Relotius und die Recherche

Dieser Tage kursiert ein Video von einer Veranstaltung, bei der sich Claas Relotius seltsam vage zum Reporterdasein äußerte. Er diskutierte mit Daniel Puntas Bernet und Roland Schulz, der als Einstieg über eine Geschichte zu einer Überfallserie sprach. Dies wird sofort konkret und man erfährt, dass Schulz durch eine Zeitungsnotiz darauf aufmerksam wurde und ein halbes Jahr lang immer wieder recherchierte. Hingegen erzählt Relotius von einem Besuch in einem US-Gefängnis bei einem Inhaftierten, der einen dementen “ Kollegen“ betreut. Relotius eiert so sehr herum, dass man erst im „Spiegel“ nachsehen muss, ob es um einen Gefangenen und einen Pfleger, zwei Gefangene und einen Pfleger oder um zwei Gefangene geht, von denen einer als Pfleger fungiert. Ausserdem hat er ganz lässig unter Hackern recherchiert; eine Erfindung, wie Armin Wolf in seinem Blog betont.  In einem der zahlreichen Berichte über Relotius stand,  er wollte nicht, dass seine Texte online gestellt und ins Englische übersetzt werden. Nun ist die Geschichte im Netz abrufbar und mit dem Vermerk versehen, dass sie überprüft wird. Relotius wollte sich beim Event cool geben und sagte, dass er einen Tag im Gefängnis verbringen und alles wie die Häftlinge machen konnte, nur dass er nicht duschte, aber er musste Schnürsenkel und Gürtel abgeben.

Das ist dann wohl ein Fall für die Dokumentationsabteilung des „Spiegel“, doch ich bin sicher nicht die Einzige, die da gleich stutzig gewesen wäre. Eingefädelt hat er den Besuch via Mail an die Gefängnisleitung, sagt er, da noch bewundert von „REPORTAGEN„-Chefredakteur Daniel Puntas Bernet,  der ihm auch Arbeiten abnahm und meinte, so etwas sei unmöglich. Bei Schulz klingt das Reporterdasein nach systematischer, auch harter Arbeit, bei Relotius hingegen easy und sexy. Es fällt auf, dass Frauen dann Fragen stellen und Relotius sofort direkten Draht zu ihnen hat, auf du und du Auskunft gibt, während bei Schulz und Bernet eher ein wenig Distanz des Fachmanns dabei ist. Bei ihnen spielt immer wieder eine Rolle, wie sie auf Menschen reagierem, über die sie schreiben. Schulz spricht von einem abgehobenen Professor, wo nach ein paar Tagen aus ihm herausbrach, was er von ihm hielt; Bernet war im Dilemma, als er über die dunklen Seiten eines Konzerns in Afrika recherchierte, dessen CEO ihm auf Anhieb sympathisch war. Während beide hier Ausgleich durch die Redaktion brauchen, hat Relotius keinerlei Probleme mit emotionaler Involvierung im positiven oder negativen Sinn.

Diskussion im Freitag-Store in Hambur

 

Es ist irreführend so zu tun, als seien Reportage und Bericht vollkommen getrennte Genres, denn beides müsste auf Fakten basieren. Dass in Reportagen mehr auf die mutmaßliche Befindlichkeit von Akteuren geachtet wird, heißt nicht, dass diese bei nüchternen Artikeln irrelevant ist. Entscheidend ist, dass weder Gefühle noch Fakten erfunden werden, die dargestellte Personen betreffen. Man darf auch nicht vergessen, dass „Durchschnittsbürger“ nicht medienerfahren sind und nicht wissen, wie sie sich wehren sollen. Umso schwieriger ist es für Figuren, die gerade wegen ihrer „Exotik“ ausgesucht wurden und wie bei Relotius vielleicht nicht mal wussten, was über sie behauptet wird (sofern sie existieren). Schulz erzählte, dass er einmal eine EU-Politikerin interviewen sollte, mit der er gleich aneinanderkrachte. Es muss auch die MögIichkeit geben, etwas sein zu lassen oder es anderen zu überlassen. Bernet betont, dass es auf Euphorie und Engagement ankommt, aber nicht auf die perfekt formulierte Geschichte, da eine Redaktion immer noch etwas daraus machen kann, wenn es der Autor nicht so gut hinbekommt. Doch das bedeutet, dass Substanz vorhanden ist, anders als bei Relotius. Im Gespräch machen Schulz und Bernet den Eindruck, aus einem Fundus an in Erfahrung Gebrachtem schöpfen zu können, vor der Frage zu stehen, wie sie dies dem Publikum kompakt und anschaulich vermitteln.

Bei Relotius, dem preisgekrönten Superstar, gähnt hingegen Leere, weil seine Erfindungen nur anhand von wenigen Punkten in der äußeren Wirklichkeit verankert sind, in der es nun mal Guantanamo und den Krieg in Syrien gibt. Auffallend  auch seine Scheu, Quellen zu nennen bzw. zu deklarieren, wo etwas Quelle mit Gefühlen und Gedanken und wo es er selbst ist. Politische Berichterstattung und Recherche zu Skandalen sollte so nüchtern und objektiv wie möglich sein, doch auch da sammelt sich über Jahre eine Menge an Wissen an und manches lässt sich erst mit genügend Puzzleteilen veröffentlichen oder bekommt plötzlich ein neue Wendung. Dies steht auch im Gegensatz dazu, dass vielfach im Stil der „Spiegel“-Geschichten holzschnittartige Bilder von Akteuren gezeichnet werden, die von einer Untersuchung von Fakten ablenken (sollen). Auch hier wird nicht jede Quelle namentlich genannt, weil viele erst dann mehr sagen, wenn ihnen Anonymität zugesichert wird. Dies eröffnet aber auch dem Streuen von Gerüchten Tür und Tor, sodass Skepsis angebracht ist. Es bleibt in gewisser Weise Manipulation, basierend auf wenigen Ungenannten z.B. die Stimmungslage in einer Partei oder den Rückhalt für die Chefin/den Chef zu beschreiben.

Leserinnen und Lesern ist oft nicht bewusst, dass direkte Rede nur dann O-Ton ist, wenn sie auf einer Aufnahme basiert; aber auch dann stellt sie bloß einen Ausschnitt dar. Häufiger sind es Miteschriften oder Zitate aus Presseaussendungen, die jedoch auch keine O-Töne sind. Somit wird auch bei objektiver Haltung eine Person gefiltert dargestellt, was im besten Fall wohlwollend gegenüber der eigentlichen Botschaft ist. Meistens meinen die Leute, dass die aus Stichworten formulierte direkte Rede ihre Intention genau trifft, aber es kann  auch Missverständnisse geben. Mit ausreichend Übung kann man übrigens schon beim Notieren möglichst viele direkte Zitate vorsehen; ich setze solche Passagen dann immer gleich in Anführungszeichen. Deshalb ist es auch eines von mehrere Alarmsignalen, dass Relotius kaum Notizen machte, denn  dies kann sich in intensiven echten Gesprächssituationen ergeben, heißt aber, dass man unmittelbar danach auf einen Kaffee geht und es nachholt. Wenn man telefoniert, ist es ähnlich, da man sich bei einem Gespräch, in dem es um viele Fakten geht,  entweder darauf oder aufs Mitschreiben konzentriert.

Florian Klenk (in Echt?) über ein Fake

Dazu kommt, dass bei längeren Recherchen nicht unbedingt immer mehr von anderen zu erfahren ist, sondern oft nur wenige, dennoch aber wichtige Details. Das ist mühsam und zäh, aber sicher nicht cool, sexy, easy und preiswürdig in einer Medienblase. Schulz meinte zu Recht, dass man an Journalistenschulen nicht lerne, eine entscheidende Frage zu stellen: wer kann mir noch etwas sagen, wer kann mir weiterhelfen? Bei intensiver Recherche ist das aber unabdingbar, auch weil der Austausch auf Augenhöhe stattfindet, d.h. der Berichtende durch seinen umfassenden Zugang auch die Sichtweise eines Gesprächsparnters mit spezieller Sachkenntnis bereichern kann. Das weist dann schon Parallen zur kriminalpolizeilichen Vorgangsweise auf, wobei jeder einem Journalisten die Auskunft verweigern kann. Und damit sind wir bei einem anderen Genre von Shooting-Stars, den Investigativreportern, deren Ruf auch schon von der großen Verunsicherung erfasst ist, wem man noch trauen kann. Es lässt sich in der kleineren österreichischen Szene ganz gut darstellen, denn da galt Alfred Worm (zuerst „Profil“, dann „News“ ) als „der“ Aufdecker, bei dem alles landete; schon wegen der Menge mussten auch Blindgänger darunter sein; außerdem ging es immer auch um Narrative.

Nach seinem Tod war die Sternstunde von Kurt Kuch bei „News“, der sich alles ansehen musste, auch Terror-Ermittlungsakten und alle US-Botschaftscables, die Wikileaks übermittelt wurden. Als er starb, schien das Zepter auf Florian Klenk vom „Falter“ überzugehen, der besonders brillierte, als die türkisblaue Regierung gebildet wurde und der BVT-U-Ausschuss begann. Per Definitionem muss sich investigativer Journalismus aber skandalträchtiger Bereiche in  Wirtschaft und Politik annehmen (statt zuzudecken wie z.B. bei den Eurofightern). Verwandt, aber eher dem Boulevard zuzurechnen ist der Enthüllungsjournalismus  – wenn man so will, nicht die Korruption eines Politikers, sondern mit wem er ein Verhältnis hat. Inzwischen werden Redaktionen verkleinert, doch zugleich verwendet man sowohl Qualitäts- als auch Investigativjournalismus inflationär. Dazu tragen auch Plattformen bei, denen Leaks wie die Panama Papers zur Verfügung gestellt werden. Typisch Relotius ist, dass er für sich selbst und nicht für den Leser schreibt, was aber ganz gut zum „Haltungsjournalismus“ passt. Dabei kann man zwar von dem ausgehen, was einen selbst interessiert, aber das kann nie alles gewesen sein, und man wird Publikum immer einiges erklären müssen. Denn es ist mit Themen ja in der Regel weniger vertraut und man kann nie wissen, was man zu Recht voraussetzen darf und was nicht. Man ist aber nur dann verständlich, wenn man dies berücksichtigt  und bei fortlaufender Berichterstattung Basics wiederholt, die man im Schlaf vor sich hersagen kann.

PS: Die Geschichte über Fergus Falls ist nun gelöscht und durch „In einer fantastischen Stadt“ („A Fantastic Town„) ersetzt worden. Die Ukraine verschonte er  übrigens nicht – ganz im Sinn der dortigen Regierung…

PPS: Zu Relotius und  REPORTAGEN: „Wie der Tages-Anzeiger berichtet, hat Relotius wesentlich dazu beigetragen, dass sein Schwindel aufflog. So hat der deutsche Journalist den Verlegern des Reporter-Sammelbands ‚Wellen schlagen‘ angeboten, eine Fortsetzung zur Geschichte mit den Waisenkindern zu schreiben. ‚Das kam nicht von uns, er hat sich das selbst ausgesucht‘, bestätigt Verlegerin Margrit Sprecher.“

Ausserdem:Warum Relotius kein raffinierter Fälscher war“ und „Wie uns ‚Haltung‘ aufgezwungen wird“ und „Der Fall Relotius: Wenn der Spiegel Fake News eingestehen muss“ und „Das ist der wahre Relotius“ (Satire).

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