Die einen wollen bösartige Intrigen gegen Parteichef Christian Kern sehen, während andere meinen, dieser sei schon über sich selbst gestolpert. Doch es gibt sowohl Verschwörungen als auch Verschwörungstheorien, da Geschehen und Befindlichkeiten in der SPÖ höchst widersprüchlich sind. Wenn man die Lage und die Akteure näher unter die Lupe nimmt, fügt sich aber doch alles zu einem Bild zusammen. Im Umfeld der Macht gibt es wenig Ehrlichkeit, wenig echte Loyalität und vor allem wenig Menschen, die nicht nur deswegen freundlich sind (scheinen), weil jemand über ihnen steht und ihre eigene Position gefährden könnte.“Es ist eine große Fehleinschätzung, dass man meint, Parteifreunde und Freunde sind das Gleiche” sagt die ehemalige Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller im neu erschienenen Buch von Lou Lorenz „Der Preis der Macht“ über Ex-Politikerinnen. Soweit rekonstruierbar entwickelte Kern einen Plan, den er mit Personen besprach, die er als Vertraute betrachtete und war fassungslos, dass daraus eine über die Medien gespielte Rücktrittsansage wurde, die sich im Stille Post-Verfahren in Windeseile im Netz verbreitete. Die Partei ist sowieso undicht wie ein Sieb, sagen Kern-Kritiker dazu, was die Frage aufwirft, ob nicht aus dem verhunzten Silberstein-Wahlkampf gelernt wurde, denn dies war damals auch typisch.
Politikerinnen und Politiker beklagen einerseits einen Verlust an Privatsphäre, sind aber andererseits mit vielem einsam und auf sich gestellt, können es nur mit sich ausmachen, denn wer würde Angehörige mit echten Abgründen konfrontieren und nicht nur damit, wie es einer oder einem geht? Zugleich bleibt auch kaum Zeit für Freundschaften außerhalb der Politik, sodass wie in anderen Arbeitsumfeldern berufliche, hier auch aber selten belastbare Freundschaften entstehen. Denn im Ernstfall würde von Freunden verlangt, sich gegen jene zu stellen, von denen ihr Fortkommen abhängt; dies umso mehr, je mehr ein Individuum unter Druck steht. So betrachtet ist es keine große Verschwörung, wenn ein kleiner Kreis, mit dem Kern seine Pläne bespricht, nicht schweigt; dennoch ist aber von Interesse, wer sich wie verhält und welches Spiel spielt. Wurde Kern gezielt daran gehindert, seine Entscheidungen im von ihm gewählten Tempo zu kommunizieren, da ausgerechnet dann über seinen Rücktritt spekuliert wurde, als er in einer Sitzung in der Parteizentrale war, wo alle die Handys ausgeschalten hatten? Es ist auch die Rede davon, dass Informationen der ÖVP zugespielt wurden, was wieder Erinnerung an den Wahlkampf weckt, wo Leute an wichtiger Stelle mitarbeiteten, die aus den NEOS oder der ÖVP oder von beiden kamen (auch Stefan Petzner, Ex-Haider-Sprecher, wurde kurz einbezogen).
Schnellschuß von „Österreich“ am 18. September