Schlagwort-Archive: Helmut Kohl

Worauf Grüne und Klima-Kleber aufbauen

Was heute politisch geschieht und gepusht wird, geht Jahrzehnte zurück; dies ist gerade wegen des nächsten Klimagipfels interessant. Wer die Zeit der 1968er und des Deutschen Herbstes noch nicht bewusst erlebt hat, muss jedoch ergründen, was damals bewegte und wo die Verbindungslinien sind. Da es um viele Namen, Ereignisse und Gruppen geht, ist jeder schlichte Artikel unvollständig. Ich kann aber zeigen, wie man Muster erkennt und das Puzzle selbst komplett machen kann. Die Militanz einiger Klima-Aktivisten erinnert viele an früher, wobei die „Letzte Generation“ besonders auffällt, da sie sich auf die Strasse klebt. Man schätzt neue Interessenten ein, ob sie sich verhaften und einsperren lassen würden, oder nur festnehmen oder ob sie bloss unterstützen wollen. Ein bisschen klingt da fast die Frage aus der Zeit der RAF auf der Flucht an, was man tun würde, wenn Andreas Baader und Ulrike Meinhof vor der Tür stehen. Die 2021 in Deutschland gegründete „Letzte Generation“ wird von einer US-Stiftung und vom Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck unterstützt. Wie früher wird etwas geschaffen, bei dem jeder Bilder im Kopf hat und andocken kann; auch negative Stimmen sorgen nur für weitere Popularität.

Gerade blockierten Greenpeace und Extinction Rebellion Privajets auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol. 500 Personen hatten sich mit Fahrrädern Zutritt verschafft; 200 wurden festgenommen. Nachdem eine Radfahrerin in Berlin nach einem Unfall verstarb, weil zur Rettung notwendige Fahrzeuge blockiert wurden, tun sich manche mit Terrorvergleichen leicht. Doch die gesellschaftliche Situation war in den 1960er und 1970er Jahren eine andere, weil überall noch alte Nazis Funktionen hatten. Richter, Polizisten und andere Berufsgruppen waren vielfach noch nicht in der Demokratie angekommen. Zugleich aber wurde Widerstand in vielen linksradikalen Gruppierungen in einer Weise artikuliert, die wenig Bezug zum Alltagsleben der Mehrheit hatte. Heutige Klima-Aktivisten wirken oft so, als würden sie dort ohne Erkenntnisprozesse und Jahre dazwischen anknüpfen. Nicht von ungefähr spricht Greta Thunberg jetzt offen vom Kampf gegen den Kapitalismus; hätte sie dies gleich getan, ihre Beliebtheit wäre enden wollend gewesen.

Zur „Letzten Generation“

Worauf Grüne und Klima-Kleber aufbauen weiterlesen

Uwe Barschel und der politische Mord

Welch hohen Preis man in der Politik für Integrität bezahlt, zeigt der Mord am ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Uwe Barschel, der sich am 11. Oktober  zum 30. Mal jährt. Dem als Selbstmord getarnten Mord ging ein Rufmord voraus, indem man ihn zu Unrecht schmutziger Tricks gegen Herausforderer Björn Engholm bezichtigte, der dann auch prompt gewann. In Wahrheit ging es darum, dass Barschel Waffendeals nicht dulden wollte, die über sein Bundesland liefen: U-Boote für das unter Embargo stehende Apartheid-Regime in Südafrika und die Versorgung des Iran mit israelischen Waffen aus amerikanischer Produktion via Deutschland (samt Training für Piloten). Der „Fall Barschel“ ist auch hinsichtlich Desinformationen, Vertuschung, Mauern ein Lehrbeispiel dafür, was passieren kann, wenn man in der Politik einfach anständig sein will.

Nicht von ungefähr nennt Wolfram Baentsch sein Buch „Der Doppelmord an Uwe Barschel„, denn der Rufmord bereitete den Boden auf für den Mord. Barschel wurde jung Innenminister in seinem Bundesland und dann Ministerpräsident, galt als sehr talentiert und wurde sogar als möglicher Nachfolger von Helmut Kohl gehandelt. Doch dann fiel er plötzlich in der gesamten Politik in Ungnade, was ohne entsprechende mediale Begleitmusik undenkbar ist. Baentsch sagt im Interview unten, dass Barschel regelrecht von der politischen Bühne geräumt und dann beseitigt wurde. Zunächst brachte man einen Flugzeugabsturz am 31. Mai 1987, den Barschel nur knapp überlebte, nicht damit in Verbindung, doch im Rückblick sieht es wie Mordversuch aus. Denn die Cessna steuerte ein sehr erfahrener Pilot, der auch Rudolf Augstein flog, und er streifte beim Anflug auf die Landebahn einen Masten, der dort eigentlich nicht hingehörte, weil er geblendet wurde und „dim the lights! dim the lights!“ rief.  Vor Beginn des Wahlkampfes lag Barschel zwei Monate im Krankenhaus und engagierte dann für sein Medienteam den Springer-Mitarbeiter Reiner Pfeiffer, der aber ohne sein Wissen gegen ihn und für Engholm arbeitete, von der SPD dafür auch Geld bekam.

 

 

Uwe Barschel und der politische Mord weiterlesen

Willy Wimmer: Ist Deutschland von der Rolle?

Paradigmenwechsel in der Politik werden nicht nur durch Worte, sondern auch in Abläufen, Zeitplänen und der Art und Weise sichtbar, wie mit Ereignissen umgegangen wird. Willy Wimmer war lange CDU-Bundestagsabgeordneter und zur Zeit von Kanzler Kohl Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Er beginnt seine neueste Analyse mit dem Begräbniszeremoniell für Helmut Kohl und befasst sich dann mit der Politik Angela Merkels, die wahrscheinlich wieder Wahlsiegerin sein wird. Denn während der Mainstream zuerst SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz bejubelte, wird nun wieder die „Weltkanzlerin“ abgefeiert:

Der Unterschied könnte nicht größer sein. Gerade erst wurde Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl zu Grabe getragen. Irgendwie schien das Land, das dem Toten unendlich viel zu verdanken hatte, es eilig dabei zu haben, das militärische Zeremoniell vor dem Dom zu Speyer durchzuziehen. Die Besucher des Trauer-Gottesdienstes waren zum Großteil noch im Dom,  da wurde draußen schon die Nationalhymne intoniert. Der Eindruck drängte sich auf, daß es der derzeitigen Staatsspitze nicht schnell genug gehen konnte. Dabei hatten diejenigen, die am Sarg des verstorbenen Bundeskanzlers Worte des Gedenkens gesprochen hatten, noch seine Nähe zu den Menschen betont. Sie hatten deutlich gemacht, welches Vertrauen er bei den Staatschefs von nah und fern genossen hatte.

Begräbnis von Helmut Kohl

Willy Wimmer: Ist Deutschland von der Rolle? weiterlesen

Wolfgang Effenberger zum Tod von Friederike Beck

Die investigative Journalistin Friederike Beck stellte die Migrationsagenda von George Soros akribisch dar und gab Kritikern damit Material in die Hand. Sie befasste sich mit der Einflussnahme weiterer transatlantischer Netzwerke am Beispiel des Aufstiegs von Karl Theodor zu Guttenberg und lieferte auch damit gute Argumentationshilfe. Nun ist sie nach langer Krankheit gestorben, und Wolfgang Effenberger, der sie 2012 kennenlernte, erinnert sich an sie:

Am 28. Mai 2017 ist die Vorsitzende der „Gesellschaft für Internationale Friedenspolitik – Verstehen & Verständigen“ (GIF) nach schwerer Krankheit verstorben. Friederike Beck war das Herz der Gesellschaft; die GIF wurde durch ihre Initiative im Frühjahr 2015 gegründet als eine Denkzentrale mit Schwerpunkt Außenpolitik. Sie sollte die Rolle Deutschlands als Vermittler und Brücke zwischen Ost und West, Nord und Süd wieder in den Vordergrund stellen mit dem Ziel, eine kompromisslose, aktive Friedenspolitik in Deutschland zu fordern und zu fördern. Der frühe Tod von Friederike Beck hat uns als Mitglieder der GIF, aber auch als Freunde tief getroffen. Unter schweren Beeinträchtigungen arbeitete sie bis zuletzt an der DVD über den Kongress „Brandherd Syrien“ im vergangenen Jahr und bereitete einen weiteren Kongress zum Thema „Neue Seidenstraße“ vor. Tapfer hoffte sie bis zuletzt auf Heilung.

Friederike Beck und das „Guttenberg-Dossier“

 

Wolfgang Effenberger zum Tod von Friederike Beck weiterlesen

Mit Wehmut – Willy Wimmer über Helmut Kohl

Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl ist im Alter von 87 Jahren verstorben; sein Weggefährte Willy Wimmer erinnert sich an Gespräche, die er mit ihm nach dessen Ausscheiden aus der Politik geführt hat. Vielen brachte Wimmer in den letzten Jahren einen anderen Blick auf Helmut Kohl nahe, da er überzeugend vermitteln konnte, dass es z.B. den Kosovokrieg mit ihm nicht gegeben hätte:

2006 unterschied sich als Jahr nicht von dem, was ich zuvor gesehen hatte. Seit seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag kam ich regelmäßig und in kurzen Abständen mit dem Bundeskanzler zusammen. Sein Büro „Unter den Linden“ war ein sicherer Gesprächsort. Vorher waren es die Amtsräume im Kanzleramt in Bonn. Zu jener Zeit trieb uns wieder einmal die Sorge um einen weiteren Krieg um, ein Krieg gegen den Iran. Mit Helmut Kohl als deutschem Bundeskanzler hätte es schon nicht den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gegeben. Mit den dazu gehörenden Vier-Augen Gesprächen mit dem jugoslawischen Präsidenten Milosevic hatte der Bundeskanzler mich betraut.

Sondersendung zum Tod Kohls

Mit Wehmut – Willy Wimmer über Helmut Kohl weiterlesen

Willy Wimmer: Trump welcome – G 21 Treffen in Hamburg

Während „unsere“ Medien seit Monaten so tun, als stehe der Rücktritt von US-Präsident Donald Trump unmittelbar bevor, bereitet man sich in Deutschland auf ein Treffen mit ihm vor. Dies gibt stets willig transatlantischen Politikern Gelegenheit, sich gegenüber dem Unbequemen aufzuplustern – wobei eine gewisse Unsicherheit, was einen erwartet, für Beobachter ja ganz amüsant sein kann. Das findet auch Willy Wimmer, der lange für die CDU im Bundestag saß:

Das wird was werden. Da kommt jemand als US-Präsident zum Treffen der Staats-und Regierungschefs aus dem sogenannten G-20 Format nach Hamburg und man weiss nicht, ob er mehr als das Weiße Haus in Washington repräsentiert. Nach eigenem Bekunden vom letzten Wochenende befindet er sich im Belagerungszustand seiner parteiübergreifenden innenpolitischen Gegner in seinem Heimatland. Hinzu kommt, daß er ein Land besucht, das in fast hündischer Abhängigkeit seinen Amtsvorgängern seit 1945 zu huldigen pflegte. Ihn, den jetzigen amerikanischen Präsidenten, kann nur die Gewißheit beschleichen, daß er es nicht schaffen dürfte, zu einem der deutschen Kirchentage eingeladen zu werden. Dabei macht es überhaupt keinen Unterschied, zu welcher der bekannten Kanonen-Segner-Konfessionen er sich bekennen könnte.

Wenn Trump nach Hamburg kommt….

Willy Wimmer: Trump welcome – G 21 Treffen in Hamburg weiterlesen

Offener Brief von Willy Wimmer an Ursula von der Leyen

Kritik an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist oft insofern unfair, als dass ihr das Geschlecht und der fehlende Wehrdienst vorgeworfen wird. Doch sie muss sich, gerade um anerkannt zu werden, der Realität stellen und darf nicht auf Ablenkungsdebatten hereinfallen oder diese selbst anzetteln. So argumentiert auch Willy Wimmer, der parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium war und selbst nicht „gedient“ hat:

Offener Brief an die Verteidigungsministerin

Sehr verehrte Frau Bundesministerin,

Sie äußern sich seit einigen Wochen in Zusammenhang mit der ehemaligen Deutschen Wehrmacht und man wird den Eindruck nicht los, daß diese Tiraden von anderem ablenken sollen. Die Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung zu diesem Thema war jedenfalls den meisten Ihrer Amtsvorgänger, die sich den damit verbundenen Fragen gestellt haben, im Gegensatz zu Ihnen nicht abzusprechen.

Ja, es ist zutreffend, daß die Kapitulation der Deutschen Wehrmacht dem Zweiten Weltkrieg ein Ende gesetzt hat und sich zahlreiche Spitzenvertreter der Wehrmacht vor den Kriegsverbrecher-Tribunalen der Alliierten in Nürnberg haben verantworten müssen, mit allen sich daraus ergebenen Folgen. Es gab Konsequenzen aus diesen Verfahren und diese finden sich in der Charta der Vereinten Nationen und den Bestimmungen über das Gewaltmonopol des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wieder.

Offener Brief von Willy Wimmer an Ursula von der Leyen weiterlesen

Willy Wimmer zur Zukunft Angela Merkels

SPD 30,6 %, AfD 20,8 %, CDU 19 %, Linke 13,2 %, Grüne 4,8 % und NPD und FDP je 3 % ist das Ergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, wo auch Angela Merkel ihren Wahlkreis hat. Damit ziehen vier Parteien in den Landtag ein, und die CDU steht vor einem Debakel, weil sie von der Alternative für Deutschland überholt wurde. Willy Wimmer, lange für die CDU im Bundestag, analysiert in einem Kommentar, warum dies nicht der Anfang vom Ende Merkels Kanzlerschaft ist:

„Die schaffen das“
von Willy Wimmer

„Die schaffen das“ in Mecklenburg-Vorpommern. Die Wähler sind es satt, was die in nationalen Fragen handlungsunfähige Berliner Großkoalition, bestehend aus CDU/CSU, SPD und Grüne anbetrifft. Bevor es dieser Großkoalition gelingt, den deutschen Rechtsstaat und Deutschland als Nation abzuschaffen, geben die Bürgerinnen und Bürger den in Berlin herrschenden Kräften ein deutliches Signal, gleichsam die rote Karte: macht euch vom Acker. Um es mit Bismarck zu sagen: diese Regierung in Berlin ist nicht die Knochen eines einzigen Soldaten der Bundeswehr wert. Alles das, was sich bei dieser Wahl in Mecklenburg-Vorpommern und zuvor bei anderen Landtagswahlen gezeigt hat, kennt nur zwei Ursachen: die Entfernung der CDU vom selbstbewußten Staatsbürger und der SPD vom sozialen Ausgleich.

Die Band Jennifer Rostock singt gegen die AfD

Willy Wimmer zur Zukunft Angela Merkels weiterlesen

Angela Merkel und das Niedlich Sein

Es hat nicht nur mit dem Alter zu tun, ob Frauen „niedlich“ wirken oder wirken sollen; betrachtet man Angela Merkel anhand von Fotos und Reden, fällt ihr auf „mädchenhaft“ getrimmtes Äußeres ebenso auf wie das leichte Lispeln. Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth verniedlicht sich gerne, ebenso „Hate Speech-Expertin“ Julia Schramm, die mit Anfang 30 noch mehr auf liebes kleines Mädchen macht.

Man erinnere sich daran, dass Merkel als „Kohls Mädchen“ galt und zunächst von den politischen (Männer-) Klüngeln nicht so recht ernstgenommen wurde. Ludwig Grewe schrieb im Juli 2014 in der „Zeit“:  „Zum ersten Mal begegnete ich Merkel 1989 in Moskau. Dort verhandelte Hans-Dietrich Genscher mit den Außenministern der vier ehemaligen Alliierten über die äußeren Bedingungen der deutschen Einheit, am nächsten Tag sollte das 2+4-Abkommen unterzeichnet werden. Für die DDR nahm Ministerpräsident Lothar de Maizière an den Gesprächen teil. Er war gleichzeitig Ostberliner Außenminister, nachdem Markus Meckel von der SPD zurückgetreten war. Merkel war seineVizeregierungssprecherin.

Angela Merkel bei Pressekonferenz zu Griechenland

Angela Merkel und das Niedlich Sein weiterlesen

Sozialdemokratie und Wellness-Politik

„SPD-Frauen: Plädoyer gegen die weibliche Wellness-Politik“ wird ein Kommentar von Ulrike Posche auf der Titelseite des „Stern“ angekündigt. Nicht nur die Autorin hat beim SPD-Parteitag beobachtet, dass Wohlfühlen wollen und schwammige Aussangen kantige Positionen und harte Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Partei ersetzen.

„Glockensüß klingt es am Parteitag der SPD, die früher eine Machopartei war“, beginnt Posche ihren Text. Unter all den mit Vornamen angeredeten Genossinnen, die  miteinander für Selfies posieren, fällt eigentlich nur die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann auf, weil sie die Rede von Parteichef Sigmar Gabriel kritisierte. Posche war froh, dass Uekermann Gabriel „ans Bein pinkelt“, hebt sich dies doch von der braven Konformität anderer Frauen ab.

Sie sehnt sich zurück nach jenen Parteitagen, bei denen Männer einander „mit Verachtung geduzt“ haben, aber da war ja auch Oscar Lafontaine noch in der SPD. Während die Genossinnen heute vielleicht mal Fieber bekommen, stand Helmut Kohl 1989 einen CDU-Parteitag mit Schmerzen durch und liess sich erst danach operieren, und am Rande „verzwergte er ein paar Aufständische“ in der Partei. Heute gibt es stattdessen „das Leidenschaftsneutrale, das Loben und das Hudeln“ und Sprechblasen,  in denen von der „tollen gemeinsamen Arbeit“ geschwärmt wird, man von „integrativer Flüchtlingsarbeit“ und davon spricht, dass sich die SPD „auch um die Menschen kümmern muss, die es schwer haben“.

Mit anderen Worten stellt Posche eine „Verweiblichung“ der Sozialdemokratie fest, die dieser nicht gut tut. Die Journalistin ist des Antifeminismus unverdächtig, hat sie doch einmal den Medienpreis der „Emma“ gewonnen. (1) Vor wenigen Wochen war sie mit Gabriel in einem riesigen Flüchtlingslager in Jordanien, (2) zu ihren SPD-Stories gehören aber auch privatere Geschichten. (3)

Sucht man im Archiv des „Stern“ nach der SPD, erhält man neben zahlreichen Artikeln diese Erklärung: „Die SPD ist die älteste parlamentarisch vertretene Partei Deutschlands, Gründungsdatum: 23. Mai 1863. Ihr Kernanliegen ist die soziale Gerechtigkeit, ihre Kernwählerschaft sind Arbeiter. Derzeit macht die Partei eine menschliche Erfahrung: Sie schwächelt. 1977 hatten die Sozialdemokraten noch eine Million Mitglieder. Heute sind es weniger als die Hälfte. Ihr bestes Wahlergebnis erreichte die SPD unter Willy Brandt, der Ikone der Partei. Ihr bisher schlechtestes mit dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Zweimal stellte sie den Bundespräsidenten, dreimal den Kanzler. Einer von ihnen, Helmut Schmidt, ist nach seiner Amtszeit eine Art Ratgeber der Nation geworden.“ (4)

Allerdings sehen andere Schmidt als Paradebeispiel für einen nur scheinbar weisen alten Mann, weil er an manchen Überzeugungen starr festhielt, egal welche politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen es gab. „Schmidt und Scholl-Latour: Eine Zusammenkunft alter Männer“ nennt daher Jens J. Korff seinen „Ungebetenen Doppelnachruf auf einen ‚weisen Staatsmann‘ und einen ‚weisen Beobachter'“, nämlich auf Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour und schreibt: „Politisch hatten Schmidt und Scholl nicht viel gemeinsam. Schmidt blieb zum Beispiel, anders als Scholl, stets einer auf Kriegsvermeidung abzielenden internationalen Diplomatie verpflichtet.Was sie aber eint, sind zwei Haltungen: eine persönliche Arroganz und Überheblichkeit, die mich ein ums andere Mal fassungslos zurückgelassen hat; und eine schneidende Härte, eine Neigung zu brutal-technokratischen oder – bei Scholl – offen gewaltsamen ‚Lösungen‘, die, wie alle gewaltsamen Lösungen, nie etwas gelöst haben.“ (5)

Dämonisierte Scholl den Islam und klang immer so, als würde er sich von der Front zum Mikrofon durchgekämpft haben, liegen die fatalen Irrtümer von Helmut Schmidt etwa im Bereich Rüstung oder bei Atomkraft und Großprojekten. Zudem trat Schmidt immer für eine Dominanz der USA und der NATO ein und sah anders als die Friedensbewegung im Wettrüsten keine Zunahme der Kriegsgefahr. Zwischen „Verweiblichung“ der Politik und unbelehrbarem Altmacho-Gehabe ist aber viel Spielraum, der angesichts schwammig argumentierender Vorsitzender sowohl der SPD als auch der SPÖ nicht genutzt wird.

Albrecht Müller war Sekretär von Willy Brandt und beschreibt ein Verhalten von Sigmar Gabriel, das sehr an Werner Faymann erinnert: „Er wertete die Zustimmung der 74,3 Prozent als Auftrag, Politik in seinem Sinne weiterzumachen und keine Rücksicht mehr auf die Nein-Stimmen und die Unzufriedenheit vieler Mitglieder und Sympathisanten nehmen zu müssen. Beim Durchmarsch mit seinen Vorstellungen zum Freihandelsabkommen TTIP wurde dann am nächsten Tag gleich erfolgreich probiert, was dieses absichtliche Missverständnis in der Praxis bedeutet: Die Linie des Führungspersonals um Gabriel und Steinmeier und der anderen eher konservativen bis inhaltsleeren Sozialdemokraten wird ohne Rücksicht auf Verluste durchgehalten und in praktische Politik umgesetzt.

Die harte Antwort des Sigmar Gabriels auf die kritische Anmerkung der Juso-Vorsitzenden, bei ihm gebe es eine große Lücke zwischen Reden und Tun, war ein weiteres Signal für die harte Linie mangelnder Rücksicht auf die Vielfalt der SPD. Dieser Kurs ist geeignet, das Wahlergebnis bei der nächsten Bundestagswahl sogar noch unter die zur Zeit bei Umfragen gemessenen 25 Prozent zu drücken.“ (6) Auch in Österreich werden knapp über 80 % am Parteitag (wobei jene nicht mitgerechnet wurden, die gar nicht erst an der Wahl des Vorsitzenden teilnehmen wollten) als Bestätigung des „Kurses“ von Faymann gewertet, und ein Jahr danach grundelt die SPÖ bei 22 Prozent in Umfragen.

Mit einer anderen Argumentation kommt Müller zu ähnlichen Schlüssen wie Ulrike Posche: „Es ist immer wieder erstaunlich, mit anzusehen und anzuhören, wie primitiv die strategischen Vorstellungen vor allem der eher konservativen bzw. sogenannten pragmatischen Sozialdemokraten und spiegelbildlich der meisten Medien aussehen: Geschlossenheit, ‚in die Mitte rücken‘ – das sind die Hauptforderungen und die Ideen für eine erfolgreiche Bewerbung um eine Mehrheit. Sigmar Gabriel hat in seiner Rede ausführlich das Ziel beschworen, die Mitte und speziell die ‚arbeitende Mitte‘ unserer Gesellschaft erreichen zu wollen. Und er legt wie viele andere Wert auf Geschlossenheit und wird von den Medien mehrheitlich darin unterstützt, dass Geschlossenheit ein eigenständiger Wert sei.“

Sätze ohne jede Substanz sind bezeichnend für einen eher gefühlsorientierten Zugang ganz im Sinn traditioneller Weiblichkeit, während die „harten“ männlichen Fakten nur stören würden; beispielsweise das Ausmaß  der Armut in Deutschland, das durch ein auf Flüchtlinge und MigrantInnen konzentriertes „Wir schaffen das!“ nicht geringer wird. „Die SPD tritt relativ geschlossen auf und hat in den Umfragen ihr Ergebnis von 2013 (25,7%) nicht überschritten sondern unterboten. Die Ankündigung des Vorsitzenden, den linken Teil, der wesentlich für die Nein-Stimmen bei der Vorsitzenden-Wahl verantwortlich sein dürfte, mit Missachtung zu strafen, wird dazu führen, dass Wählerinnen und Wähler dieses Teils die Lust zu dieser Wahlentscheidung verlieren“, stellt Müller fest.

Auch für die SPÖ ist charakteristisch, dass die Parteidisziplin nach wie vor sehr gross ist, selbst wenn immer wieder Kritik artikuliert wird; diese hat bislang aber keine verändernde Dynamik entwickeln können, vielleicht weil sie die Ursachen des Niedergangs der Partei nicht berührt hat. Müllers Urteil über Gabriels Positionen fällt vernichtend aus: „Sigmar Gabriel hat lange gesprochen. Ich habe mir die Rede angehört und sie noch einmal durchgelesen und finde darin keinen Programmpunkt und kein Thema, die sich für eine nachhaltige und günstige Profilierung eignen würden.

Ich fand auch kein Thema, das geeignet wäre, den Konflikt mit der Union zu eröffnen und durchzuhalten und dabei positiv zu gewinnen. Das Flüchtlingsthema ist es nicht; das Thema soziale Gerechtigkeit ist widersprüchlich abgehandelt; Krieg und Frieden sind als Profilierungs- und Konfliktthema aufgegeben. Das ist das eigentlich Dramatische an der jetzigen Entwicklung.“ Da man in Deutschland rhetorisch immer noch etwas mehr draufhaben muss als in Österreich, wird Gabriel allerdings von einem unterboten, nämlich von SPÖ-Chef Werner Faymann.

Die Kritik ist in beiden Ländern ähnlich, da seit Jahren Standardfloskeln in Richtung der eigentlichen Klientel der Sozialdemokratie abgesondert werden, denen keine Handlungen folgen: „Die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann hat beim Parteitag den Parteivorsitzenden nach dessen Rede kritisch hinterfragt und ihm vorgeworfen, es gebe viele Lücken zwischen Reden und Tun. Er hat sich anschließend dagegen verwahrt. Und Johanna Ueckermann ist auch von anderen darob heftig kritisiert worden.“ In Österreich mussten junge KritikerInnen erleben, dass sie von Regierungsmitgliedern wie Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek gemaßregelt werden; Parteitage sind zwar etwas weniger Frauensache als in Deutschland; „Verweiblichung“ in Richtung Konturlosigkeit gibt es aber auch hier.

Welch gefährliche Falle es ist, Fakten zu vernachlässigen und (kreierte) Gefühle sprechen zu lassen, zeigt das Flüchtlingsthema. Da genügt es eben nicht zu sagen, dass „Menschlichkeit“ keine Obergrenze kennen darf oder dass es keine „Stopp-Taste“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen geben kann. Sondern es gibt nüchterne Realitäten wie die Budgetsituation, die Lage am Arbeitsmarkt, existierende soziale Not und nicht zuletzt Vorgaben der eigenen Verfassung. Vom Standpunkt des Amtseides und der Verantwortung für Österreich ist es gleichgültig, womit sich ein „verweiblichter“ Politik anhängender Bundeskanzler wohlfühlen würde, sondern er hat seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Bei der Performance der SPÖ insbesondere seit sie dem Flüchtlingshype erlegen ist besteht ohnehin der Eindruck, dass fast alle vernebelt sind und auch ein Interesse daran haben, in der harten Wirklichkeit aufzuwachen. Es ist sicher kein Zufall, dass keine Politikerin, sondern ein Politiker dagegen auftritt, nämlich der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl, der von sich sagt, sich nicht bei allen beliebt machen zu wollen. Wiederholt verwies er auf Fakten, die man nicht ignorieren dürfe, die aber seine GenossInnen in Wien und auf Bundesebene lieber weiter leugnen.

„Ich kenne kaum jemanden, der so konsequent, so fachkundig, so sachorientiert politische Lösungen sucht und zustande bringt, wie Hans Niessl. Das zeichnet das Burgenland aus“, meinte gerade der von Niessl kritisierte Faymann, als Niessl 15 Jahre als Landeshauptmann feierte, was zum „Spiel“ vor den Kulissen gehört. (7) Sarkastisch könnte man fragen, was Faymanns Lob für Niessl über ihn selbst aussagt; auch wenn er das Burgenland als „fleißig, leistungsbereit und gut geführt“ bezeichnet. Wie Männer abseits der „Verweiblichung“ der Sozialdemokratie Karriere machen, sieht man übrigens an Niessl und seinem Wahlkampfmanager.

Im Jahr 2000 wurde der bis dahin weitgehend unbekannte Lehrer Hans Niessl Landeshauptmann, weil der zuvor ebenfalls unbekannte Wahlkampfmanager Norbert Darabos strategisch geschickt agierte und selbst ein Bankskandal der SPÖ nichts anhaben konnte. Darabos wurde 2003 Bundesgeschäftsführer, rückte nach Heinz Fischers erfolgreichem Präsidentschaftswahlkampf 2004 ins Parlament nach, wo er u.a. aktives Mitglied des Landesverteidigungsausschusses war. 2007 wurde er Verteidigungsminister, 2013 wieder Bundesgeschäftsführer, ehe er im Juli 2015 in die neue Landesregierung wechselte.

Faymanns Lob dient auch deswegen nur der Bühne der Öffentlichkeit, weil er Darabos nie den Rücken stärkte gegen Druck der USA – denn ein cleverer Stratege, der zeitweise als „unbesiegbar“ galt, sollte seine Fähigkeiten in den Dienst der verdeckten US-Einflussnahme auf heimische (und EU-) Politik stellen, wozu Darabos nie bereit war. Diese Zusammenhänge habe wiederum ich exakt herausgearbeitet, weil ich – anders als die „Verweiblichungs“-Tendenzen in der SPÖ – an Fakten und nüchterner Lagebeurteilung interessiert bin und wissen will, wer wie warum reagiert oder was nicht tut, das er in seiner Postion tun müsste.

Aber welchen Spielraum hätte eine Regierungspartei SPÖ, wäre sie nicht auf transatlantischem Kurs (gegen den die SPÖ Burgenland implizit auftritt)? Gerade hat Podemos in Spanien besonders von den Sozialdemokraren gewonnen, als linke Alternative. (8) „Die Ergebnisse der Wahl in Spanien hinterlassen wieder einmal den Eindruck, es sei möglich, auch in Zeiten der Vorherrschaft des Neoliberalismus und militärisch geprägter Sicherheitspolitik Alternativen durchzusetzen. Vorsicht scheint geboten zu sein. Immerhin hatte in Griechenland mit Syriza eine fortschrittliche Partei die Wahl deutlicher gewonnen als Podemos in Spanien. Was wurde politisch daraus? Weitgehend die Fortsetzung der Austeritätspolitik.

Unter dem Druck neoliberal geprägter deutscher und europäischer Politiker. In Portugal haben sich auf Umwegen die linken Gewinner der Wahl durchgesetzt. Mühsam. Und vermutlich bedroht vom Druck von außen und medialem Druck von außen und innen. In Großbritannien hat sich ähnlich wie in Spanien mit Unterstützung einer Volksbewegung Corbyn als Vorsitzender von Labour durchgesetzt. Daran, dass diese Veränderung politisch inhaltlich nicht wirksam wird, arbeiten Konservative und Medien gemeinsam. Die Medien sind ein wesentlicher Machtfaktor. Sie können Mehrheiten von Wählerinnen und Wählern ins Leere laufen lassen“, schreiben die „NachDenkSeiten“. (9)

Sie zitieren aus einem Kommentar von Owen Jones im „Guardian“ zum Umgang mit dem NATO-kritischen Labour-Chef Corbyn: „Egal, was man von Jeremy Corbyn, seinem Führungsstil oder seiner Politik halten mag: Vor drei Monaten hat er in einer offenen und demokratischen Wahl einen erdrutschartigen Sieg errungen und ist zum Führer der größten Oppositionspartei des Landes aufgestiegen. Und seitdem ist er einem fast universellen Medienhass und –hohn ausgesetzt.“ Und: „Es ist schlimm, dass unsere Presse oft eher wie eine aggressive politische Maschine aussieht als wie ein Mittel der Bildung und Information. Aber schließlich ist unsere Presse im Besitz einer sehr kleinen Gruppe von Moguln, die unbestreitbar sehr ausgeprägte politische Ansichten haben.“

Ist es bei uns denn anders? Nicht nur, dass durchgängig ein Flüchtlingshype erzeugt wurde, ist auch die Berichterstattung über politische AkteurInnen manipulativ. (10) Tatsächliche Zustände hinter den Kulissen werden nicht angesprochen; stattdessen werden Desinformationen ewig  wiedergekäut. Es ist kein Wunder, dass es medial (nicht immer zu Unrecht) angefeindete Partei wie die FPÖ längst auf eigene Medien setzt und auf Facebook sehr präsent ist. Viele meinen freilich, „unsere“ Medien seien links, weil sie wie SPÖ und Grüne Flüchtlings- und Migrantenströme bejubeln, doch dies hat nichts mit linken Positionen zu tun. Weil wir hier ja wieder auf konturlose Wellness-Politik treffen, die bloss auf Gefühlslagen aufbaut und diese selbst kreiert. Dies vereinnahmt auch freiwillige HelferInnen gnadenlos, weil Ambivalenz und negative Erfahrungen keinen Platz haben dürfen.

(1) http://www.emma.de/artikel/der-11-journalistinnenpreis-die-preistraegerinnen-265161
(2) http://www.stern.de/politik/ausland/fluechtlingslager-zaatari-in-jordanien–sigmar-gabriel-besucht-syrische-fluechtlinge-und-ist-sprachlos-6464338.html
(3) http://www.stern.de/lifestyle/leute/spd-vizechefin-nahles–ja–wir-haben-uns-getrennt–3086000.html
(4) http://www.stern.de/politik/deutschland/themen/spd-4541456.html?order=DESC&month&year&pageNum=1
(5) http://www.heise.de/tp/artikel/46/46804/1.html
(6) http://www.nachdenkseiten.de/?p=29563
(7) http://kurier.at/politik/inland/15-jahre-als-landeshauptmann-des-burgenlands-niessl-liess-sich-feiern/170.871.016
(8) http://www.heise.de/tp/artikel/46/46925/1.html
(9) http://www.nachdenkseiten.de/?p=29669
(10) aktuelles Beispiel: http://derstandard.at/2000027903564/Hans-NiesslDer-Mann-der-doch-das-Klo-gefunden-hat