Warum sich die Grünen selbst zerstören

Viele verstehen jene Dynamiken nicht, die wie eine nicht aufzuhaltende Eskalationsspirale zwischen der grünen Bundespartei und den Jungen Grünen ablaufen. Dass den Grünen rundum fatales bzw, nicht vorhandenes Konfliktmanagement vorgeworfen wird, vermag daran ebenso wenig etwas zu ändern wie öffentlich artikuliertes Bedauern mancher Landesorganisationen. Den Grünen wird ein über viele Jahre praktizierter eingespielter Mechanismus zum Verhängnis, dessen Zweck es war und ist, all jene auszusondern, die die eigentliche Aufgabe der Partei gefährden könnten.

Bei den vor sieben Jahren gegründeten Jungen Grünen nimmt man an, die (Ex-) Mutterpartei sei als Zusammenschluss von konservativen und progressiven Grünen entstanden, bei dem Letztere den Sieg davon getragen haben. Tatsächlich wurden aber die wirklichen Fäden von außerhalb gezogen, was nur wenige verstanden haben, für die dann – sofern sie nicht korrumpierbar waren – allenfalls ein Plätzchen am Rande frei war. Die Jungen Grünen knüpfen in Einigem an Vorstellungen an, die jene Menschen vor über 30 Jahren von Politik hatten, denen ihre Partei weggenommen wurde. Es sollte keine Parlamentsfraktion wie alle anderen, sondern eine unabhängige, nicht machtbesessene, nicht opportunistische Vertreterin der Anliegen der Bevölkerung werden.

Flora Petrik bei Versammlung (2. 4. 2017)

Es gab Personen, die einen gewaltigen Unterschied gemacht hätten und die sowohl bei den deutschen als auch bei den österreichischen Grünen dafür gesorgt hätten, dass sich heute niemand für weltferne und geradezu katastrophale Ansichten fremdschämen muss. Da die Parteien aber gekapert wurden, waren solch autonome Persönlichkeiten nicht vorgesehen, die sich nicht z.B. nach der NATO gerichtet hätten und auch nie bestrebt gewesen wären, dem Mainstream zu gefallen. Jene Grünen, die damals junge oder auch schon etwas ältere Grüne waren, hatten konkrete Vorstellungen davon, wie man Außerparlamentarisches ins Parlament bringen kann und waren auch bereit, im System dazu zu lernen, ohne sich diesem zu unterwerfen. Wie man bei der Rede der Sprscherin der Jungen Grünen Flora Petrik sehen kann, geht es immer noch darum, ohne dass aber die Bundespartei dabei Ansprechpartnerin ist.

Auf dem Youtube-Channel der Jungen Grünen findet man einen Vortrag von David Kribernegg, der Geschichte studiert und sich mit den „braunen Flecken der grünen Bewegung“ befasst. Er erinnert an zahlreiche eher obskure Gruppierungen, die durchaus gefördert wurden, um vor Wahlen Verwirrung zu stiften. Doch die Entstehungsgeschichte der Grünen gibt er nicht korrekt wieder, da es für ihn nur um einen Zusammenschluss zwischen Vereinten Grünen und Alternativer Liste ging. Der AL schreibt er Positionen und Schwerpunkte zu, die beinahe identisch sind mit den Jungen Grünen heute, um sie auf diese Weise links einzuordnen. Innerhalb der AL gab es aber Personen und Gruppen, die mehr links waren, während andere konservativer waren und daher auch je nach Bundesland oder Organisation vor Ort unterschiedliche Mehrheits- und Minderheitspositionen bestanden. Ich habe diese Zeit bei der Alternativen Liste Graz erlebt, die trotz pseudogrüner Gegenkandidaturen 1983 auf Anhieb mit 7 % in den Gemeinderat kam.

Fortschrittliche gesellschaftspolitische Positionen waren damals ohnehin ein Novum, doch konkret konzentrierten wir uns auf Verkehrspolitik, Demokratiefragen, Umweltschutz etc., da es ja darum ging, uns für die Kommunalpolitik zu empfehlen. Es war beileibe kein Konsens, aber einige von uns traten gegen die Diskriminierung Homosexueller auf; auch Frauenpolitik war zumindest den meisten Frauen ein wichtiges Anliegen. 1983 gab es auch Nationalratswahlen, bei denen die AL keine Chance auf ein Grundmandat in Wien hatte, das Restmandate zur Folge gehabt hätte, weil Josef Cap als vermeintlicher SPÖ-Rebell aufgebaut wurde und Vorzugsstimmen sammelte. Nach der Besetzung der Hainburger Au 1984, bei der sich wieder „rebellische“ Rote neben vielen anderen in Szene setzten, gab es einen grünen „Einigungsprozess“, bei dem gerade die Roten ein Quereinsteigerprojekt wollten, für das eine einflusslose Basis ehrenamtlich im Wahlkampf rennen soll.

Merkwürdiger Weise gab es bei diesen Sitzungen einen „weißen Elefanten“ im Hintergrund, den vor ein paar Jahren verstorbenen Kuno Knöbl im ORF. An sich ist politische Tätigkeit ein No-Go, wenn man beim ORF arbeitet, doch bei Knöbl (dessen Witwe Rubina Möhring Präsidentin von Reporter Ohne Grenzen ist) wurde dies geduldet. Man beachte auch, dass er Mitbegründer des Republikanischen Club Neues Österreich war, den man wie ROG und die Tarnkappen-Grünen unter „transatlantisch“ einordnen kann. Knöbl war bei Einigungsrunden nicht dabei, jedoch derjenige, von dem sich z.B. Pius Strobl (burgenländischer Ex-Gendarm, SPÖ) Anweisungen holte. Auf kommunaler und teils Länderebene war die AL zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgreich, sollte aber an die Wand gedrängt werden, weil sie nicht ins Konzept passte. Manche verstanden damals oder später, dass es um weit mehr ging als ein Ausgedinge für Sozialdemokraten, die mit der Partei über Kreuz geraten sind.

Einer der Alternativen jener Zeit ist der Historiker Franz Schandl (AL Heidenreichstein), der sich dann immer wieder publizistisch mit den Grünen befasst hat. Eine Analyse zur Entwicklung der Grünen in Niederösterreich erkärt, warum „Gegenkandidatur“ seit Jahre so angstbesetzt ist. Der Konflikt zwischen Bundespartei und Jungen Grünen entzündete sich daran, dass diese anstelle der in Graz und Linz praktisch nicht mehr vorhandenen GRAS die neuen Grünen Studierenden bei der ÖH-Wahl unterstützen und davon nicht abrücken. Schandl schreibt: „Im Zuge der Turbulenzen um die Erstellung der Wahllisten für die Nationalratswahl 1986 kam es jedoch zur Spaltung der Wahlbewegung. Auslöser war die Wahl der Wiener Spitzenkandidatin am 4. Oktober im Albert-Schweitzer-Haus.

Obgleich Freda Meissner-Blau schon im Hainburger Einigungskomitee als bundesweite Listenführerin anerkannt gewesen war, und auch in Niederösterreich gegen den ehemaligen Präsidenten des Katholischen Familienverbands (KFÖ), Leopold Kendöl (Langenzersdorf) an die erste Stelle, d. h. für das zu erwartende Grundmandat, gewählt wurde, ließ sie es sich nicht nehmen, auch in Wien gegen Andrea Komlosy, die Kandidatin der Linken anzutreten, was wohl die Konsequenz gehabt hätte, die AL-Linke des einzig möglichen Mandats zu enteignen. Als Komlosy, anders als die Ratgeber Meissner-Blaus angenommen hatten, mit überwältigender Mehrheit (222 zu 155 Stimmen) gewählt wurde, platzte die grüne Einigung. Die Spaltung der Wahlbewegung wurde von drei Personen durchgesetzt: der Spitzenkandidatin Freda Meissner-Blau, Peter Pilz, um dessen Nationalratsmandat es unter anderem ging, und Pius Strobl, der die Trennung administrierte.

Der staunenden Öffentlichkeit wurde dies als notwendiger Bruch mit linksextremistischen Elementen vermittelt und auch als solcher wahrgenommen. Man spielte die antikommunistische Karte: ‚Es ist höchst an der Zeit, dass wir uns von den Chaoten trennen, meinte Martin Fasan (ein NIederösterreicher). Die von großer moralischer Entrüstung getragene Gegenkandidatur unter dem Namen ‚Die Grünalternativen – Demokratischen Liste‘ mit Andrea Komlosy an der Spitze stand unter keinem guten Stern. Da diese Trennung schon in eine Phase fiel, wo Unterstützungserklärungen gesammelt werden mussten, konnte nur noch im Wahlkreis Wien eine Liste eingereicht werden; in Niederösterreich, dem zweiten Stützpunkt, hatte man am Stichtag bloß 498 statt 500 aufzubieten. In Oberösterreich blieb man überhaupt weit unter den erforderlichen 400. Das letztlich desaströse Ergebnis der Komlosy-Liste am 23. November 1986 mit lediglich 0,66 Prozent in Wien besiegelte den Untergang der radikalen Linken bei den Grünen.

Flora Petrik (Junge Grüne auf Flickr)

In Niederösterreich verließ praktisch der gesamte linksalternative Flügel (Luzia Bäck, Rene Kaudelka, Franz Schandl, Gerhard Schattauer, Eva Täubl, Hans Wurzer und viele andere), der bis 1986 die Mehrheit der AL-NÖ stellte, die neue Liste um Meissner-Blau und ihre Gefolgsleute.“ In der Steiermark betrachteten wir das Geschehen in Wien – teils ohnmächtig vor Wut – als Tabubruch, der einen unweigerlichen Richtungswechsel mit sich bringt, mit dem wir nicht einverstanden waren. Bezeichnender Weise war ein Slogan der chancenlosen Gegenkandidatur „Denselben Cap begeht man nur einmal“, was darauf anspielte, dass die gleichen Leute, die jetzt die AL hinausputschten, 1983 im Cap-Lager zu finden waren. Auch der 2012 verstorbene Leopold Kendöl deutete in einem Interview nach dem 4. Oktober Fremdeinfluss an und wies u.a. auf diesen Umstand hin. Als langjähriger Gemeinderat in Langenzersdorf hatte Kendöl am Rande der neu entstandenen Grünen Platz und war zeitweise – ehe die Grünen in den Landtag einzogen – Landesgeschäftsführer in Niederösterreich. Freda Meissner-Blau gewann die Kandidatenwahl gegen ihn übrigens nur, weil scharenweise Leute mit Autobussen angekarrt wurden, die man weder vorher noch nachher je wieder gesehen hat.

Im Leben der Menschen, die sehr viel in einer authentischen, unabhängigen Grünpartei tun hätten können, waren diese Verdrängungsprozesse ein sehr schmerzhaftes Erlebnis. Sie hatten kaum je Aufmerksamkeit der Medien zu erwarten und wurden von anderen vielfach gemieden, hatten unter massivem Druck auch nicht das Bedürfnis, sich untereinander auszutauschen. Statt z.B. zeitweise Abgeordnete zu sein, wurden sie Autoren und Autorinnen, Wissenschafterinnen und Wissenschafter oder blieben wenigstens auf kommunaler Ebene politisch aktiv. Was mich hier von anderen unterschieden hat, waren meine Bemühungen, ab 1992 Merkwürdigkeiten auf den Grund zu gehen, als Peter Pilz zum Parteisprecher gepusht werden sollte und zudem im Sommer plötzlich per „profil“-Interview für eine US-Militärintervention in  Bosnien eintrat. Die Medien unterstützten ihn dabei und schwiegen Widerstand dagegen tot, während der Parlamentsklub sofort brav auf Linie war. Wie immer, wenn Ziele verdeckt verfolgt werden, unterstellt man aus dem Hinterhalt Gegnerinnen und Gegnern alle möglichen persönlichen Motive.

Eine Riege kuschender Abgeordneter nicht nur in diesem Fall macht aber deutlich, worauf es ankommt und was alles anders wäre, wenn es anders wäre, denn dann stünden Personen auf, die dies 1992 nur als „Basis“ tun konnten. Verdeckte Vorgangsweise, sichtlich vorgeschickte Leute, ein Zusammenspiel mit den Medien und einige andere Seltsamkeiten konnte ich schliesslich richtig einordnen, was ebenfalls ein „Regiefehler“ beim Projekt Grüne (Fassade) war. Nach so langer Zeit ist all dies nur mehr Phantomschmerz, doch die Gefühle, die ich mit Grün vor dem Kapern verband, hätten sich fortsetzen sollen. Etwa jene lockeren Runden, in denen diskutiert wurde, ohne dass es Falltüren, Tabus, Leichen im Keller und allzu komplexe Intrigen gab. Daher verstehe ich die Jungen Grünen gut, denn auch sie wurden um das Politik Gestalten auf der nächsten Ebene betrogen. Ohne zu ahnen, was unter dem doppelten Boden der Grünen steckt, sind sie doch dem zu nahe gekommen, was man bislang verschwiegen hat.

Denn dazu gehört, dass die formale Parteichefin nur mit ausgewählten Leuten kommuniziert, aber kein Grund besteht, warum sie sich mit der rasch anwachsenden Jugendorganisation und deren Sprecherin abgeben sollte. Wenn Bundesgeschäftsführer Robert Luschnik nun neuerlich betont, dass die Jungen Grünen das Problem sind und dass ohnehin viele sich bei der Partei melden würden, die mit deren Kurs nicht einverstanden sind, spricht er in der Tradition des 4. Oktober 1986. Es ist kein Wunder, dass die Jungen Grünen in den letzten Jahren immer wieder die eigene Partei als undemokratisch kritisierten und so auch zu grundsätzlicher Kritik am Parlamentarismus gelangten. Dies ist unseren früheren Ideen in gewisser Weise ähnlich, weil wir Abgehobenheit, Käuflichkeit und Klubzwang verhindern wollten, wenngleich niemand an massive transatlantische Einflussnahme gedacht haben wird. Am 2. April gestand Flora Petrik (siehe Video) ein, dass sie „sehr traurig“ sei, zugleich ist es aber bereits „abgeschlossen“, da die Partei sich von ihrer Jugend trennt (dies ruft immer mehr Widerspruch hervor).

Man habe gesehen, „wie sehr die Grünen Angst haben“, und zwar „Angst vor einer kritischen Jugendorganisation, der es nicht darum geht, etwas zu werden, sondern vor Ort aktiv zu sein“. In Leitanträgen haben sich die Jungen Grünen „auf die grüne Gründungsidee“ bezogen, zu der ja auch Kritik am Parlamentarismus gehörte. Auch die Grünen selbst zeigen, „wie kaputt das Parteiensystem ist“, was einer „gerechten Gesellschaft, in der alle selbstbestimmt leben“, im Weg ist. Es gibt keine lebendigen Diskussionen und keine Öffnung der Partei, sondern Starrheit und Lähmung. Gerade die Ereignisse der letzten Tage zeigen den Jungen Grünen, „wie treffend ihre Beobachtungen waren“, als sie Leitanträge formulierten. All dies ist nicht sehr schmeichelhaft, beschreibt aber eine Partei, die von Anfang an als Mogelpackung angelegt war und zum Schein anders wirken sollte, jedoch ohne Mitsprache derjenigen, die Basis spielen sollen.

Das Problem heisst nicht Parlamentarismus, sondern Einflussnahme, die zu einer Auslese in Richtung Leichtgewichte und dazu führt, dass einige wissentlich fremden Interessen dienen. Die Jungen Grünen konnten sich bei den Jungen Neos treffen und können das Büro der Sozialistischen Jugend nutzen, deren Vorsitzende Julia Herr in einer TV-Talkshow Regierungsämter als sinnlos kritisiert hat. Es sei „völliger Blödsinn“ anzunehmen, ein Minister, der mit Dienstwagen und Chauffeur unterwegs ist, mache Politik. Ähnlich Flora Petrik sieht sie Basisdemokratie als Lösung, aber in der Form, dass man die Stammtische gewinnt und dann Rückhalt hat. Auch hier lassen sich Druck und Einflussnahme als Probleme identifizieren, die man dadurch vergrößert, dass man verfassungsmässige Einrichtungen weiter schwächt, statt die Dinge beim Namen zu nennen. Die „roten Jugendorganisationen“ orientieren sich aber nur daran, ob sich z.B. Kanzler Kern dem Kurs annähert, den sie bei Vorgänger Faymann so vehement bekämpft haben.

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