Dieses Jahr kann man am 3. Mai durchaus von einer Medienstrategie der Regierung sprechen. Deshalb richtete sich der Protest auch gegen die geplante ORF-Steuer und das Ende der „Wiener Zeitung“; ausserdem gibt es eine Kampagne, die an getötete und inhaftierte Journalisten weltweit erinnert. Das Bundeskanzleramt will in Zukunft Journalisten vom PR-Apparat des Kanzlers bzw. ehemaligen Sprechern wie Kanzlerberater Gerald Fleischmann ausbilden lassen. Dies kritisierten auch die NEOS mit einem Statement während des Ministerrats. Doch man sollte ORF, „Wiener Zeitung“ und all jene Medien, deren Titelseite heute in weiss gehalten ist, an ihrer Arbeit messen. Es gibt nämlich keine einzige Geschichte, bei der eines dieser Erzeugnisse signifikant von der Konkurrenz abwich, also etwas aufdeckte, das andere zudeckten. Man kann sicher sagen, dass die Fronten jetzt klarer sind, was auch mehr Widerspruch hervorruft (und das ist nicht schlecht!), doch unabhängig war der ORF nie, dessen Redakteursrat sich jetzt zu Wort meldet. Warum Berichte nie voneinander abweichen, hat zum Teil mit dem Aufwand zu tun, der nicht tagesaktuell in Recherche gesteckt werden muss. Man sollte bereits parat haben, was zum Beispiel eine der Schlagzeilen des Tages erklärt.
Dass ökonomischer Druck auf die Branche gross ist, kann man nicht wegdiskutieren, denn Online rechnet sich nicht, soll aber den Wegfall von Print-Lesern kompensieren. Zugleich hat man das Gefühl, dass Zeitungen ganz gut leben mit meist sinnbefreiten Inseraten der öffentlichen Hand (und Medienkooperationen). Es macht die weissen Seiten doppelbödig, denn man hätte zugeben müssen, was und wie viel mehr man gerade in den letzten Jahren erhalten hatte. Zugleich sind viele Menschen stolz darauf, nur mehr alternative Medien zu konsumieren, ohne zu reflektieren, dass Journalismus ja in erster Linie ein Handwerk ist, das gelernt werden sollte. Damit aber tun sie sich schwer, Informationen und Desinformationen zu unterscheiden, sind also dort gelandet, woher sie vom Mainstream her kamen. Aus unbestrittenen Verdiensten alternativer Medien gerade bei Corona kam man nicht den Schluss ziehen, dass auch sonst immer alles stimmt. Manche wollen sich gar zu Helden stilisieren siehe Auf1, was in gewisser Weise bloss das Spiegelbild der Inszenierungen um Julian Hessenthaler ist. Eher zaghaft wird heute hingegen die Freilassung von Julian Assange gefordert, auch wenn dies von Journalisten-Organisationen unterstützt wird. Es hat eben anderes Priorität wie der Pressefreiheits-Index, der ORF und die Politik der Regierung.
Die NEOS am Ballhausplatz