gilt auch dann, wenn andere Verdächtige verantwortlich sind oder wenn der Flugzeugabsturz technische Ursachen hatte. Andreas Unterberger meint, dass die Botschaft jetzt deutlich ist: Niemand ist mehr sicher. Da er Putin-Opfer unvollständig aufzählt, meint er, es hätte bis 2022 „nur“ deklarierte Gegner des Präsidenten getroffen. Wenn man genauer hinsieht, findet sich jedoch eine Blutspur auch über Menschen, die nicht direkt Gegner, aber aus dem einen oder anderen Grund unangenehm waren oder zuviel wussten. Jetzt gibt es ein Bewusstsein dafür, dass zunehmend Manager „verunglücken“, bei denen spärliche Berichte oft offenlassen, was denn der entscheidende Punkt war. Unterberger nennt als Anzeichen für zunehmende Gefahr, dass Leute, die es sich leisten können, Leibwächter beschäftigen und versuchen, sich und ihre Familien in den Westen in Sicherheit zu bringen.

Auch in unseren Breiten können sie jedoch von den Schergen des Kreml getötet werden; Michail Chodorkowski sagte in einem Interview, dass sich in Wien wohl einige Auftragskiller auf Abruf aufhalten. Es beruhigt wohl nicht, dass es beim Thema Prigoschin und nicht nur dabei zahlreiche Verbindungen nach Österreich gibt. Diese aufzuzeigen geht darüber hinaus, was meist mit Geheimdiensten assoziiert wird. Was wir erfahren – und das gilt auch für FSB und GRU – hat fast immer mit Pannen zu tun und nicht mit rundum erfolgreichen Operationen. Man kann stets aktuelles Geschehen mit sonst Üblichem vergleichen: Wladimir Putin kondolierte der Familie Prigoschins, war jedoch nicht anwesend bei der Beerdigung. Unter anderem in der Titelstory des „Spiegel“ wird darauf hingewiesen, dass unmittelbar nach dem Absturz am 23. August 2023 die Passagierliste veröffentlicht wurde; inzwischen gibt es auch DNA-Analysen. Wir können wohl nicht annehmen, dass es hierbei um Transparenz gegangen ist. Die Embraer Legacy 600 stammt vom nach Airbus und Boeing drittgrössten Flugzeugbauer der Welt, einem brasilianischen Konzern, der 2017 fast von Boeing übernommen worden wäre.

Karin Kneissl aus Russland

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Whistleblower, Aufdecker und Agenten

Unsere Vorstellungen von Whistleblowern, Aufdeckern und Agenten werden oft romantisch verklärt durch Filme und Berichte. Ab 25. August 2023 gilt in Österreich das neue Hinweisgeberschutzgesetz, das es Informanten etwas leichter machen und sie vom Nimbus des „Anpatzens“ befreien sollte. Aus diesem Anlass wurde am 23. August unter anderem mit Julian Hessenthaler im Museumsquartier diskutiert, der als „Ibiza-Detektiv“ bekannt wurde. Freilich ist es etwas anderes, spannend und aufregend zu finden, was andere erlebt haben, aber selbst kein Risiko einzugehen und nichts auf sich zu nehmen. Es gibt natürlich Parallelen zur realen wie fiktiven Darstellung und zu guten Thrillern, die Wert auf Faktenreichtum und eine psychologische Komponente legen. Nicht zu unterschätzen ist, dass manche Leute Fans um sich scharen, indem sie sich mit Attentaten befassen, die schon Jahre zurückliegen. Natürlich bieten seriöse Recherchen interessante Ansatzpunkte, wenn es um Kontinuitäten bei Personen, Institutionen und Einstellungen geht.

Dass man in einer aktuellen Situation leicht vorschnell urteilt, zeigen die Einschätzungen vieler Kommentatoren von Jewgenj Prigoschins Meuterei vor knapp zwei Monaten (ich konzentrierte mich eher darauf, Fakten zu Prigoschin und PMC Wagner zusammenzutragen). Angesichts des Absturzes einer Embraer Legacy 600 auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg mit Prigoschin, PMC Wagner-Gründer Dmitri Utkin, Prigoschins Bodyguards und anderen an Bord werden manche einiges neu bewerten müssen. Es kursiert ein Video mit einem senkrecht abstürzenden Flugzeug und es ist davon die Rede, dass das Seitenleitwerk oder eine Tragfläche abgerissen sein soll, was aus der Sicht von Wagner für russische Luftabwehr spricht; man sagt, dass Prigoschin auf der Passagierliste war, dessen Wikipedia-Eintrag bereits aktualisiert ist.

Am 23. August im Museumquartier

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Wer ist Jewgeni Prigoschin?

Es geht kaum simpler und klischeehafter: Dem bösen Wladimir Putin steht der jetzt nicht mehr so böse Jewgeni Prigoschin gegenüber. So genau weiss man nicht, was passiert ist und wie es jetzt weitergeht; Prigoschin sagt, er wollte Wagner-Leute vor der Eingliederung in reguläre Truppen bewahren. Dabei kann man Prigoschin durchaus wie andere Oligarchen behandeln, es kommt halt bei den üblich komplexen Geschäften noch das mit der Gruppe Wagner hinzu. Man findet mit Leichtigkeit auch höchst detailreiche Infos, die umfangreicher sind als die meisten meiner Artikel. Medien verkürzen gerne die Geschichte von Wagner und tun so, aus sei die Söldnertruppe eine Gründung Prigoschins gewesen. Die Idee hatte aber der russische Generalstab nach einem Vortrag am Wirtschaftsforum in St. Petersburg 2010. Danach kämpfte ein Slawisches Korps in Syrien, dem Dmitri Utkin angehörte, dessen Kampfname Wagner war. Aus Resten dieses Korps wurde dann die Gruppe Wagner gebildet, Utkin war bis 2013 beim Militärgeheimdienst GRU und zwar bei der Speznaz (Spezialeinheiten). Manche betrachten Utkin als Neonazi, er soll einschlägige Tattoos aufweisen; andere bezeichnen ihn als slawischen Neopaganen wie viele andere bei Wagner.

Natürlich spielte Wagner eine Rolle in der Ukraine ab 2014; auch Utkin mischte mit und wurde dafür 2016 im Kreml mit einem Tapferkeitsorden ausgezeichnet (auch interessant, welche österreichischen Manager und Politiker damals den russischen Orden der Freundschaft erhielten). Dass Utkin bei dieser Gelegenheit mit Wladimir Putin fotografiert wurde, bedeutete Erklärungsbedarf für Kreml-Sprecher Dmitri Peskov. Man brachte Utkin 2017 bei Prigoschins Firma Concord Management and Consulting als CEO unter, deren Töchter Concord Catering und LLC Megaline sind. 2020 wurde jedoch berichtet, dass Utkin nicht mehr an sein Handy geht und aufgehört hatte, von Krasnodar nach St. Petersburg zu reisen. Prigoschin soll das Führen einer Söldnertruppe zu riskant erschienen sein, doch schliesslich war er dazu bereit. Bis zum September 2022, als Wagner eine repräsentative Zentrale in St. Petersburg eröffnete, leugnete er aber, der Chef von Wagner zu sein und klagte Medien, die das behaupteten. Wagner erinnert an die Fremdenlegion, da Einsätze in enger Abstimmung mit dem Staat und in seinem Auftrag erfolgen; Wagner ist an die GRU angebunden und operiert auch verdeckt und betreibt hybride Kriegsführung (siehe Gerassinow-Doktrin). Zugleich werden aber die Verhältnisse über Prigoschins Firmen verschleiert, die zunächst im Bereich Gastronomie entstanden sind. Es gibt auch noch Concord Catering; bei Management and Consulting fungierte von 2008 bis 2017 Mutter Violetta als Eigentümerin, danach sein Stiefvater Samuil Zharkoy, der 2022 verstorben sein soll. Violetta hält 50 % an LLC Megaline, einem Unternehmen, das in erster Linie von Bauaufträgen des Militärs profitiert und auch Fertigrationen für Soldaten anbietet. Im Februar 2014 wurde dem Verteidigungsministerium ein Vorschlag für eine Gesetzesänderung unterbreitet, um Megaline künftig bei Ausschreibungen zu berücksichtigen, der im April 2014 durch die Duma gewunken wurde. Der Sanktionen wegen wird nun betont, dass Violetta Prigoschina heute nicht mehr wirtschaftlich mit ihrem Sohn verbunden sei.

Medien im Putsch-Fieber

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