Julian Assange ist in Einzelhaft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen, doch nun soll er an die USA ausgeliefert werden. Das bedeutet, dass es für ihn noch schlimmer kommen kann; Initiativen fordern in vielen Ländern wieder einmal seine sofortige Freilassung. Man muss aber auch in Österreich die Regierung kritisieren, die es verabsäumt, für den Schutz von Assange einzutreten und ihm kein Asyl anbietet (es ist in Deutschland ähnlich). Am Internationalen Tag der Pressefreiheit, dem 3. Mai 2022 war Assange auch bei uns nicht gross Thema. Aber am 23. Juni 2022 (dem Internationalen Whistleblower-Tag) protestierten epicenter.works, Saubere Hände, Antikorruptionsbegehren, Greenpeace, Journalisten Club und andere vor der britischen Botschaft in Wien. Diese grenzt interessanter Weise an die chinesische (schräg vor dieser standen die Teilnehmer eigentlich); dann kam früher die deutsche Botschaft und schliesslich nach wie vor die russische samt orthodoxer Kirche. Es gibt außerdem jeden Mittwoch von 17 bis 19 eine Mahnwache auf dem Herbert von Karajan-Platz vor der Oper.
Vielleicht sollte man erstmal Revue passieren lassen, was über Julian Assange und Wikileaks bekannt ist bzw. was man zu wissen glaubt. Wie eine der Teilnehmerinnen sagte, kann man Assange und Edward Snowden nicht ganz voneinander trennen; die Snowden-Affäre habe Assange die Freiheit gekostet. Kurz zusammengefasst besagen Assanges biografische Daten, dass er 2006 zu Wikileaks gelangte und 2010 begann, Daten zu US-Kriegsverbrechen im Irak zu veröffentlichen. Prompt wurde er in Schweden, wo er damals lebte, der Vergewaltigung bezichtigt; er verstiess schließlich gegen Kautionsauflagen und floh 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London. Er hätte Asyl in Ecuador gehabt, doch es bestand keine Chance, dorthin zu gelangen, ohne von britischen Sicherheitskräften festgenommen zu werden. Nachdem Präsident Rafael Correa von Lenin Moreno abgelöst wurde, verlor Assange seinen Schutz und wurde 2019 von UK verhaftet, nachdem man ihm zuvor das Internet gekappt hatte. Zunächst sollte er 50 Wochen wegen der verletzten Auflagen absitzen, doch obwohl das schwedische Verfahren eingestellt wurde, liess man ihn nicht wieder frei.

Edward Snowden betrat 2013 die Bühne des Weltgeschehens, als er über Hongkong nach Moskau floh und Überwachung durch die NSA publik machte; er war zuvor für NSA und CIA tätig gewesen. Es ist von Bedeutung, dass sich Snowden 40 Tage lang auf dem Flughafen Scheremetjewo aufhielt, wo nichts passiert, ohne dass der russische Mafiapate Semjon Mogilevich davon erfährt. Was wiederum Wikileaks betrifft, wurden 2010 (im November) auch Depeschen aus US-Botschaften veröffentlicht, was als Cablegate bekannt wurde. Man kann auch heute in den Cables suchen und findet im Grunde nicht nur Politiker unter der arroganten amerikanischen Betrachtungsweise bloßgestellt, sondern ebenso die Betrachter. Auch wenn sich in den Cables die Sichtweise der CIA ebenfalls widerspiegelt, sind Fehleinschätzungen vorprogrammiert oder es wird kryptisch angedeutet, was nur wenige durchschaut haben. Übrigens wurde Assange 2012 von den Europäischen Sozialdemokraten eingeladen, eine Präsentation zu Cablegate zu veranstalten. Zusammen genommen besagen Irak-Kriegstagebücher (geheime Files von 2004 bis 2009), Cablegate und dann Snowdens Offenbarungen, dass der Westen Kriegsverbrechen begehrt, die eigenen Leute ausspioniert und Politiker wie angloamerikanische Vasallen behandelt. Dazu kommen die knapp gefassten Global Intelligence Files von Stratfor, die bei der Wikileaks-Suchfunktion mit angeboten werden. Stratfor ist vielen vor allem deshalb ein Begriff, weil der auch heute aktive George Friedman einmal eine Spaltung zwischen Deutschland und Russland als angloamerikanische Strategie erwähnte. Nach Assange und Snowden kamen die Panama Papers, die Pandora Papers und die FinCEN Files mit wertvollen Informationen über Geldwäsche, Organisierte Kriminalität und Kleptokraten; in gewisser Weise fungierten da beide als Wegbereiter für andere Whistleblower. Da es um ein globales Phänomen geht, überrascht nicht, dass Lenin Moreno in den Panama Papers (verschleiert) vorkommt, was im Frühjahr 2019 thematisiert wurde; man sprach von den INA Papers.

Im April 2019 beschuldigte Moreno dann Assange, er habe in der Botschaft in London (die nicht grösser als eine Wohnung mit mehreren Zimmern ist) ein Spionagezentrum einrichten wollen und die Dinge nahmen ihren Lauf. Man kann durchaus feststellen, dass sich Mythen um eine Wahlhilfe von Julian Assange für Donald Trump ranken. Zunächst war 2016 Paul Manafort Trumps Wahlkampfmanager; er zog sich jedoch zurück, als publik wurde, dass er für die ukrainische Putin-nahe Partei der Regionen lobbyiert hatte. Nun wurde Steven Bannon Wahlkampfleiter, doch Manafort trat 2017 wieder in Erscheinung, als er Moreno seine Dienste hinsichtlich Assange offerierte (den er vor allem wegen möglicher Deals mit China besuchte). Der „Guardian“ behauptete fälschlich, dass Manafort selbst Assange mehrmals in der Botschaft getroffen habe. Zu Recht wies etwa „The Intercept“ darauf hin, dass bei all der Überwachung gerade unter diesen Bedingungen Manafort wohl kaum unbemerkt zu Assange gekonnt hätte. Diese Story wurde Anfang 2019 gespielt, was sie wie einen Prätext zu Assanges Festnahme wenige Monate später erscheinen lässt, doch sie wurde bereits im November 2018 lanciert. Paul Manafort ist aber mit Oleg Deripaska verbunden, dessen Anwalt Adam Waldman Julian Assange tatsächlich mehrmals besucht hatte. Mit Deripaska ist andererseits auch Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer verbandelt, der mit Manafort für die Ukraine warb und zu dessen Netzwerk Anwalt Gabriel Lansky gehört. Für diesen ist Michael Ikrath tätig, der wie Fritz Hausjell von Reporter ohne Grenzen (dort mischt Lansky auch mit) bei der Kundgebung für Assange sprach. Waldman war nicht nur mit Deripaska, der ein Luxushotel in Lech am Arlberg besaß (besitzt?) in Österreich unterwegs, er vertrat auch zugleich Deripaska und pro bono Assange, für den er einen Deal aushandeln wollte. Ausserdem war er 2010 direkt für das russische Außenministerium tätig, also für den von Deripaska unterstützten Sergej Lawrow, und das im für Wikileaks so wichtigen Jahr 2010. Aktuell wird er – weil er auch der Anwalt von Johnny Depp ist – als Lobbyist mit Verbindungen zu Wladimir Putin beschrieben.

Bei der Kundgebung in Wien wurde der UN-Sonderberichterstatter für Folter Nils Melzer zitiert, der sich zunächst gar nicht um den Fall Assange riss, sich aber dann engagierte und das Buch „The Trial of Julian Assange“ schrieb. Melzer habe gemeint, Assange bedrohe die wirtschaftliche und politische Elite weltweit. Nun ist der Effekt der Veröffentlichungen von Wikileaks, der Debatten darüber und über Assange aber bestimmt nicht gleich verteilt. Es ist zum Beispiel eher wenig geläufig, was Wikileaks über Russland zugespielt bekam, wobei sicher auch die Sprachbarriere eine Rolle spielt und dass man etwas ja einordnen können muss. Auf Englisch informiert Wikileaks zum Beispiel darüber, dass 2017 die Spy Files Russia zugänglich gemacht wurden. Es geht dabei um die 1992 gegründete Firma Peter-Service, die zunächst Software für Abrechnungen entwickelte, aber bald bei Überwachung und Spionage angelangt war. Peter steht für St. Petersburg, was gut ins Muster des Netzwerkes um Putin passt, wo diese Stadt oder/und Geheimdienstzugehörigkeit ein wichtiger Karrierebaustein sind. Was Donald Trump betrifft, den viele auf der Seite von Assange sahen, war er Präsident, als die CIA Assanges Ermordung diskutierte. Und er stand an der Spitze der USA, als britische Behörden Assange 2019 allen Protesten zum Trotz festnahmen, was immer eine Auslieferung in die USA zum Ziel hatte. Assange warnte 2016 davor, Hillary Clinton zu wählen, weil dies endlose Kriege bedeuten würde. Ausserdem befasste er sich häufig mit Guantanamo, das natürlich auch Trump nicht schließen wollte.
Edward Snowden lebt mittlerweile mit Partnerin und Sohn in Moskau; es wurde von Anfang an über Schutz des FSB spekuliert, was er mit Jan Marsalek von Wirecard gemeinsam hätte. Ein grösserer Kontrast ist kaum denkbar, wenn Assanges ehemalige Anwältin Stella Moris mit den zwei Kindern des Paares um die Freilassung des Vaters kämpft. Inzwischen wurde im Gefängnis geheiratet und die einzigen Bilder zeigen die Braut mit ihrer Familie auf dem Weg dorthin. Zugleich aber sagen Personen, die ins Visier des Putin-Systems gerieten, dass ihr Leben nur in den USA wirklich sicher sei; zu sehr ist dieses System schon in anderen Staaten präsent, wozu auch UK gehört. Es ist immer gut, wenn berichtet wird, doch zugleich werden Assange Attribute zugeschrieben, die es leicht machen, sich von ihm abzugrenzen. In der Dokumentation unten wird er als „eine der streitbarsten Personen des Jahrhunderts“ vorgestellt, und das, wo sein Aktionsraum seit zehn Jahren immer weiter eingeschränkt wird. Eher schon begann er eine Sache, die ihm bald über den Kopf wuchs und wo übermächtige Gegner ihm entgegentraten, stets mit vorgeschobenen Handlungen und Begründungen und grosser Macht. Wie in Wien betont wurde, geht es um Menschenrechte und Meinungsfreiheit und auch darum, Kriegsverbrechen aufzudecken (was ja kein Verbrechen sein kann). Daraus könne man doch keinen Geheimnisverrat machen (was auch Chelsea Manning betrifft). Von Anfang an wurde der Espionage Act der USA von 1917 gegen Assange eingesetzt, was absurd ist auch angesichts der Connections von Republikanern und Demokraten zum Putin-Netzwerk.
Gerade die USA und UK tun gerne so, als seien sie anderen ein Vorbild bei Freiheit und Menschenrechten; der Umgang mit Assange spricht dem jedoch Hohn. In Österreich ist der Schutz von Whistleblowern absolut unzureichend, da bin zwar wegen Vorgaben der EU ein Gesetz beschlossen wurde, das aber kaum praktisch anzuwenden ist. Zudem lassen sich Whistleblowing und Journalismus nicht ganz trennen, wie nicht nur die Person Assange selbst zeigt. Obwohl er früher publizierte und dies teilweise bei Wikileaks online ist (hier ein Editorial von 2010), sprachen ihm viele ab, Journalist zu sein, als das Kesseltreiben gegen ihn und Wikileaks begann. Dies natürlich, nachdem man gerne als (Mainstream-) Medienpartner von Wikileaks vom Zugang zu allen Daten profitiert hatte. Wenn an Assange ein Exempel statuiert wird, werden es auch andere wohl sehr gut überlegen, ob sie etwas leaken oder Geleaktes verwenden. Die neueste Meldung aus UK lässt vermuten, dass die Behörden einen Selbstmordversuch befürchten, denn er wurde nackt durchsucht und in eine komplett leere Zelle gebracht.
Diese Recherchen erfordern sehr viel Aufwand und sind in dieser Form einzigartig. Es ist immer notwendig, alles neu zu bewerten und weitere Puzzleteile zu einem sehr komplexen Bild hinzuzufügen. Davon profitiert jeder, der mit einzelnen Bereichen in Berührung gekommen ist oder der sich fragt, wie etwas einzuordnen ist. Als Grundlage für weitere Recherche, für parlamentarische Untersuchungen, für Ermittlungen der Justiz eignet es sich auch sehr gut. Es kommt oft darauf an, durch Zufall an eine mögliche Verbindung überhaupt mal zu denken, um sie und einiges mehr zu finden.
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