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Medien als Wächter: Quis custodiet ipsos custodes?

Als „Wächter“ galten die „Leitmedien“ bisher, und sie klammern sich auch an ihren früheren Ruf. Doch sie werden mehr denn je in Frage gestellt und können das nicht verdrängen, weil diese Kritik öffentlich artikuliert wird. Es ist lehrreich, einen Schritt zurückzutreten und über Journalismus und geänderte Rahmenbedingungen nachzudenken. Dies ist Journalisten in alten und neuen Medien zu empfehlen, aber auch allen, die unsicher sind, wem sie noch trauen können. Warum Debatten so rasch eskalieren und der gebotene Journalismus oft so peinlich wirkt, möchte man doch gerne verstehen. Es fallen nämlich immer häufiger banale Fehler auf, die mit ein bisschen mehr Mühe zu vermeiden gewesen wären, und das selbst in Faktenchecks. Da ist noch gar nicht die Rede von aufwändigen Recherchen, die viele Details ans Licht bringen, diese aber mit falschen Schlussfolgerungen versehen und weitere wesentliche Fakten gar nicht erst berücksichtigen. Bereits die simple Frage „quis custodiet ipsos custodes?“ als Antwort a8uf das Posting eines Redakteurs, der sich gerade selbst beweihräuchert, wirkt wie eine Provokation. Denn sie erteilt „Elitenkonsens“ und „Indexing“ als wesentlichen Elementen der Medienwelt eine Absage und ist eine Kampfansage. Frei nach Karl Marx und Friedrich Engels geben Medien die Meinung der Herrschenden als herrschende Meinung wieder.

Das Buch „Die vierte Gewalt“ („Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“) von Richard David Precht und Harald Welzer erschien erstmals im September 2022 und kam nun in einer neuen Auflage heraus. Armin Wolf und Joachim Huber vom Berliner „Tagesspiegel“ wussten bereits bei der Ankündigung des Buches, dass alles Mist ist, wie die Autoren in dieser Auflage schreiben. Viele arbeiteten sich daran ab, auch ohne es zu kennen, weil man nicht einmal mehr vorgeben muss, etwas gelesen zu haben. Doch Precht und Welzer nehmen sich ja auch kein Blatt vor den Mund und kritisieren etwa ein „Massenfremdschämen der Besserwisser“ angesichts des Ukrainekriegs. Diese Journalisten halten Politikern penibel frühere Äußerungen vor, stehen aber selbst komplett außerhalb jeder Kritik. Die Autoren verweisen auf Uwe Krüger, der aufzeigte, dass bloss Debatten innerhalb einer Elite reflektiert werden. Hingegen schreibt David Randall in „The Universal Journalist„, einer 2021 veröffentlichten Schritt für Schritt-Anleitung für guten Journalismus, dass man „Geplagte umsorgen und Umsorgte plagen“ soll. Die „Geplagten“ sollen eine Stimme in der Öffentlichkeit bekommen, was einen Elitendiskurs natürlich ausschließt. Das Umsorgen der Umsorgten durch Journalisten und das Plagen der Geplagten können wir aber täglich beobachten, siehe nicht nur Corona, wo sich viele Menschen von den Leitmedien abwandten. Welzer und Precht erklären Indexierung mit dem Beispiel von Dieter Hildebrandt, dessen Text zu Vietnam 1968 „Dieser Krieg ist unser Krieg“ die „faz“ nicht drucken wollte, sodass er zur „Zeit“ wechselte. Damit war aber der Bann gebrochen und es konnte über Vietnam diskutiert werden, es waren auch andere Meinungen zugelassen. Wenn vorgegeben wird, worüber man reden darf und wie, gibt es kein Korrektiv mehr. Denn es wurde ein Narrativ von denen etabliert, die immer Recht haben, und die so erhobenen Behauptungen werden indexiert, unter Tabu gestellt („is‘ so“).

Der „Standard“-Chefredakteur

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