Schlagwort-Archive: Haftbedingungen

Julia Nawalnaja und Frauen gegen Putin

Einige Menschen empfinden Unbehagen bei der Art und Weise, wie Julia Nawalnaja nun offenkundig medial gepusht wird. Das könnte ihr Unrecht tun, weil sie Berichterstattung braucht und nicht bestimmen kann, in welcher Form sie stattfindet. Auf jeden Fall hat sie bezüglich politischer Aussagen eine weiße Weste, während man Alexej Nawalny frühere sehr rechte Positionen vorhalten konnte. Nawalnaja mag wie ein unbeschriebenes Blatt wirken, weil sie bisher öffentlich kaum in Erscheinung trat. Sie ist Ökonomin und organisierte 2020, dass ihr Gatte nach einer Vergiftung in der Berliner Charite behandelt wurde. Jetzt war sie nach ihrem kurzen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz Gast beim Rat der EU-Außenminister, der auch eine Erklärung verabschiedet hat. Nawalnaja eignet sich wie jede Person, die plötzlich im Rampenlicht steht und bisher nicht so sehr im Focus von Berichterstattung war, gut als Projektionsfläche. Somit werden ihr Eigenschaften und Haltungen unterstellt, die sie erst einlösen muss.

Es ruft andere auf den Plan, die ihr Berechnung nachsagen wegen eines winzigen Lächelns vor ihrem kurzen Statement in München. Ausserdem wird behauptet, sie amüsiere sich längst mit anderen Männern, namentlich dem Unternehmer Evgeny Chichvarkin und Christo Grozev von Bellingcat. Wie jedoch Bellingcat selbst aufzeigt, handelt es sich um gefälschte Hotelbelege und ein Foto im August 2021 mit Chichvarkin am Strand in Lettland. Chichvarkin steuerte 100.000 € zur Behandlung Nawalnys in Deutschland bei und forderte 2022 einen Einsatz der NATO in der Ukraine. Grozev lebte zeitweise in Wien, fühlte sich hier jedoch nicht sicher vor Russland und zog in die USA. Nun kündigte er an, dass er aufklären will, ob dasselbe FSB-Team, das Nawalny vergiftet hat, jetzt wieder zugeschlagen hat. Als Grozev, der Nawalny bei der Suche nach den Tätern half, Österreich verlassen hatte, gab er dem „Falter“ ein Interview wie er es in dessen Ausgabe vom 21. Februar 2024 wieder tut. Seltsamer Weise interessierte Bellingcat nie, das Netzwerk des Kreml und dessen Vorgangsweise in Österreich zu outen. Es hätte ihnen sonst merkwürdig vorkommen müssen, dass der „Falter“ teilweise im Besitz von Hans Michel Piech ist, dem grössten Aktionär von Porsche, wo Putin-Freund Siegfried Wolf dem Aufsichtsrat angehört.

„Beeindruckend mutige Frauen“

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Spaltung muss nicht sein! Wie man Klarheit erlangt und Wahrheit findet

Gerade wird verhalten über Julian Assanges Anhörung in London und die begleitenden Proteste berichtet. Nicht von ungefähr erweckt dies den Eindruck, dass sich Medien anders als bei Alexej Nawalny nicht wirklich engagieren und seine Haftbedingungen hinnehmen, obwohl sie von Wikileaks profitierten. Wenn wir Zeitungen wie die „Kronen Zeitung“ beiseite lassen, die uns am 20. Februar versichert „Alle EU-Spitzenkandidaten sind gegen Atombombe“, ist die Heftigkeit auf Social Media durchaus lehrreich. Es sind kurze Ausschnitte aus Interviews und Diskussionen, die dazu führen, dass empört oder mit Begeisterung auf Personen reagiert wird. Das verkürzt komplexe Sachverhalte und lenkt ab, sodass es nur denen nützt, die eine Agenda vorantreiben. Hier ist ein Ukraine-Unterstützer entrüstet (jedoch nicht ent-rüstet) über den ehemaligen Diplomaten Wolfgang Petritsch, der den Maidan für einen Putsch hält. Es geht so unter, dass Alfred Gusenbauer ihn 2002 zum Außenminister machen wollte, wenn er die Wahl gewonnen hätte. Heute wirkt Petritsch mit an einer eigenen Sicherheitsstrategie der SPÖ, in die man frühere Verteidigungsminister nicht einbindet. Was geht hier vor sich, möchte man fragen, doch es gehört auch zum Gesamtbild, dass Gusenbauer für Viktor Janukowitsch lobbyierte. Regelmässig zeigt sich, dass ein zweiter Blick lohnt, wenn jemand wegen ein oder zwei Sätzen attackiert wird; man bekommt einen differenzierten Eindruck oder weiss wenigstens, dass Kritik in diesem Fall berechtigt ist. Bei Patrick Baab, dem man vorwirft, dass er den Donbass bereiste, sprechen frühere Russland-Berichte für ihn.

Nun lässt er sich von der „Weltwoche“ interviewen, deren Herausgeber Roger Köppel gerade seinen umstrittenen Senf zu Nawalnys Tod hinzugab. Man hält Baab „russische Propaganda“ vor, was von Mainstream-Medien kommt, die sich da und dort aufpudeln, selbst aber die Aktivitäten des Kreml-Netzes im Westen verschleiern. Grundsätzlich sind verbale Äußerungen ungenauer als schriftliche und können auch mal missverstanden werden. Wenn dann nur mehr kurze Clips zählen, geht komplett unter, was jemand tatsächlich meint. Keiner von uns kann alles verfolgen und auf die Schnelle ein umfassendes Bild zusammenstellen, aber man kann selektiv vorgehen. Dazu gehört, die merkwürdige Situation zu reflektieren, dass die Münchner Sicherheitskonferenz so etwas wie ein Mädelsabend mit ein bisschen Atombombengerede war. Warum aber fühlen wir uns wie in einer Dystopie? Das lässt sich nicht ergründen, indem wir uns über Surreales ereifern und diejenigen attackieren, die dazu beitragen.

Patrick Baab

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