Welche Spielräume hat Politik?

Für viele Menschen sind die Ereignisse der letzten Monate mit politischer Bewusstwerdung verbunden, denn sie erkennen, dass Kriege, Flüchtlingswellen, US-Einfluss und Konzerninteressen irgendwie zusammenhängen. Aber einige neigen wohl auch in der Überforderung, nach Möglichkeiten in diesem System zu suchen dazu, „der“ Politik und „den“ Medien Rollen zuzuschreiben, die Spielräume negieren.

Es ist keineswegs so, dass abseits des Mainstream immer klarer gedacht und sorgfältiger analysiert wird, da sich auch hier zunehmend Vorannahmen durchsetzen, die wie im Mainstream kreierte Bilder als Basis dienen. Dies ist etwa der Fall, wenn Terror wie jener von Paris sofort aufgrund weniger Merkmale als „false flag“ eingeordnet wird, was auch Ken Jebsen passiert. (1) Oder wenn Egon W. Kreutzer sich nicht festlegt hinsichtlich des Abschusses des russischen Kampfjets durch die Türkei. (2)

Besonders negativ stellt aktuell der Blogger „Dorfling“ die Politik dar, da AkteurInnen ja nur der Finanzelite der eigenen Pfründe wegen dienten: „Dabei hat sie nicht die geringsten Skrupel, ihre Absichten zu tarnen und die Menschen, die ihnen ihr Vertrauen schenkten, zu täuschen und nach Strich und Faden zu belügen. Anliegen und Forderungen der von ihnen zu vertretenden Bürger befriedigt die in Rhetorik geschulte Politik seit Jahrzehnten mit den immer gleichen inhaltsleeren Phrasen. Dass es der Politik über einen so langen Zeitraum hinweg gelingen konnte, Menschen über ihre wahre Funktion als Knechte der Finanzelite hinwegzutäuschen hat mehrere Gründe. Es ist ihr gelungen, sich den Anschein einer Institution zu verleihen, die, im Gegensatz zum normalen Bürger, aufgrund ihrer Intelligenz alleine die Fähigkeit besitzt die Geschicke eines Staates lenken zu können.“ (3)

Ein größeres Problem scheinen aber Medien darzustellen, wie man am Beispiel des „Standard“ deutlich machen kann. Die Zeitung hat eine Art Korrespondenten im Burgenland, das lange Zeit einen massiven Andrang an „Flüchtlingen“ (die dies der Genfer Konvention nach selten sind) auf dem Weg Richtung Deutschland zu verkraften hatte. Anscheinend ist Wolfgang Weisgram komplett unterfordert, wenn er über das berichten muss, was aus seiner Sicht zu einfach gestrickte PolitikerInnen (Provinz eben) zuwege bringen. Dabei vergißt er meist, den LeserInnen wenigstens mitzuteilen, was dieses ihn langweilende politische Personal so tut und denkt. (4)

Eben hat er den starken Verdacht, dass ein Landtagsabgeordneter der FPÖ eine Presseaussendung zur geplanten Unterbringung von „Flüchtlingen“ am Truppenübungsplatz Bruckneudorf nicht selbst verfasst haben könnte. Wie bei 100 Tage Landesregierung (siehe 4) sind die LeserInnen ratlos, was es an der auch von der SPÖ geäußerten Kritik zu kritisieren gibt. Zitat aus Weisgrams Text: „Die Landesregierung ist empört, die SP-geführte Gemeinde demonstrierte und wird weiter demonstrieren. Und die FPÖ haut per Aussendung martialisch auf den Koalitionstisch. Klubobmann Gerhard Kovasits, ein Bruckneudorfer, ruft gar – regierungsamtlich quasi – zum ‚zivilen Ungehorsam‘. Kenner weisen da aber auf eine auffällige rhetorische Dissonanz hin. Denn die tatsächlich bemerkenswert enthemmten Worte der blauen Presseaussendung (unter anderem ‚zerebrale Dissonanz der deutschen Kanzlerin Merkel‘) traut niemand dem Gerhard Kovasits zu, einem biederen Kriminalbeamten und langjährigen Feuerwehrkommandanten.“ (5)

Nebenbei bemerkt interessiert sich der „Standard“ nicht dafür, dass das SPÖ-Publikum einer Diskussion des Renner-Instituts am 10.11. in Wien zum Thema „Aktive Neutralitätspolitik heute“ sich nicht wunderte, dass der angekündigte Verteidigungsminister Gerald Klug nicht kam und dem Ersatzredner Brigadier Johann Frank nicht abnahm, dass wenigstens das Manuskript von Klug stammte. (6) Aber wie sich der „Standard“ als Gegner von Nationalstaatlichkeit und Föderalismus einen von der „Provinz“ angeödeten Korrespondenten hält, bleibt der Narrativ über vermeintliche politische Hintergründe und Befindlichkeiten über die Jahre gleich. So schreibt gerade die „Presse“ über Rücktrittsaufforderungen an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner: „Als Gusenbauer 2006 ebenso überraschend Kanzler wurde, schlug er – aus Rücksicht auf die ÖVP – seinem Mitstreiter Norbert Darabos dessen Herzenswunsch aus, Innenminister zu werden. Darabos wurde zum Verteidigungsminister gemacht. Und hatte in dieser Funktion eine noch schlechtere Nachrede, als er sie womöglich als Innenminister gehabt hätte.“ (7)

Der nunmehrige Landesrat im Burgenland wäre tatsächlich lieber Innenminister geworden, doch das spielt bei den darauffolgenden Ereignissen kaum eine Rolle, da er als nicht NATO-affiner Minister unter massiven Druck geraten ist, der bis heute auf ihm lastet. Medien spielten und spielen dabei brav mit, indem sie einmal geschaffene (Trug-) Bilder permanent reproduzieren, etwa wenn sie Darabos von Anfang an „Heeresferne“ attestierten, weil er einst Zivildiener war. Dass er im Parlament aktives Mitglied des Landesverteidigungsausschusses war, liessen sie ebenso unter den Tisch fallen wie die Tatsache, dass Personen nicht nur beim Heer und in dessen Umfeld, sondern auch in den Parteien (selbst in der SPÖ) berichteten, dass sie nie mit dem Minister reden konnten; nicht einmal der Generalstabschef hatte ungehinderten Zugang zu seinem direkten Vorgesetzten, dem Befehlshaber des Bundesheers.

Um aber nach Bruckneudorf zurückzukommen, blendet der „Standard“ hier wohlweislich aus, dass man nach den Anschlägen von Paris ja wohl erst recht nicht Unbekannte in militärischen Liegenschaften unterbringen kann und daher die Reaktion der Landesregierung gerechtfertigt ist. Und nicht nur gerechtfertigt, sie straft sowohl das Länder-Bashing im Mainstream als auch Dorflings Pauschalverdächtigungen Lügen, denn hier gibt es Politiker, die ihren Auftrag Ernst nehmen, sich aber einem „Durchgriffsrecht“ des Bundes gegenüber sehen, das vor kurzem durchs Parlament gewunken wurde. (8) Es geht immer auch um Rahmenbedingungen, die jedweden individuellen Spielraum begrenzen, die aber auch erkennen lassen, wer wie mit der Situation umgeht und welches Engagement zeigt. Zwar wird jemand wie Weisgram dies voll Dünkel gar nicht wahrhaben wollen, doch PolitikerInnen auf Landesebene sind sich internationaler Einflüsse durchaus bewusst und freuen sich über Verbündete, die ihnen den Rücken stärken wollen, damit sie ihre von  der Verfassung vorgegebene Verantwortung wahrnehmen können.

Es ist aber verständlich, dass sich die Menschen fragen, was denn wirklich in Österreich entschieden werden kann, wenn die grüne Vizebürgermeisterin in Wien Maria Vassilakou sich sofort missverstanden fühlt, da sie in einem Interview eine „Obergrenze für Flüchtlinge“ für möglich hält. (9) Prompt reagiert die FPÖ, die mit Johann Gudenus ebenfalls einen Vizebürgermeister stellt, aber nicht mitregiert, indem sie Vassilakous Haltung „verantwortungslos und gemeingefährlich“ nennt. (10) Dabei darf man in jenem Spektrum, das sich nicht „links“ einordnet, aber nicht den Fehler machen, Politik als „links“ zu betrachten, die viel mehr mit transatlantischer Einflussnahme zu tun hat. (11)  Wobei „Einfluss“ eine komplexe Angelegenheit ist, die vielfach auch auf indirekten, eher psychologischen Mechanismen und darauf beruht, dass erwünschtes Verhalten durch Aufmerksamkeit belohnt wird; alles zusammen schafft dann ein „Flüchtlingsfieber“, gegen das besonders jene nur zu einem geringen Teil immun sind, die sich selbst links einordnen. (12)

Kritische Meinungsbildung soll nicht dazu führen, dass sich Menschen überfordert fühlen, doch umfassend Betrachtung verlangt nach verschiedenen Quellen und Perspektiven. Auf diese Weise erfahren wir, dass sich das Gewicht in Europa von Deutschland zu Frankreich verschoben hat, was durchaus nachvollziehbar ist. (13) Zu Recht weist die Seite „Konjunktion“ darauf hin, dass die Bundeswehr dem Grundgesetzt zufolge der Verteidigung Deutschlands dienen muss; und wenn man sie schon gegen den IS kämpfen lässt, dann dort, wo es Sinn macht: beim Korridor des IS in die Türkei. (14) Es ist nur halbsatirisch, wenn im Web zitiert wird, wie sich Wahlen durch Kriegsführung verzögern lassen, (15) schliesslich kurisiert auch ein Pentagon-Handbuch zum Kriegsrecht. (16) Wir müssen nicht mal nach draußen gehen, sondern können Berichte aus erster Hand in unserem Wohnzimmer verfolgen, etwa wenn Jürgen Todenhöfer, der den IS besucht hat, bei Günther Jauch zu Gast ist. (17)

Ausreichende Sprachkenntnisse vorausgesetzt, finden sich z.B. bei „Global Research“ interessante Analysen: so erfahren wir, dass bei Terroranschlägen in Mali auch Chinesen und Russen getötet wurden. Die drei Chinesen waren wichtige Mitarbeiter der China Railway Construction Corporation, während die Russen für Volga-Dnepr arbeiteten, eine der größten Firmen auf dem Weltmarkt für Großtransporte in der Luft. Es ist anzunehmen, dass Volga-Dnepr Ausrüstung transportiert hat, das die CRCC in Mali benötigt, sodass die Ermordung der Mitarbeiter beider Firmen zusammenhängt: „In effect, the Russian crew was part of the ongoing economic development and foreign investment in the country. And so, their killing, like that of the CRCC executives, is a symbolic strike against Chinese and Russian investment in the country. And perhaps even more importantly, the attack was a symbolic attack upon the very nature of Sino-Russian collaboration and partnership, especially in the context of economic development in Africa and the Global South.

It would be worthwhile to add that Volga-Dnepr has also been involved in military transport services for NATO and the US until at least the beginning of the Ukraine conflict and Crimea’s reunification with Russia. Whether this fact has any bearing on the employees being targeted, that would be pure conjecture. Suffice to say though that Volga-Dnepr was no ordinary airline, but one that was integral to the entire economic development initiative in Mali. And this is really the key point: China and Russia are development partners for the former French colonial possession and US puppet state.“ (18) Hier wird darauf hingewiesen, dass die anderen Terroropfer nur deswegen starben, weil so die eigentlichen Ziele kaschiert wurden. Das Engagement Chinas in Afrika ist einerseits friedlich, andererseits versucht auch niemand, den Menschen in Afrika „Werte“ aufzuoktroyieren, wie es „der Westen“ so gerne tut.

Manche der Leute, die solche Informationen untereinander weiterreichen, sind zunächst erstaunt, dass auch PolitikerInnen alternative Quellen kennen, weil sie in ihren öffentlichen Aussagen darauf nicht Bezug nehmen. Wer aber wirklich verstehen will, was im eigenen Land geschieht und wie dies mit der internationalen Ebene zusammenhängt, darf nicht erst seit dem „refugees“-Hype nicht in den Irrtum verfallen, dass „die“ Politik aus ganz anderen Wesen besteht als der Rest der Bevölkerung. Es sollte aber auch klar sein, dass eine Oppositionspartei wie die FPÖ Kritik an den USA artikulieren kann, die etwa die Bundesregierung nicht aussprechen kann und im Fall der SPÖ-Regierungshilfe auch gar nicht benennen will, weil man dort ohnehin voll auf Kurs ist. Bezeichnender Weise haben in letzter Zeit PolitikerInnen der ÖVP in Regierung und Parlament den Begriff „Souveränität“ benutzt und von Schutz unserer Grenzen gesprochen, was der SPÖ nicht über die Lippen kommt – von Ausnahmen wie im Burgenland abgesehen.

(1) http://www.net-news-express.de/index.php?page=player&v=6fss_jFknQc – meine eigene Analyse ist z.B. hier: https://alexandrabader.wordpress.com/2015/11/23/strategie-der-spannung/
(2) http://politik-im-spiegel.de/man-wird-doch-wohl-noch-mal-einen-russen-abschieen-drfen/ – hier gehe ich am Ende des Artikels auf den Abschuss ein: https://alexandrabader.wordpress.com/2015/11/27/geheimdienstdebatte-nach-paris/ – dieser Blogger kommt zum gleichen Schluss wie ich: http://elynitthria.net/messers-schneide/
(3) http://www.dorfling.de/index.php/home/chef-blog/politik/810-politik-tarnen-taeuschen-und-luegen
(4) siehe zu 100 Tage rotblaue Landesregierung: http://derstandard.at/2000022826179/Rot-Blau-im-Burgenland-Fester-Rahmen-offene-Tue und mehr hier: http://derstandard.at/r1662/Burgenland
(5) http://derstandard.at/2000026539539/Aufregung-um-Containerdorf-in-Bruckneudorf – mehr erfährt man hier: http://www.oe24.at/oesterreich/politik/Darabos-Asyl-Aufstand-gegen-Klug/213674916 und hier: http://kurier.at/politik/inland/niessl-attackiert-mikl-und-klug-fluechtlingschaos/166.358.953
(6) https://alexandrabader.wordpress.com/2015/11/11/die-spoe-und-die-neutralitaet/
(7) http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4876667/Innenminister_Wenn-der-Ruf-nach-Rucktritt-Routine-wird-?_vl_backlink=/home/politik/innenpolitik/index.do –  zum „Eingebettetsein“ von Journalisten siehe hier: http://www.nachdenkseiten.de/?p=28997
(8) http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4874354/Fluchtlinge_Container-fur-Bruckneudorf-emporen-Darabos
(9) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151127_OTS0234/klarstellung-vassilakou-strikt-gegen-obergrenzen-fuer-fluechtlinge
(10) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151128_OTS0015/gudenus-vassilakous-alle-hereinspaziert-politik-ist-gemeingefaehrlich
(11) http://www.orf-watch.at/Kritik/2015/11/535
(12) https://alexandrabader.wordpress.com/2015/11/23/refugees-welcome-als-wiedergutmachung/ und https://alexandrabader.wordpress.com/2015/11/25/fluechtlinge-schuldzuweisungen-antifaschismus/
(13) http://finanzmarktwelt.de/deutschlands-hegemonialstellung-in-europa-geschwaecht-nach-pariser-anschlaegen-22985/
(14) http://www.konjunktion.info/2015/11/syrien-politik-und-hochleistungspresse-wollen-deutschlands-kriegsbeteiligung/ – siehe auch Protest der IPPNW: http://www.redglobe.de/naher-mittlerer-osten/syrien/7531-ippnw-keine-weitere-deutsche-beteiligung-am-krieg-gegen-den-terror
(15) http://qpress.de/2015/11/27/bundestagswahl-2017-faellt-wegen-krieg-aus/
(16)  http://www.wsws.org/en/articles/2015/11/04/laws-n04.html
(17) https://www.youtube.com/watch?v=nlx72ysZhzE
(18) http://www.globalresearch.ca/terror-in-mali-an-attack-on-china-and-russia-one-third-of-the-victims-were-russians-and-chinese/5491869 und http://www.globalresearch.ca/russia-china-relations-and-the-downing-of-russias-jet-fighter-by-turkey/5491012

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