In Russland und hier: Im Schatten des Kreml

Um Spionage und verdeckte Einflussnahme zu verstehen, muss man sich mit Russland beschäftigen. Dabei sind auch Bücher hilfreich, wenn man weitere Recherchen anstellt oder bereits Assoziationen zu erwähnten Personen, Firmen und Ereignissen hat. Udo Lielischkies war für die ARD ab 1999 mit einer längeren Unterbrechung bis 2018 in Russland tätig und veröffentlichte das Buch „Im Schatten des Kreml“. Im Februar 2022 hielt er noch wie viele Militärexperten, wie er betont, einen russischen Angriff auf die gesamte Ukraine für unwahrscheinlich. Dies obwohl oder weil er über die Annexion der Krim und den Krieg im Donbass berichtet hatte, inzwischen russisch spricht und mit einer Russin verheiratet ist. Im Buch spricht er nicht nur von Geopolitik, Kleptokraten und Wladimir Putins „Machtvertikale“, er besucht auch Menschen in vergessenen Dörfern. Obwohl und weil sie zur Zeit der Sowjetunion Infrastruktur, eine gewisse Versorgung und Arbeit hatten, wählen sie Putin, fühlen sich nicht von ihm im Stich gelassen. Oft beuten mafiöse Organisationen in Kooperation mit korrupten Politikern der Putin-Partei „Einiges Russland“ Wälder und Ressourcen aus, stehlen sogar mühevoll eingebrachte Ernten. Hier muss man als Österreicher*in innehalten und an die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft und das Forum Österreich-Russland denken (Deutsche finden bei sich das gleiche Muster). Es geht nicht um „Freundschaft“ mit der russischen Bevölkerung, sondern dirigiert von der russischen Botschaft darum, fremde Interessen bei uns durchzusetzen. Jede Partei, viele Betriebe, auch Interessensvertretungen und Ministerien sind in solchen Organisationen präsent und so an der Leine Moskaus.

Lielischkies beschreibt auch das katastrophale Gesundheitssystem, dem immer weniger Personal zur Verfügung steht und das unter Korruption leidet. Dazu begab er sich in den Ural und drehte im Oblast Swerdlowsk, in dessen Hauptstadt Jekaterinburg es Generalkonsulate u.a. von Deutschland und Österreich gibt und wo 2018 vier Spiele der Fußball-WM stattfanden. Ludwig Scharinger, einst Chef der Raiffeisen-Landesbank Oberösterreich und danach deren Konsulent, hatte 2013 einen Unfall in Jekaterinburg. Er sei zur Jagd dort gewesen und fiel rücklings eine Stiege hinunter; weil die medizinische Versorgung vor Ort zu wünschen übrig liess, flog man ihn nach Linz aus; ein befreundeter Primar war mitgereist. Scharinger war von 2012 bis 2015 (nach Ex-Innenminister Ernst Strasser) Präsident der Österreichisch-russischen Freundschaftsgesellschaft, er gehörte den Aufsichtsräten von ÖBB und Asamer Bau an. Die ÖBB sind nach wie vor im Geschäft mit den russischen Staatsbahnen RZD, deren Chef bis 2015 Wladimir Jakunin vom KGB war. Asamer Bau spielte später bei der Wirecard-Affäre im Kontext von Jan Marsalek und Libyen eine Rolle; inzwischen ist die Strabag an Asamer beteiligt. Von diesem Unfall erholte sich Scharinger nicht mehr, hiess es nach seinem Tod 2019. Bei Scharinger muss man auch die Privatisierung der Bundeswohnungen mit Karl Heinz Grasser und bei der RLB OÖ Kredite für Signa sowie Verluste bei Wirecard und bei der Commerzialbank Mattersburg.

Udo Lielischkies 2014

Es ist ein glücklicher Zufall, dass es zahlreiche Videos mit Lielischkies auf YouTube gibt, auch aus der Zeit nach seiner Korrespondententätigkeit. Der Maidan und die Flucht von Viktor Janukowitsch kommen im Buch natürlich auch vor. Janukowitschs geschmacklosen „Palast“ sehen wir in einer Doku über Geldwäsche; für uns ist der Putin-treue Präsident auch deswegen interesant, weil Alfred Gusenbauer für ihn um 700.000 € lobbyierte. Mitnichten wollen Gusenbauer und andere Kleptokraten / Autokraten „Demokratie beibringen“, was meist ihre Rechtfertigung ist, sie wollen sich schlicht mit bereichern. Der Familienanwalt des damaligen ukrainischen Premiers Mykola Azarov ist Gusenbauers Geschäftspartner Leo Specht; gegen Sanktionen der EU vertrat ihn ein anderer Gusenbauer-Partner, der Anwalt der russischen Botschaft Gabriel Lansky. Die Söldner von PMC Redut (Gründung der GRU, finanziert von Gazprom und Oleg Deripaska) sollten zu Beginn des Krieges 2022 Wolodymyr Selenskij töten, den Azarov ersetzen sollte. Lielischkies erlebte den Wechsel von Boris Jelzin zu Wladimir Putin in Moskau; Jelzin wird von ihm als krank und oft alkoholisiert beschrieben. Jelzins Tochter Tatjana (geboren übrigens in Jekaterinburg) und der Leiter der Präsidialverwaltung Walentin Jumaschew waren damals von grosser Bedeutung auch bei der Weichenstellung zu Putin, der FSB-Chef, zeitweise Jumaschews Stellvertreter und Ministerpräsident war. Tatjana und Jumaschew heirateten später und wurden 2009 mit Tochter Maria über einen Scheinwohnsitz im Burgenland eingebürgert. Daran waren Siegfried Wolf, Günther Apfalter und Franz Schnabl von Magna beteiligt, aber auch Genossen wie Gusenbauer und Landeshauptmann Hans Niessl, an dessen täglichem Weg der Scheinwohnsitz lag und in dessen Büro Hans Peter Doskozil gerade begonnen hatte.

Lielischkies 2021 über Nawalny

Als Lielischkies zu Alexej Nawalny Stellung nahm, den er ehemals persönlich getroffen hatte, stand der Ablauf, der zu Nawalnys Tod führte, mit seiner Festnahme erst am Anfang. Lielischkies wies auf den Film „Ein Palast für Putin“ hin, der seit 2011 bestehende Gerüchte über eine imposante Residenz am Kap Idokopas konkretisierte. Putin dementierte 2021, dass dieser „Palast“ ihm gehöre, doch das Nawalny-Team recherchierte gründlich und stiess auch auf Verbindungen zu FSB und Nationalgarde. Im Buch beschreibt Lielischkies einen kafkaesken Prozess gegen Nawalny, der unerwartet freigesprochen wurde, weil er bei der Bürgermeisterwahl in Moskau 2013 kandidierte und 27 % der Stimmen erreichte. Nawalny unterstützt echte Oppositionskandidaten wie Ilja Jaschin, der nur in Kostroma antreten darf, einer der ärmsten Regionen Russlands. Jaschin verfasste 2016 den Bericht „Partei kriminelles Russland“ und wurde wegen kritischem Journalismus über den Ukrainekrieg zu acht Jahren Haft verurteilt. 2018 will er bei der Moskauer Bürgermeisterwahl antreten und eine Filmcrew besucht seine Grossmutter im Altersheim. „Aus Fragmenten der Antworten entsteht eine üble Schmutzkampagne gegen Jaschin. Der spricht von einem neuen Tiefpunkt an Gemeinheit und Zynismus. Zur Wahl wird er nicht zugelassen“, schreibt Lielischkies. 2024 wird ein kurzes Interview mit Nawalnys Mutter mit einem neuen Text versehen, um den Eindruck zu erwecken, sie würde sich über die angeblich berechnende, kalte und untreue Julia Nawalnaja beklagen. Die „wochentaz“ berichtet am 6. April 2024 über „Fake Voices of Europe“, was auch ein mit falschem Ton versehenes via Social Media verbreitetes Audio-File des Spitzenkandidaten der progressiven slowakischen PS-Partei Michal Simecka mit der Journalistin Monika Todova vom Enthüllungsportal „Denik“. Wieder kann man zu Österreich assoziieren, denn FSB-Chef Putin fertigte ein Kompromat gegen Generalstaatsanwalt Juri Skuratov an, der gegen den Jelzin-Clan ermittelte (Jelzins Tochter wurde dann ja Österreicherin). Ausserdem recherchierte „Denik“ über den dank UK aufgeflogenen GRU-Spion Martin Möller, der mit der Einheit 29155 der GRU kooperierte, die manche mit dem Absturz der Embraer Legacy von Jewgenij Prigroschin in Verbindung bringen. Der Offizier Möller war gerade dann im Verteidigungsministerium tätig, als Norbert Darabos formal Minister war, aber ausgeknockt, überwacht, abgeschottet, isoliert, medial diffamiert und bedroht wurde. Im Prozess gegen Möller ging es nicht darum, ob die GRU das Ministerium gekapert und den Ressortchef ausgeschaltet hatte.

Weit weg von Moskau

Was „Einiges Russland“ betrifft, schloss die FPÖ im Dezember 2016 ein Abkommen mit dieser Partei und beeilt sich zu betonen, dass es sich „nur“ um eine Absichtserklärung zwecks Kooperation handelte. Wer sich immer wieder über die FPÖ empört, ist entweder selbst verstrickt oder sieht in den eigenen Reihen nicht genau hin. Lielischkies spricht davon, dass es zeitweise noch Sender gab, die etwas aufdeckten, doch diese wurden enteignet und gehörten dann z.B. Gazprom oder Lukoil. Bei Gazprom sollten wir daran denken, dass der Konzern Deals mit der OMV macht, im Aufsichtsrat der Strabag vertreten war, einen Sitz neben der SPÖ in Wien hatte und den FK Wiener Austria sponsern sollte, dessen Präsident ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian (SPÖ und zeitweise ORFG) war. Lukoil hat eine frisch renovierte Zentrale am Wiener Schwarzenbergplatz; 2022 trennte sich Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel nur ungern von seinem AR-Mandat (er tritt demnächst mit Ex-Kanzler Franz Vranitzky, ebenfalls Kreml-Netz, bei Puls 24 auf). Lielischkies erwähnt auch die Sberbank, wo Analyst Aleks Fak feststellte, dass Gazprom investiert, um Putin-Vertraute wie Arkadi Rotenberg (mit villa in Kitzbühel für Putins Töchter) und Gennadi Timtschenko zu begünstigen. 2012 erwarb die Sberbank die Osteuropa-Töchter der Volksbanken und kreierte so die Sberbank Europe mit Sitz in Wien. AR-Chef Siegfried Wolf ist mit Putin befreundet, war im AR der Strabag und gehört zum Netzwerk von Signa. Wolf war CEO von Magna, das 1998 mit dem noch planwirtschaftlich geführten Autobauer GAZ zu kooperieren begann. Lielischkies besucht AwtoWAS, einen weiteren Autobauer, der wie zuvor GAZ (gehört heute Oleg Deripaska) vom schwedischen Manager mit militärischem Background Bo Andersson saniert werden sollte.

Helsinki 2018

Befassen wir uns noch mit Journalismus, nachdem das letzte verwendete Video Lielischkies‘ Bericht vom Treffen zwischen Wladimir Putin und Donald Trump 2018 in Helsinki ist. Er beginnt sein Buch damit zu reflektieren, was dort anders lief als er es von Gipfeltreffen gewohnt war. Zum Beispiel, dass Trump und Putin nur mit Dolmetschern miteinander redeten und Trump bei der anschließenden Pressekonferenz sagte, er vertraue Putin, dass sich Russland nicht in die US-Wahlen einmischte (wie US-Geheimdienste behaupteten). Die Bedingungen für Reporter in Russland schilderte Lielischkies anhand von Berichterstattung zum Tschetschenien-Krieg und zu Ungereimtheiten bei Tschetschenen zugeschriebenem Terror. Lielischkies besuchte die „Toljatti Revue„, deren Chefredakteur Waleri Iwanow ermordet wurde; obwohl er zwei Leibwächter vom Verlag bekam, teilte Nachfolger Alexei Sidorow dieses Schicksal. Bei der Geiselnahme von Beslan im September 2004 hätten Anna Politkowskaja (2006 in Moskau ermordet und Andrei Babizki (im Jahr 2022 in Donezk verstorben) vermitteln können, doch beide Journalisten kamen nicht dort an. Politkowskaja wurde ein Platz in einer ausgebuchten Maschine angeboten, in der sie vergifteten Tee trank, und Babizki wurde unter einem Vorwand aus dem Flugzeug geholt und dann fingen Männer Streit mit ihm an, sodass alle auf der Wache landeten. Bei Tschetschenien und dem Clan von Ramsan Kadyrow, dessen Leute auch in der Ukraine kämpfen, sei auf die Übernahme von Danone in Russland per Kreml-Dekret durch diesen Clan verwiesen. Ein Zulieferer ist die zu Raiffeisen gehörende Agrana mit Raiffeisen-Generalanwalt Erwin Hameseder im AR. Hameseder gehört auch dem AR der Strabag an und ist Milizbeauftragter des Bundesheers. Bei der Strabag ging es auch um Bauen für Putin in Sotchi; der Kontrast zwischen Milliarden für Sportereignisse und verfallenden Straßen und Dörfern wird von Lielischkies eindrucksvoll dargestellt. Das gilt auch bei der Justiz, die Menschen wegen kleinster Diebstähle aus Armut für Jahre einsperrt, sich aber mit organisierter Kriminalität der „Eliten“ arrangiert. Zugleich müssen wir erkennen, dass sich unsere „Eliten“ längst nur deshalb halten, weil sie mit Putin, den Silowiki, den Staatsoligarchen kooperieren.

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