Affäre Schilling: Die Agenda des „Standard“

Wenn die Grünen bei der EU-Wahl am 9. Juni 2024 weniger als erwartet verlieren, waren Enthüllungen über Lena Schilling doch kein Zufall. Dafür spricht schon allein, dass alle anderen Spitzenkandidaten ziemlich komfortabel im Windschatten der Aufregung über sie unterwegs sein konnten. Es ist nicht selten, dass Material erst mehreren Medien angeboten wird, bis eines zugreift und recherchiert. Häufig wird etwas überhaupt nicht untersucht, weil es Interessen berührt, die alle schützen sollen. Im aktuellen Fall war es der „Standard“, der zu berichten begann, während etwa der „Falter“ zunächst nicht darauf einsteigen wollte. Als ein Dossier über die SPÖ für Tal Silberstein im Wahlkampf 2017 von „Österreich“ veröffentlicht wurde, lehnten es alle anderen ab, davon selbst zu profitieren. Verfasst hatte es Signa-Sprecher Robert Leingruber, der zuvor in Alfred Gusenbauers Büro im Bundeskanzleramt tätig war, was die „cui bono“-Frage auch beim Publikwerden aufwirft. Die Causa Schilling zeigt auch, dass manchmal etwas bloss ein Mal erwähnt wird, dem alle nachgehen müssten, was jedoch vermieden wird, weil es nicht das gewünschte Bild ergibt.

Man muss schon routiniert sein, um das überhaupt zu bemerken. Die meisten Menschen verfolgen diverse Talkshows mit handverlesenen Gästen, die auch jetzt wieder Narrative verfestigen. Es fällt wie hier beschrieben auf, dass sich die „Kronen Zeitung“ auf die Seite Schillings und gegen Veronika und Sebastian Bohrn-Mena stellt, während „Österreich“ als Bühne der Bohrn-Menas dient. Die nicht weiter verfolgte Meldung brachte die „Krone“ am 25. Mai, nämlich dass Sebastian Bohrn-Mena und Daniela Holzinger 2018 mit Martha Bissmann sprechen sollten, die für Peter Pilz ins Parlament gegangen war und ihm wieder weichen sollte. Bissmann hielt BM damals für einen Verbündeten, während Pilz sie mobbte. BM und Holzinger präsentierten Bissmann, die Forderungen an einen Mandatsverzicht knüpfte, eine fertige Punktuation. Und sie behaupteten, Pilz gehe in die „Zeit im Bild 2“, um sein Comeback anzukündigen, was auf einer Webseite stand; deshalb könne Bissmann nicht eine Nacht darüber nachdenken. Sie willigte ein und wunderte sich, als Pilz dann gar nicht in der ZiB 2 war; hingegen wurden ihre Forderungen an die Presse geleakt und die Webseite war ein Fake. Sie wusste nicht, wer das getan hatte, aber das Muster kommt ihr bekannt vor, nachdem nun eine aussergerichtliche Unterlassungserklärung zwischen den Bohrn-Menas und Schilling zunächst anonymisiert via „Standard“ öffentlich wurde. 2018 gab Bohrn-Mena Bissmann das Gefühl, er stehe als Einziger im Klub der Liste Pilz auf ihrer Seite, er gab ihr Rückhalt, wenn sie weinte, sie war „massivem Druck“ ausgesetzt. Doch er wollte dann Vizeparteichef werden und kritisierte Pilz heftig (die Liste Pilz „wird zur Führerpartei“), der wiederum davon sprach, dass er sich „seinen“ Eurofighter- und BVT-Akten widmen müsse (ich stellte hier zusammen, was damals passiert ist).

Schilling und Waitz beim „Falter“

Da der „Standard“ mit Pilz kooperiert und „cui bono?“ auf die ehemalige Pilz-Abgeordnete Alma Zadic hinweisen könnte, fragt sich, ob der Bruch zwischen BM und Pilz bloss Show war oder sie jetzt wieder Verbündete sind. Schilling, Bissmann, Holzinger, Zadic und Bohrn-Mena ist gemeinsam, dass sie das Wirken von Pilz als vermeintlichem „Aufdecker“ nie in Frage stellten, nie z.B. Eurofighter-U-Ausschüsse unter die Lupe nahmen. Doch das verbindet auch mit „Standard“, „Krone“, „Falter“ und anderen Medien. Selbst die Chuzpe, die Pilz an den Tag legt, wenn ausgerechnet er Schilling Verleumdung vorwirft, nimmt keiner aufs Korn. Der „Kurier“ stellte am 26. Mai den chronologischen Ablauf der „Affäre Schilling“ dar, beginnend damit, dass sich SBM am 3. und 4. April per SMS mit Werner Kogler und anderen Grünen in Verbindung setzte, weil er gehört habe, dass Schilling rufschädigende Behauptungen über ihn verbreite (siehe auch BM bei Servus TV). Wer diese Quelle ist, weiss man nicht; Schillings Ex-Freund Tobias Schweiger (einst Grüne Jugend, jetzt KPÖ) ist es nicht. Könnte es jemand im grünen Parlamentsklub sein, der davon profitieren würde, wenn Kogler und Klubobfrau Sigi Maurer zurücktreten? Am 12. April unterzeichnete Schilling eine Unterlassungserklärung, beraten von Anwältin Maria Windhager, die die Grünen vertritt und früher auch vom „Standard“ engagiert wurde. Am 7. Mai abends stellte der „Standard“ abends „Schillings EU-Kandidatur gerät in Turbulenzen“ online, unmittelbar nach dem Wahlkampfauftakt der Grünen. In der Printausgabe am 8. Mai nahm der Text eine ganze Seite ein, und die Affäre Schilling war auf Schiene.

Wer recherchiert über Bohrn-Mena?

Man lancierte sie zehn Tage vor dem fünfjährigen Jubiläum von Ibizagate, als Ausschnitte aus heimlichen Aufnahmen, die am 17. Mai 2019 online gingen. Diese sprengten die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ und die Grünen mit Werner Kogler hatten dann bei der EU-Wahl Auftrieb. Heute geht es um die EU-Wahl als Ausgangsposition für die Nationalratswahl im Herbst, aber was man auslösen kann, konnten alle bei Ibizagate studieren; jetzt mischen die Bohrn-Menas kräftig mit. Bohrn-Menas Postings auf X, auf die ich hier hinweise, sind aufschlussreich, weil er am 7. April frohlockte, dass auch diesen Mai jemand zurücktreten wird. Er war es dann selbst, der die Unterlassungserklärung, zunächst mit geschwärzten Balken, über Social Media verbreitete und sieht sich inzwischen als Opfer von Rassismus und Faschismus. „Sagen, was ist“ als Grundsatz, nach dem „aufwendige Recherchen“ „behutsam zusammengefasst“ würden – so beschreibt „Standard“-Chefredakteur Gerold Riedmann die eigene Vorgangsweise am 11. Mai. Grüne Abgeordnete würden Repressalien fürchten, wenn sie mit Redakteuren sprechen; die Grünen seien nicht mehr „die basisdemokratische Partei von früher“, da in der Regierung. Offenbar glaubt Riedmann, was er von sich gibt, doch „die Basis“ wurde gerade von Pilz ausgeschaltet und auch mithilfe der Medien bekämpft.

„Falter“ und „Standard“

Michael Völker beklagte am 18. Mai im „Standard“, dass die Grünen „viele Mitstreiterinnen“ verlieren, die ihr „einstmals Profil gegeben haben“, nämlich Pilz, Johannes Voggenhuber „und andere“, was die zur KPÖ abgewanderte Grüne Jugend einschliesst. Dass eine „Mitstreiterin“, nämlich Madeleine Petrovic, am 17. Mai per Pressekonferenz eine eigene Kandidatur ankündigte, macht sie nicht erwähnenswert. Voggenhuber ist ein Kapitel für sich und Pilz erst recht; meiner Erfahrung nach boykottierten „Standard“ und Co. die Basis der Grünen geradezu. Am 31. Mai schreibt Hans Rauscher, der in Fernseh-Talkrunden die Linie des „Standard“ vertritt, über das Schicksal von Julian Schmid, den er mit S. abkürzt und der beim Bundeskongress am 25. Juni 2017 die Abstimmung gegen Pilz um den 4. Listenplatz gewann. Er „verdrängte den Veteranen Pilz“, der dann mit einer eigenen Liste erfolgreich gegen die Grünen antrat. „Zufällig“ hat Pilz am 22. Juni 2017 Norbert Darabos als Bauernopfer angezeigt, um unter anderem Alfred Gusenbauer bei Eurofighter zu decken. Noch bevor Riedmann seinen neuen Job angetreten ist, porträtierte der „Standard“ Gusenbauer auf peinlich schmeichelhafte Weise. Als „Aufdecker“ in der Affäre Schilling profilierten sich Fabian Schmid und Katharina Mittelstädt; Schmid durfte nie über Subversion in der Landesverteidigung recherchieren und Mittelstädt postete aus dem Eurofighter-UA ganz auf Pilz-Linie. Es wird auch nicht wirklich enthüllt, welche Dimensionen russische Operationen in Österreich längst haben. Das bedeutet auch, dass über Pilz niemals etwas herausgefunden werden darf und auch nicht über andere (das Posting unten teilte Fabian Schmid).

Recherche mit dem „Standard“

PS: Der „Standard“ vom 1. Juni 2024 bestätigt alles: eine Wahlkampfreportage behandelt bei Schilling den Auftakt am 7. Mai und dann die beiden Pressekonferenzen wegen der „Standard“-Veröffentlichungen. Bei den anderen Bewerbern (DNA und KPÖ kommen nicht vor) werden einfach normale Auftritte beschrieben. Es geht sich auf einer Doppelseite auch ein viertelseitiges Inserat für eine Produktion der Wiener Festwochen aus, die am 30. und 31. Mai gezeigt wurde. Auf der Titelseite nennt Hans Rauscher Donald Trump einen „egomanischen Soziopathen“, was ihm z.B. zu Peter Pilz wohl nie einfallen würde. Die Ausgabe des „Standard“ erinnert sehr an EU-Propaganda vor 30 Jahren. Apropos: Der „Kurier“ berichtete am 31. Mai von einer Diskussion, bei der Werner Kogler meinte, die Grünen seien „EU-Skeptiker“ gewesen, was Beschlüsse gegen den Beitritt negiert.

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4 Kommentare zu „Affäre Schilling: Die Agenda des „Standard“

  1. Mich hat der BM letztens bei Fellner stutzig gemacht mit seinem permanenten: „Die Tschaetts, da gibts Tschaetts, die belegen das, Tschaetts, Tschaetts…“

    Ganz deppert ist er ja nicht, nur halbdeppert; mittlerweile weiss jeder chilenische Floetenspieler auf der Mahue, dass nichts mehr geglaubt wird, als „Tschaetts“.

    The Woods Quater Conspiracy

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  2. Nur eine Randglosse zur Qualtäts- und Haltungszeitung standard:

    In der Flughafenausgabe von gestern, Freitag, hat es Baumeister Lugner auf die Seite 1 geschafft.

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