Schlagwort-Archive: Politik

Relotius und die Recherche

Dieser Tage kursiert ein Video von einer Veranstaltung, bei der sich Claas Relotius seltsam vage zum Reporterdasein äußerte. Er diskutierte mit Daniel Puntas Bernet und Roland Schulz, der als Einstieg über eine Geschichte zu einer Überfallserie sprach. Dies wird sofort konkret und man erfährt, dass Schulz durch eine Zeitungsnotiz darauf aufmerksam wurde und ein halbes Jahr lang immer wieder recherchierte. Hingegen erzählt Relotius von einem Besuch in einem US-Gefängnis bei einem Inhaftierten, der einen dementen “ Kollegen“ betreut. Relotius eiert so sehr herum, dass man erst im „Spiegel“ nachsehen muss, ob es um einen Gefangenen und einen Pfleger, zwei Gefangene und einen Pfleger oder um zwei Gefangene geht, von denen einer als Pfleger fungiert. Ausserdem hat er ganz lässig unter Hackern recherchiert; eine Erfindung, wie Armin Wolf in seinem Blog betont.  In einem der zahlreichen Berichte über Relotius stand,  er wollte nicht, dass seine Texte online gestellt und ins Englische übersetzt werden. Nun ist die Geschichte im Netz abrufbar und mit dem Vermerk versehen, dass sie überprüft wird. Relotius wollte sich beim Event cool geben und sagte, dass er einen Tag im Gefängnis verbringen und alles wie die Häftlinge machen konnte, nur dass er nicht duschte, aber er musste Schnürsenkel und Gürtel abgeben.

Das ist dann wohl ein Fall für die Dokumentationsabteilung des „Spiegel“, doch ich bin sicher nicht die Einzige, die da gleich stutzig gewesen wäre. Eingefädelt hat er den Besuch via Mail an die Gefängnisleitung, sagt er, da noch bewundert von „REPORTAGEN„-Chefredakteur Daniel Puntas Bernet,  der ihm auch Arbeiten abnahm und meinte, so etwas sei unmöglich. Bei Schulz klingt das Reporterdasein nach systematischer, auch harter Arbeit, bei Relotius hingegen easy und sexy. Es fällt auf, dass Frauen dann Fragen stellen und Relotius sofort direkten Draht zu ihnen hat, auf du und du Auskunft gibt, während bei Schulz und Bernet eher ein wenig Distanz des Fachmanns dabei ist. Bei ihnen spielt immer wieder eine Rolle, wie sie auf Menschen reagierem, über die sie schreiben. Schulz spricht von einem abgehobenen Professor, wo nach ein paar Tagen aus ihm herausbrach, was er von ihm hielt; Bernet war im Dilemma, als er über die dunklen Seiten eines Konzerns in Afrika recherchierte, dessen CEO ihm auf Anhieb sympathisch war. Während beide hier Ausgleich durch die Redaktion brauchen, hat Relotius keinerlei Probleme mit emotionaler Involvierung im positiven oder negativen Sinn.

Diskussion im Freitag-Store in Hambur

 

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Politikerinnen und der Preis der Macht

Demnächst erscheint das Buch „Der Preis der Macht“ von Lou Lorenz-Dittlbacher vom ORF, das auf Interviews mit acht ehemaligen Spitzenpolitikerinnen basiert. Darin wird deutlich, dass Frauen der Abschied aus der Politik leichter fällt, sie vorher besonders den Verlust an Privatsphäre vermisst haben, aber auch, dass Frauen andere Frauen kaum fördern. Während Waltraud Klasnic rücktblickend feststellen muss, dass sie als erste Landeshauptfrau für einige Männer ein Affront war, hat Johanna Mikl-Leitner diese Probleme nicht, doch sie wurde von einem Mann unterstützt, ihrem Vorgänger Erwin Pröll. Bei der letzten Wahl kandidierten zwar mehr Frauen bei der ÖVP an wählbarer Stelle denn je, doch dies hat wenig mit Frauennetzwerken zu tun, sondern soll zu einem modernen Image passen. 2016 kandidierten ein paar Männer und eine Frau bei der Bundespräsidentenwahl; es ist schon lange her, dass zwei Frauen antraten, auch wenn noch nie eine diese Wahl gewonnen hat. Im Burgenland werden die Weichen für die Nachfolge von Landeshauptmann Hans Niessl gestellt; es scheint vollkommen undenkbar, dass es nach Gabi Burgstaller in Salzburg wieder eine rote Landeshauptfrau geben könnte. 

Man/frau könnte sich sagen, dass immerhin zwei von fünf Parlamentsparteien eine Frau an der Spitze haben, doch dies ist um den Preis des Ausscheidens der Grünen „erkauft“.; außerdem steht auf einem anderen Blatt, welchen Spielraum Frauen in der Liste Pilz wirklich haben. Es gab Zeiten, in denen Madeleine Petrovic Chefin der Grünen war und Heide Schmidt (Lorenz hat sie interviewt) an der Spitze der Liberalen stand, die jetzt als NEOS Beate Meinl-Reisinger als Chefin haben. Bei den Koalitionsverhandlungen 2013 wurde Finanzministerin Maria Fekter marginalisiert; der Protest der ÖVP Frauen war zu schwach, um sie noch in der Regierung zu halten. Als mitten in der Legislaturperiode eine Steuerreform aufs Tapet kam, genügte es den SPÖ-Frauen, in Kontakt mit den Verhandleŕn zu sein, unter denen auf roter Seite keine einzige Frau war. Diesen Sommer gab es eine Premiere, weil Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger ein Kind bekam, ein paar Wochen pausierte und jetzt ihr Partner Elternkarenz nimmt. Wie Lorenz‘ Buch auch deutlich macht, haben die meisten Spitzenpolitikerinnen entweder keine Kinder oder sie bekamen sie sehr früh und machten dann Karriere. Bei Männern spielt es hingegen keine Rolle, da sich eh jemand anderer im Alltag um Kinder kümmert.

„Bild“ über Sawsan Chebli

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Armut ist kein Weihnachtsmärchen

Je näher Weihnachten rückt, desto mehr wird geheuchelt und desto härter wird es für Menschen, die nicht mithalten können. Zum Märchen gehört, dass es nicht um Materielles geht, wenn sich in Wahrheit bei Armen (arm gemachten), sozial Geschwächten und Entrechteten alles um Alltagsprobleme dreht, die mit Geld zu tun haben. Dennoch ist die wichtigste nichtmaterielle Voraussetzung die Bereitschaft, anderen auf Augenhöhe zu begegnen, um ihnen zu helfen. Viele beruhigen aber ihr Gewissen mit Spenden an Organisationen, die wie verstopfte Gießkannen auch angesichts massiver staatlicher Zuwendungen wirken. Ein immer größeres Heer von Sozialarbeitern und Beratern aller Art wird auf Menschen losgelassen, die lieber ihren Anteil an den dafür verrechneten Kosten hätten. Niemand will ins Sozialsystem einbezahlen und den Staat am Laufen halten, damit dann, wenn sie oder er in Not ist, zu Sozialkonzernen umverteilt wird.

Bezeichnend ist auch, dass die meisten nicht die geringste Vorstellung von Armut haben, die sich ihnen allerdings selten aufdrängt, weil Arme tunlichst vermeiden, durch ein Anders Sein aufzufallen. Das ist Überlebensstrategie, denn viele sind so gleichgültig und kalt oder haben so wenig Empathie und Abstraktionsvermögen, dass man vor ihren Augen sterben kann und sie würden frohe Feiertage wünschen oder die Nummer der Caritas aufschreiben. Besonders daneben ist die Politik, und zwar ohne jede Ausnahme, was ein Zitat eines Ex-Politikers, des CSUlers Peter Gauweiler gut auf den Punkt bringt: „Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Politiker nicht machen, was sie wollen, sondern dass sie überhaupt nichts machen, dass überhaupt nichts passiert, und dass nur so getan wird, als passiere etwas, und sich alle im Kreise drehen.“ Sie nicken aber brav z.B. den ESM oder die Griechenland-Rettung (von der hungernde und obdachlose Griechen nichts haben) ab, auch wenn sie erst spätnachts Papiere auf Englisch bekommen. Würden sich etwa die 183 österreichischen Abgeordneten drängender sozialer Probleme annehmen, könnte jeder und jede eine Anfrage zu „Fällen“ stellen und dies gemeinsam medial kommunizieren.

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Wie Medien mit Politikern umgehen

Innerhalb von einer Woche sind ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner und Grünen-Chefin Eva Glawischnig zurückgetreten; beide kritisierten in ihren Abschiedsreden auch den Umgang der Medien mit Politikern. Dies führt dazu, dass manche Kommentatoren nun nachdenklich wirken, was ernst gemeint sein und bedeuten kann, dass erzielte Effekte bisher tatsächlich nicht bewusst waren. Es kann auch dafür stehen, dass scheinbares Einlenken nur der Deckmantel dafür ist, weiterhin je nach Agenda zu pushen oder zu bashen, nun aber mit dem Tarnanstrich der Aufrichtigkeit versehen. Niemand kann ernsthaft behaupten, nicht begriffen zu haben, dass Medien der Filter sind, durch den die Bevölkerung Politik wahrnimmt.

Wer vom gewollten Narrativ zu weit abweicht, sich damit auch selbst ins Out begibt, steht ebenso im Visier wie Politiker, die vom Mainstream gebasht werden, weil sie keinen fremden Herren dienen wollen. Dies finden Medienorganisationen bislang ebenso in Ordnung wie diverse Redaktionen, die Lesern und Sehern sonst erklären müssten, dass sie massiv desinformiert haben. „Wie wäre es mit ein bisschen mehr Ponyhof?“ nennt „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak seinen Leitartikel zum „harten Politikerberuf“, an dessen Ende ein „bitterer Abschied“ steht: „Unter dem Druck der eigenen Partei, angesichts schlechter Umfragedaten und von den Giftpfeilen aus klassischen und sozialen Medien verletzt haben innerhalb eines Jahres Werner Faymann, Reinhold Mitterlehner und nun Eva Glawischnig aufgegeben. Alle drei nannten nicht nur die Heckenschützen in den eigenen Reihen, sondern auch persönliche Gründe für die Entscheidung. Allen dreien sah man die Erleichterung nach dem Schritt deutlich an.“

Rücktritt von Vizekanzler MItterlehner, 10. Mai 2017

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Warum Vizekanzler Mitterlehner zurückgetreten ist

Gerade die ÖVP hat den Ruf, eine Partei der Köńigsmörder zu sein, doch beim heute verkündeten Rücktritt von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner spielt viel mehr als Kritik in den eigenen Reihen mit. Der Ablauf erinnert an den Abgang von SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann vor ziemlich genau einem Jahr, da auch diesmal Teile der SPÖ und die Medien ein Klima schafften, in dem Mitterlehner aus Selbstschutz das Handtuch werfen musste. Nicht von ungefähr widmete Mitterlehner einen Teil seiner Erklärung der Rolle der Presse und bezeichnete die Anmoderation eines Beitrags von Armin Wolf in der Zeit im Bild 2 am 9. Mai 2017 als das letzte Mosaiksteinchen, denn war für ihn sehr kränkend, dass auf Totengräber angespielt wurde. Natürlich verteidigen die Wolf-Groupies ihr Idol, das es ja niemals böse gemeint haben kann.

Es geht um weit mehr als nur konstantes Mitterlehner-Bashing, da seine Tochter letztes Jahr an Krebs starb und er erst in einem Ö 3-Interview darüber sprach, weil er sich zuvor der Medienmeute nicht aussetzen wollte. Damals ging er auch darauf ein, dass ein bestimmtes Narrativ über ihn wieder und wieder erzählt und so gefestigt wurde: „Es kränkt mich, wenn ständig die gleiche Platte vom ‚Abschießen‘ kommt, und man irgendwo den Eindruck bekommt, man wird eigentlich unter dem Wert geschlagen.“ Verständlich, dass es irgendwann nicht mehr dafür steht und man sich selbst wieder an die erste Stelle setzen muss, statt sich unter diesen Bedingungen aufzuopfern.  Es ist schade, dass Mitterlehner und andere bislang nicht auf die Idee kamen, dass man den Mainstream nicht fördern und zusätzlich noch mit Inseraten belohnen sollte, wenn dort objektive Berichterstattung Seltenheitswert hat. Denn natürlich erwischt es auch andere, wobei diese Art Presse auch Desinformationen verbreitet, z.B. um Druck auf Politiker zu verschleiern und ihnen Handlungsspielräume zu nehmen.

Die Rücktrittsrede Mitterlehners

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„Karriere mit BH“ – wie das Bundesheer um Soldatinnen wirbt

Wer sich je fragte, wie Männer beschaffen sind, die sexistische Kalender oder Werbungen basteln, wende sich an das Verteidigungsministerium, denn dort sind entsprechende Geistesgrößen beschäftigt. Vor dem Girls‘ Day am 27. April wurde nämlich ein Inserat unter dem Titel „Karriere mit BH“ geschaltet. Männer, die aus dem Alter der Pimmelvergleiche und der schwülstigen Träume nie herausgekommen sind, dachten sich ein ungeheuer witziges Wortspiel mit der Abkürzung BH für Bundesheer aus.

Zunächst thematisierte dies Lucia Marjanovic in der NZZ, dann griffen es auch „Wienerin“ und „Standard“ auf. Binnen kurzem gab es 600 Postings im „Standard“, die meistens verkündeten, Frauen sollten doch nicht so zimperlich sein und sich durch so eine Lappalie herabgewürdigt fühlen. Diese Reaktionen erinnern aber an User z.B. beim „Standard“, die mit ihren Postings zum Frauenvolksbegehren vor 20 Jahren am besten begründeten, warum es doch so notwendig ist. Es scheint keine Zeit vergangen zu sein, was jene Bereiche betrifft, in denen Frauen selten sind und auch ihr Vorhandensein im allgemeinen Bewusstsein als Ausnahme und Anormalität betrachtet wird. Zwar gibt man sich – auf frischer Tat ertappt – im Verteidigungsministerium „zerknirscht“, doch Frauenverachtung ist beim Bundesheer Alltag.

Ausschnitt aus dem Inserat im Weekend-Magazin

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Politik als Paarlauf

Noch gibt es nur eine Bewerberin für das Amt des Bundespräsidenten, doch zu Jahresbeginn werden sich die anderen Kandidaten deklarieren. Da ein wahrscheinlicher Bewerber, der Grüne Alexander Van der Bellen, kürzlich zum zweiten Mal geheiratet hat, werden Politik und Beziehungen im Blickpunkt der Medien, aber auch v0n UserInnen in Foren und in sozialen Medien stehen. Wie klischeebehaftet die Verbindung Politik und Privates sein kann, sieht man an der Berichterstattung über Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine.

Die beiden PolitikerInnen der Linkspartei waren ein paar Jahre zusammen (waren jedoch noch mit anderen PartnerInnen verheiratet), ehe sie sich scheiden ließen und einander heimlich heirateten. Dies geschah im Dezember 2014, fand jedoch erst im März 2015 den Weg in die Medien. Diese zogen dafür dann alle Register, als ob es sich bei dem „Politik-Traumpaar“ um Stars handeln würde. (1) „Ganze 26 Jahre Altersunterschied liegen zwischen Oskar Lafontaine und seiner Sahra Wagenknecht, und zusammen bringen sie es tatsächlich auf vier Ehen. Ist es schlichtweg Liebe am Arbeitsplatz oder steckt die ‚Erotik der Macht‘ hinter der ungewöhnlichen Polit-Paarung? Und wie stehen ihre Noch-Ehepartner zu dem scheinbar plötzlichen Outing?“, schrieb vip.de, als die Beziehung bekannt wurde. (2)

„Kritiker fanden das Liebesgeständnis des Paares haarsträubend, aber jeder der die beiden bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt beobachtet hat, konnte sehen, dass das Liebe sein muss“, heisst es. Daher hat sich  „das neue Traumpaar der Linken“ beim Landesparteitag in Saarbrücken, wo Lafontaine Vorsitzender der Fraktion der Linken ist, „selbst geoutet, bevor jemand anders ihnen zuvor gekommen wäre“. Lafontaine sagte:  „Der eine oder andere wird sich gewundert haben, dass Sahra heute unser Gast ist, das hat einen ganz einfachen Grund: Ich lebe seit einiger Zeit getrennt und bin seit einiger Zeit eng mit Sahra befreundet. Das war’s dann auch, und mehr habe dann dazu auch nicht zu sagen.“ Er sei „schon lange Mentor“ von Wagenknecht gewesen, wird als Erklärung hinzugefügt.

Dass Wagenknecht bei der Hochzeit 45 war und Lafotaine bereits 71, bietet natürlich Stoff für weitere Artikel im Stil von „Diese Politiker lieben jüngere Frauen“. (3) Der „Focus“ versucht sich (schein) wissenschaftlich, indem er behauptet, dass jüngere Partnerinnen das Leben von Männern verlängern, während Frauen mit jüngerem Partner früher sterben. Fast bedauernd wird aber festgestellt, dass im deutschen Durchschnitt die Frau 2,8 Jahre jünger ist als der Mann. (4) Solche Stories erwecken den Eindruck, dass Politiker sich nie oder fast nie zu Gleichaltrigen hingezogen fühlen; jedenfalls fühlt sich niemand bemüßigt, entsprechende Fälle zu erwähnen. Als Trost für alle, die nicht ins Klischee-Schema passen, zitiert „Focus“ einen Psychologen: „Menschen wählen sich nicht aus, weil sie das gleiche Alter haben, sondern weil sie gemeinsame Lebens- und Liebesthemen haben.“

Die „Welt“ entscheidet sich für einen anderen Aufhänger, weil Lafontaine jetzt bereits zum vierten Mal geheiratet hat: „Sie erwarten jetzt Schadenfreude? So ein kräftiges Sozialistenbashing nach dem Motto ‚Typisch für die moralische Verkommenheit der Kommunisten?‘ Das werden Sie nicht bekommen. Denn hinter der Zahl Vier steckt Drama. Unvorstellbar viel Drama. Zerschmissene Vasen, geöffnete Briefe, ausspionierte Handys, enttarnte Geheimnisse. Und warten. Warten auf Zuwendung, auf Verständnis, auf Neuanfang, aufs Nachhausekommen. Warten, warten, warten.“ (5)

Aus irgendeinem Grund bringt die „Welt“ Lafontaines Agieren mit seinem ursprünglichen Beruf in Verbindung: „Physiker sind die Rationalsten unter den Menschen. Sie gehören außerdem zu den Klügeren unter den Menschen. Sie sind darauf trainiert, zu beobachten und aus dem Konkreten auf das Allgemeine zu schließen, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Ganz sicher hat Oskar Lafontaine sich bei allem, was er bisher auf dem Standesamt und später vor dem Zivilgericht tat, genau beobachtet. Er hat sich lieben und hassen sehen, er hat sich ewige Treue schwören und seine eigenen Schwüre brechen sehen. Der Naturwissenschaftler in ihm hat längst verstanden, dass er dem Menschen in ihm nicht hundertprozentig vertrauen kann.“

Bekanntlich ist auch Angela Merkel Physikerin, verhält sich aber mit ihrem Flüchtlingshype vollkommen irrational, den übrigens bei den Linken vor allem Wagenknecht und Lafontaine kritisieren. Der Parteivorstand ist im Konflikt mit dem früheren Parteichef Lafontaine und der Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Wagenknecht, denn beide sind für eine Begrenzung der Flüchtlingsanzahl in Europa. (6)

Während bei Alexander van der Bellen und der Geschäftsführerin des grünen Parlamentsklubs Doris Schmidauer die Zeitung „Kurier“ unmittelbar nach der Hochzeit davon erfahren hat, dauerte es bei Wagenknecht und Lafontaine drei Monate: „Die standesamtliche Trauung der beiden Politiker der Linkspartei habe bereits am 22. Dezember in aller Stille in der saarländischen Stadt Merzig stattgefunden, berichtete die Zeitung „Bild“ in ihrer Samstagsausgabe. ‚Ja, es stimmt, wir haben geheiratet und wir sind sehr glücklich‘, bestätigte Wagenknecht dem Blatt. Die Trauung fand demnach unter Ausschluss der Öffentlichkeit in kleinem Kreis statt. Mit dabei gewesen seien nur die engsten Vertrauten des Paares. Getraut wurden die beiden nach ‚Bild‘-Informationen zwei Tage vor Heiligabend von Merzigs Bürgermeister Marcus Hoffeld (CDU) persönlich, um die Verschwiegenheit über die Zeremonie sicherzustellen.“ (7)

Die „FAZ“ schreibt weiters: „Ihre Namen haben beide behalten. ‚Es besteht keine Gefahr, dass künftig eine Sahra Lafontaine oder ein Oskar Wagenknecht irgendwo auftauchen‘, sagte Wagenknecht der ‚Bild‘. In der Traurede sprach Hoffeld der Zeitung zufolge über die Balance zwischen Politik und Privatleben. In ihren Internet- und Facebook-Auftritten schweigen sich beide über ihr Privatleben und ihre Beziehung übrigens aus.“ Sieht man sich die Webseiten der beiden an, kommt der jeweils andere tatsächlich nicht vor. (8) Sie geben Interviews wie Wagenknecht der „Tagesschau“ (9) oder halten Reden wie Lafontaine im November dieses Jahres zum Thema „Alternativen für eine echte Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa“ (10); auch Wagenknechts Auftritte im Bundestag sind sehenswert. (11) Man muss länger suchen, bis man etwas über Wagenknecht und Lafontaine als politisches Paar findet, bei dem auf Klischees verzichtet wird; nicht von ungefähr ist es ein Artikel in einer regional erscheinenden Zeitung.

Die „Mainpost“ bezeichnet sie als „gutes Team“ und zitiert Lafontaine: „Nein, wir wollen nicht nur noch als Paar wahrgenommen werden“, sagt Oskar Lafontaine „sehr charmant und sehr bestimmt“. Es hat wohl damit zu tun, dass entsprechende Interviews sich darauf konzentrieren würden, wer von ihnen kocht. Die „Mainpost“ will aber wissen, „wie es ist, als Paar im gleichen Job, für den gleichen Verein zu arbeiten. Es wäre schon faszinierend zu erfahren, wie es die beiden klären, wenn sie in einer politischen oder parteilichen Frage unterschiedlicher Meinung sind. Sie zu fragen, ob sie gegenseitig ihre Auftritte bewerten. Oder ob es manchmal nervt, dass die Arbeit immer mit daheim ist. Aber diese Seite des Teams Wagenknecht/Lafontaine kennen wohl nur wenige.“ Auch so gewinnt man aber einen Eindruck von ihnen, und dieser scheint positiv zu sein, wobei zu Lafontaine angemerkt wird, dass er „die Größe“ hat, „eine so starke, populäre Frau an seiner Seite akzeptieren zu können. Und die Herausforderung, nach ihr ans Rednerpult zu treten, nimmt er gerne an. Wagenknecht legt nämlich einiges vor. Das muss erst mal jemand toppen, auch wenn er einige Jahre länger im Politgeschäft ist.“ (12)

Wagenknecht wird vom Mainstream meist mit Begriffen belegt, gegen die sich dann UserInnenpostings (wo es noch Kommentarforen gibt) zur Wehr setzen. Als „freie Radikale“ porträtierte sie die „Zeit“ im Juli 2014, was LeserInnen damit quittieren, dass Wagenknechts Positionen keineswegs radikal seien, sie halt keine „Marionette“ wie Merkel ist. Man hängt ihr gerne das Mäntelchen der einst unzugänglichen, aber hochintelligenten Politkerin; dabei hat sie von Lafontaine gelernt, damit umzugehen, dass in einer Partei manche einfacher gestrickt und naiver sind, man dies andere aber nicht spüren lassen sollte.

„Sahra Wagenknecht ist ein Star, ihre Strahlkraft reicht weit in die bürgerlichen Kreise. Die Feuilletons konservativer Zeitungen feiern ihre Belesenheit, selbst die Wirtschaftszeitung Handelsblatt berichtete in einer achtseitigen Titelgeschichte über sie. Nicht einmal die Gala schreckt vor dieser Kommunistin zurück, die Illustrierte veröffentlichte im vergangenen Jahr eine Fotostrecke, für die Wagenknecht zurechtgemacht war wie die berühmte mexikanische Malerin Frida Kahlo. Der Playboy zeigte zwar keine Bilder von ihr, platzierte sie aber auf Platz zwei einer Rangliste der begehrenswertesten Politikerinnen“, schreibt die „Zeit“. (13) Schliesslich werde kein anderer deutscher Politiker „so oft in Talkshows eingeladen wie sie. So prägt Wagenknecht auch ohne Spitzenamt das öffentliche Bild ihrer Partei. Wie Emily, die geflügelte Dame auf dem Kühler des Rolls-Royce, verleiht sie der Linken ein interessantes Äußeres, ohne auf Kurs oder Tempo Einfluss zu nehmen. Vermutlich ist sie sogar gerade deshalb so beliebt.“

Freilich vergisst die Verfasserin des Artikels, dass man Wagenknecht nicht in Fernsehsendungen holt, um ihr eine Bühne zu bieten, sondern in der Hoffnung, sie vorführen zu können. Stattdessen bringt sie Episoden wie diese: „‚Heute hab ich zum ersten Mal einen Gast, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird‘, sagt der Fernsehmoderator Erwin Pelzig fröhlich, als er Wagenknecht in seiner Sendung begrüßt. Es klingt, als stelle er eine Person mit besonders interessantem Hobby vor. ‚Ich hab schon überlegt, ob wir Plätze freihalten sollen für die Herren‘, frotzelt er.“ Lafontaine verbindet mehr als Wagenknecht mit Personen aus anderen Bereichen des politischen Spektrums das Eintreten für ein souveränes Deutschland und für Unabhängigkeit von den USA über Parteigrenzen hinweg. Er ist jener aktive Politiker, dem der Kohl-Weggefährte Willy Wimmer (CDU) höchste Wertschätzung entgegenbringt und der sich vor Jahren mit Peter Gauweiler (CSU) anfreundete, was ihm auch Kritik von ganz links einbrachte. (14)

Zwar ist Wagenknecht fraglos kompetent, eloquent und couragiert, doch sich als Frau politisch durchzusetzen ist immer noch schwieriger; zudem ist parteiübergreifende Bündnispolitik etwas, das Männer, nicht aber Frauen gelernt haben. Der gegenseitigen Wertschätzung von Lafontaine, Wimmer und Gauweiler steht entgegen, dass Politikerinnen in Österreich bislang nur selten gemeinsame Anliegen vor Parteiräson gestellt haben. So kamen zwar – als Initiative von SPÖ, ÖVP und Grünen – die „Töchter“ in die Bundeshymne; darüber hinausgehende Frauensolidarität sucht man aber vergebens. Ohne spekulieren zu wollen, wie sehr die Beziehung zu Lafontaine Wagenknechts Position in der eigenen Partei und in der Politik beeinflusst, ist doch vorstellbar, dass sie deswegen nicht weniger hart, sondern eher noch härter arbeiten, sich noch mehr beweisen muss.

Wahrscheinlich wird es im Jänner eine Regierungsumbildung geben, zu der es im „Standard“ heisst: „Bei den Planspielen in der SPÖ wird immer wieder Beamtenstaatssekretärin Sonja Steßl genannt, die bei Faymann sehr gut angeschrieben sei und für alle möglichen Jobs genannt wird.“ (15) Dass Steßl jung und blond und offenbar für mehrere Ressorts im Gespräch ist, verleitet einige UserInnen dazu, Unterstellungen bezüglich ihres „Mentors“ zu machen. Es wird auch zu einem Video von einem Auftritt der Staatssekretärin in der „Zeit im Bild“ verlinkt, das sie zwar nicht eigenständig wirken lässt; es gibt aber noch ganz andere Performances von SPÖ-Politikerinnen. (16) Wenn selbst über Hochzeiten von PolitikerInnen klischeehaft berichtet wird, ist es natürlich kein Wunder, dass Frauen in der Politik nach wie vor damit rechnen müssen, dass ihnen anderes Verhalten als Männern nachgesagt wird.

Auch als bekannt wurde, dass Alexander Van der Bellen (72) Parlamentsklub-Geschäftsführerin Doris Schmidauer (52) geheiratet hat, gingen die Wogen unter den UserInnen hoch. (17) Da wurde bewusst übersehen, dass Schmidauer keinesfalls Sekretärin ist, ergo auch nicht das Klischee von „Sekretärin verführt Chef“ zutrifft. Freilich war Van der Bellen einmal Schmidauers Chef, bis er 2008 das Amt des Klubobmannes und des Parteichefs an Eva Glawischnig übergab. Doch auch in anderen Arbeitsumfeldern werden Betroffene mit ähnlichen Konstellationen professionell umzugehen wissen, sodass man es in diesem Fall ebenso erwarten kann. „Polit-Doyen heiratete Freundin“, schrieb „Österreich“ am 30. Dezember 2015 und verrät, dass Schmidauer bereits 1990 als Referentin des Abgeordneten Peter Pilz (der jetzt Van der Bellens Kandidatur verkündete) anheuerte.

Sie sei neben Glawischnig Van der Bellens „wichtigste Mitarbeiterin“ gewesen, als er Parteichef war. „Neue First Lady für Grünen Van der Bellen“ titelte „Heute“ am 29. Dezember zu einem kurzen Artikel, weil die Grünen keine Details bekanntgegeben haben.
Wirken Lafontaine und Wagenknecht sehr dynamisch, ist von Van der Bellen selbst wenig zu hören, wie auch sein Wikipedia-Eintrag deutlich macht (der eben um zwei Zeilen zum Privatleben ergänzt wurde): „Am 14. Juni 2012 gab er bei einer Pressekonferenz bekannt, vom Nationalrat in den Gemeinderat zu wechseln. Die offizielle Angelobung erfolgte im September 2012 bei der ersten Gemeinderatssitzung nach der Sommerpause. Im Jänner 2015 wurde bekannt, dass er sich mit Ende der Legislaturperiode aus der Wiener Kommunalpolitik zurückziehen werde. Seit August 2014 wird Alexander Van der Bellen als Kandidat für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten gehandelt. Er selbst sagte darauf, frühestens ein halbes Jahr vor der 2016 anstehenden Wahl etwas dazu sagen zu wollen. Die Grünen ließen im November 2014 bereits die Domain vdb2016.at für eine allfällige Präsidentschaftskandidatur Van der Bellens reservieren.“ (18)

Dass Van der Bellen in den Wiener Gemeinderat wechselte, ist auch an vielen politisch Interessierten spurlos vorübergegangen, da er dort wenig von sich reden machte. Auf Youtube findet man seinen letzten Auftritt im Gemeinderat im Herbst 2015 (mit sehr leisem Ton) und seinen Abschied aus dem Parlament 2012. (19) Im Mai 2015 war er in der Fernsehsendung „Bei Stöckl“ zu Gast und wurde da als möglicher Kandidat bei den Bundespräsidentenwahlen gehandelt; sein Part war es, über die Rolle „der Alten“ in der Politik zu sprechen. (20) Relativ aktuell, da am 11. November 2015 online gestellt, ist sein Auftritt beim Nachhaltigkeitstag an der Universität für Bodenkultur. (21) Die Wiener Grünen, für die er ja drei Jahre im Gemeinderat saß, bewerben auf ihrer Webseite sein Buch „Die Kunst der Freiheit“. (22)

In einem kurzen Interview dazu bei der Buchwoche tritt Van der Bellen gegen nationale Souveränität auf und wünscht sich, dass Europa „ein echter Staat“ wird, statt „mit 28 Landeshauptleuten“ ausgestattet zu sein, die „recht und schlecht durch die Krise führen“. (23) Mit dieser transatlantischen Position passt er sowohl in die heutigen Grünen, aus denen alle vertrieben wurden, die nicht auf US-Linie sind, als auch in die SPÖ, aus der er ja stammt. Hat auch die merkwürdig zögerliche Kandidatur – samt dazu passender Eheschliessung, von wegen „First Lady“ etwas damit zu tun? Was „Politik als Paarlauf“ betrifft, scheint jedenfalls eher Lafontaine als Van der Bellen Vorgaben zu machen. Es sei auf die Beschreibung der „Mainpost“ verwiesen, die Lafontaine die „Größe“ zugesteht, eine „starke, populäre Frau an seiner Seite“ zu haben, mit der man(n) argumentativ erstmal mithalten können muss. Die deutschen Grünen sind übrigens ebenso entpolitisiert wie die österreichischen, wie man an diesen Videos gut erkennen kann. (24)

(1) http://www.gala.de/stars/news/sahra-wagenknecht-oskar-lafontaine-heimliche-hochzeit_1228816.html
(2) http://www.vip.de/cms/lafontaine-und-wagenknecht-neues-politiktraumpaar-931137.html
(3) http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.wie-wagenknecht-und-lafontaine-diese-deutschen-politiker-lieben-juengere-frauen.30a7238d-0ad7-4cda-9372-27960e77f8a0.html
(4) http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-24166/oskar-lafontaine-und-sahra-wagenknecht-eine-juengere-partnerin-verheisst-ein-laengeres-leben_aid_683889.html
(5) http://www.welt.de/vermischtes/article138729883/Oskar-Lafontaine-hat-wieder-geheiratet-Warum-nur.html
(6) http://frankfurter-erklaerung.de/2015/12/fluechtlingskontingente-linke-vorstand-stellt-sich-gegen-wagenknecht-und-lafontaine/
(7) http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/geheime-hochzeit-oskar-lafontaine-und-sahra-wagenknecht-haben-geheiratet-13497210.html
(8) http://www.oskar-lafontaine.de/ und http://www.sahra-wagenknecht.de
(9) https://www.tagesschau.de/inland/wagenknecht-interview-101.html
(10) https://www.youtube.com/watch?v=PDh_ojOhauM#t=89
(11) zu Merkel als Vasallin der USA: https://www.youtube.com/watch?v=2Dlqnf43eDo und Forderung nach Sanktionen gegen die USA: https://www.youtube.com/watch?v=8hYoN6wdvG4
(12) http://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Gutes-Team-Wagenknecht-und-Lafontaine;art742,8029159 und http://www.mdb-klaus-ernst.de/wahlkreis/mainpost-wagenknecht-und-lafontaine-ein-gutes-team/
(13)  http://www.zeit.de/2014/29/sahra-wagenknecht-linkspartei
(14) https://www.wsws.org/de/articles/2015/04/09/lafo-a09.html
(15) http://derstandard.at/2000028232432/Heikle-Plaene-fuer-grosse-Regierungsumbildung
(16) https://www.youtube.com/watch?v=a6uE3e7S628 – hier eine Parodie auf die SPÖ und auf die nunmehrige Nationalratspräsidentin Doris Bures: https://www.youtube.com/watch?v=rUQMgKp8v7A
(17) http://derstandard.at/2000028190926/Van-der-Bellen-hat-wieder-geheiratet und https://alexandrabader.wordpress.com/2015/12/29/in-welchem-jahrhundert-leben-wir-eigentlich/
(18) https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Van_der_Bellen
(19) https://www.youtube.com/watch?v=IK1Z-wlPhcg
(20) https://www.youtube.com/watch?v=6hIrYaGwgu4
(21) https://www.youtube.com/watch?v=dBLA0njjxjY
(22) https://wien.gruene.at/wahl2015/vanderbellen
(23) https://www.youtube.com/watch?v=8tyyC9BXuQA –  dazu passend Eintrag von Peter Pilz vom 1. Jänner 2016: http://www.peterpilz.at/kommentar/2716/peter-pilz-tagebuch.htm – zum Buch siehe auch http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4828916/Van-der-Bellen_Wurde-FPOgefuhrte-Regierung-nicht-angeloben
(24) „Auch in dieser Legislaturperiode berichten Jan und Ska wieder aus jeder Plenarsitzung. Jetzt wird auch Terry dazukommen, sie ist als Kandidatin der Grünen Jugend neu ins Parlament gewählt worden. Diese Woche wurden die neuen Ausschüsse verteilt und der Präsident des Parlaments gewählt. Aber seht selbst“: https://www.youtube.com/watch?v=XRNkVSuvNC4&feature=youtu.be und Parteitag der Grünen, Rede zur Ukraine-Krise von Johannes Steen und Rebecca Harms samt Applaus: https://www.youtube.com/watch?v=9UNM6Ul1yK0&feature=share (man beachte, dass diese grünen Videos viel mehr negative als positive Bewertungen haben, ganz anders als Reden von Wagenknecht)

OÖ: Keine Frau in der Landesregierung – so what?

Große Aufregung herrscht in Politik und Medien, weil der neuen schwarzblauen Landesregierung in Oberösterreich keine einzige Frau angehört. Es ist allerdings vermessen zu behaupten, Frauen seien nur dann vertreten, wenn meist viel zu zaghafte Politikerinnen für ihre Interessen einstehen sollten.

Wenn der alte-neue Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) meint, es hätte entweder seitens der Bauern oder seitens der Frauen einen Aufstand gegeben, lässt dies tief blicken. (1) Denn Politikerinnen wird – wie man auch an aktuellen Reaktionen merkt – gerne unterstellt, sie seien die Repräsentantinnen der Hälfte der Bevölkerung. (2)

Ex-Landesrätin Doris Hummer befasste sich keineswegs nur mit „frauenspezifischen“ Themen, ihre Kompetenz wurde allgemein anerkannt. Als Trostpflaster soll Hummer (die ein Landtagsmandat annimmt) Chefin des Wirtschaftsbundes in Oberösterreich werden. (3) Außerdem wird die Landesvorsitzende der Jungen ÖVP Helena Kirchmayr Klubobfrau, was wohl ebenfalls das Manko der Landesregierung kompensieren soll. (4)

Pühringers Kalkül offenbart, dass man(n) sich lieber Wickel mit Frauen einhandelt als mit Bauern, deren Anteil an der Bevölkerung mittlerweile recht gering ist. Dies sagt einiges aus über die Position der ÖVP-Frauen, und man kann deren Schwäche keinesfalls nur männlichen Machterhalt-Strategien zuschreiben, wie es Frauenchefin Dorothea Schittenhelm versucht. (5)

Und wenn ihre Vorgängerin Maria Rauch-Kallat meint, Frauen seien zu leise und hätten zu wenig Durchsetzungsvermögen, dies aber auf zunächst fehlende Diskriminierungserfahrungen Jüngerer schiebt, fragt sich, welche Rolle eigentlich Ältere einnehmen. (6) Es erinnert mich an die letzte Konferenz der Wiener SPÖ-Frauen, bei der Jüngere den Part der Aufmüpfigen übernahmen und Ältere sie dafür lobten, statt selbst die Initiative zu ergreifen.

Obwohl die SPÖ in dieser Hinsicht der ÖVP sehr ähnlich ist, kritisiert sie die frauenlose Landesregierung und tritt für verpflichtende Quoten ein. (7) Dass Frauen weder bei den Regierungsverhandlungen nach der Nationalratswahl 2013 noch bei den Verhandlungen über eine Steuerreform dieses Frühjahr eine wesentliche Rolle spielten, steckten Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Co. aber stets weg.

Eine Erklärung für politische Passivität, wo Männer strategisch agieren, Einfluss nehmen, Interessen (nicht zuletzt die eigenen) vertreten, kommt aus einer ganz anderen Ecke. Die bekannte amerikanische Soziolinguistin Deborah Tannen beschreibt in einem Interview das unterschiedliche Gesprächsverhalten von Frauen und Männern so: „Eine typische Situation ist, wenn eine Frau ein Problem erwähnt und der Mann sofort eine Lösung anbieten will, obwohl sie nur das Problem besprechen wollte, ohne gesagt zu bekommen, was zu tun sei. Frauen wollen über Probleme sprechen, um sich verbunden zu fühlen. Männer sind diese Art von Gesprächen nicht gewöhnt und fragen sich: ‚Warum erzählt sie mir das, wenn sie keine Lösung will?‘ Für Frauen ist das Gespräch wichtig, um Beziehungen aufrechtzuerhalten.“ (8)

Auf Kommunikation und Verhalten in der Politik übertragen bedeutet dies, dass viele Frauen nicht lösungsorientiert agieren, keine Standpunkte vertreten und durchsetzen wollen, sondern lieber gemeinsam über „die Männer“ und die berühmte gläserne Decke klagen. Letztere wird interessanter Weise nicht so sehr als objektives, konkret feststellbares Hindernis wahrgenommen, sondern als „Gefühl“, wie eine Aussendunng der SPÖ-Frauen Niederösterreich zeigt:

„Es geht auch um eine Vorbildrolle und viele Frauen haben in der Politik das Gefühl, dass sie rasch an eine gläserne Decke stoßen. Deshalb ist das Angebot der SPÖ NÖ Frauenakademie so wichtig – wir wollen damit Frauen an der Schwelle zum Gemeinderat oder im Gemeinderat den Rücken stärken. Zudem soll durch die Vernetzung unter den Frauen – auch aus den bereits absolvierten Lehrgängen – ein Gegenpol zu den Männerseilschaften entstehen.“ (9)

Mit anderen Worten: aus dem „Gefühl“ heraus, dass der Plafond für sie bereits erreicht ist, knicken Frauen ein und trauen sich nichts mehr zu, verzichten darauf, ihre Standpunkte zu vertreten, Forderungen zu stellen, sich Funktionen zuzutrauen. Vor einiger Zeit habe ich den SPÖ-Bundesfrauen den Vorschlag gemacht, doch einmal z.B. im Rahmen eines Workshops Strategien zu thematisieren, etwa anhand der „Strategie der Sieger“ von Sun Tsu.

Dies stieß auf Unverständnis, da sich Frauen offenbar nicht mit Regeln abgeben sollen, die im Bereich von Kriegshandwerk und Spionage seit Jahrhunderten tradiert werden. Und die selbstverständlich den Männern bekannt sind, die als hervorragende Strategen gelten. Dabei geht es schlicht um Handwerkszeug auch für die Politik, das von Frauen oft nicht als erstrebenswert betrachtet wird.

Hingegen geben Frauen auf, ehe sie noch jede denkbare Möglichkeit ausgeschöpft haben, beschränkten sich aber darauf, in Gruppen zu agieren; entweder im Rahmen von parteiinternen Frauenorganisationen oder bei anderen Plattformen. Und dabei geht es wiederum sehr stark um Gefühle, um emotionale Reaktionen auf Widerstände und Anfeindungen, statt von diesen zu abstrahieren und zu kämpfen.

Es scheint, dass für viele Frauen nicht das Erreichte, nicht Leistung, Wissen, Kompetenz, Mut, Beharrrlichkeit zählen, sondern wie es ihnen und anderen Frauen bei etwas geht. Demnach müsste dann die am zartesten Besaitete, die nichts jemals riskiert, sondern sich immer hinter anderen versteckt, zum Vorbild für andere werden. Dass Männern diese Vorstellungswelt fremd ist, werden all jene Frauen verstehen, die in ihrem Leben um Durchsetzung und auf sich gestellt Sein nicht herumkommen.

Wenn Politikerinnen sich  nicht – und zwar bereits im Vorfeld, während verhandelt wird – auf die Füße stellen; kann man(n) es Männern dann wirklich verdenken, wenn sie ihre eigenen Interessen vertreten? Kann man ihnen vorwerfen, dass sie meinen, eh auch an rund 720.000 Oberösterreicherinnen zu denken, wenn in ihrem Regierungsübereinkommen z.B. steht:  „Mangelnder Respekt bis hin zu Herabwürdigung von Frauen, vor allem in Bezug auf deren berufliche Position – Polizistinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, u.a. – kann nicht toleriert werden.“

Übrigens ist bezeichnend, dass sich Widerstand u.a. innerhalb der SPÖ gegen Rotblau (jene Koalition im Burgenland, in der es immerhin zwei Landesrätinnen gibt) von Frauen auch daran entzündete, dass Landeshauptmann Hans Niessl selbstgegebene Regeln verletzt habe. Dies passt zu einer oft von Frauen z.B. im Parlament eingenommenen Rolle der Oberlehrerin, die anscheinend nicht im Traum daran denkt, Regeln selbst zu gestalten und Vorgegebenes über Bord zu werfen….

(1) http://derstandard.at/2000024356423/Schwarz-blau-in-OOeHerr-Landeshauptmann-gemmas-an?ref=rec
(2) ein Beispiel dafür ist die Aussendung des Frauenrings, dessen Vorsitzende Ex-SPÖ-Abgeordnete Sonja Ablinger ist (die aus der Partei erst austrat, als diese im Burgenland mit der FPÖ koalierte): http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151022_OTS0010/frauenring-schwarz-blauer-landeshauptmann-weist-den-frauen-die-tuer
(3) http://derstandard.at/2000024382425/Doris-Hummer-soll-Wirtschaftsbundchefin-in-Oberoesterreich-werden
(4) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151023_OTS0083/jvp-kurz-gratuliert-neuer-klubobfrau-helena-kirchmayr
(5) http://derstandard.at/2000024322276/Oberoesterreichs-schwarz-blaue-Regierung-regt-Frauen-auf
(6) http://derstandard.at/2000024349149/Rauch-Kallat-OeVP-bringt-zu-wenige-Frauen-in-wichtige-Positionen?ref=rec
(7) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151022_OTS0038/heinisch-hosekbrunner-schwarz-blau-ist-enormer-frauenpolitischer-rueckschritt
(8) http://derstandard.at/2000024195706/Deborah-Tannen-Frauen-in-Machtpositionen-sind-in-einer-Zwickmuehle – hier ist ein Bericht über Tannens Vortrag bei einem Symposium an der Universität Wien am 22.10.2015: https://alexandrabader.wordpress.com/2015/10/22/deborah-tannen-zu-medien-und-gender/
(9) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151010_OTS0025/schmidtmitterlehner-der-weg-in-die-politik-ist-fuer-frauen-immer-noch-steinig