Ibiza und die „Unabhängigkeit“ der Justiz

Bei den letzten Befragungen in diesem Jahr im Ibiza-U-Ausschuss ging es auch darum, ob die Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft behindert wurden; dies würde gut in jenes Narrativ passen, das 2018/19 im BVT-U-Ausschuss geschaffen wurde. Doch in Wahrheit ist man sich in der Justiz bei manchen Fragen durchaus einig, sodass dann falsche Schuldige gesucht bzw. Täter gedeckt werden. Abgeordnete fragen jetzt via Twitter nach anderen Fällen, in denen die WKSTA offenbar mit Querschüssen konfrontiert war, dabei wurden sie auch bisher immer wieder z.B. auf Eurofighter-Ermittlungen hingewiesen. Die Öffentlichkeit hat nur teilweise Einblick in Aussagen der Leiterin der WKSTA Ilse Vrabl-Sanda, da sie teilweise nicht öffentlich Stellung nahm und natürlich nicht auf konkrete Untersuchungen eingehen konnte. Es ist aber auch so klar, dass man mit 39 Staatsanwälten wohl kaum rund zwei Drittel der Großverfahren in Österreich betreuen kann; irgendwie sollte es anders laufen, als die WKSTA gegründet wurde, was die Regierung Gusenbauer mit Justizministerin Maria Berger vorbereitete. Es ist auch nachvollziehbar, dass gerade Ibizagate politisch durchdrungen ist, worauf unter anderem der Umgang mit Beteiligten hinweist. Zu Recht brachte die FPÖ aufs Tapet, dass der Hauptverdächtige, „Ibiza-Detektiv“ Julian H. allen Ernstes vor ein paar Wochen per Video in eine Verhandlung gegen seinen Ex-Partner Sascha W. nach Krems zugeschaltet wurde. Hier sind auch die Sicherheitsbehörden in die Pflicht zu nehmen; außerdem versucht H.s Berliner Anwalt Johannes Eisenberg, der Justiz hierzulande die Hölle heiß zu machen. 

Derlei Details bestätigen natürlich die Wahrnehmung der WKSTA, dass Ermittlungen gelenkt werden sollen, also offenbar gewisse Klippen umschifft werden, die z.B. zu den wirklichen Drahtziehern führen können. Befasst man sich mit Ibizagate, kann man ein umfangreiches Netzwerk rekonstruieren, das keine Parteigrenzen kennt; dies macht deutlich, dass der auf Türkisblau und dessen „mutmaßliche Käuflichkeit“ beschränkte Titel des U-Ausschusses sehr viel gar nicht erst im Focus hat. Manche Zufälle sind so unglaublich, dass man niemals wagen würde, sie in einer Politsatire zu erfinden; etwa, dass eine Polizeikontrolle beinahe – rückblickend betrachtet – die Ibiza-Falle am 24. Juli 2017 verhindert hätte. Oder auch, dass „Detektiv“ H. ein Konto bei Wirecard hatte, einem auch über Österreicher mit Russland verbundenen Pleiteunternehmen. Wer sich mit Ibizagate befasst, muss immer wieder Puzzleteile neu ordnen, weil weitere dazukommen; zuletzt zum Beispiel, dass das Material (nicht nur das berühmte Video) Christian Kern und Thomas Drozda im Jahr 2018 angeboten wurde. Wenn die NEOS unten twittern, dass Vrabl-Sanda Oberstaatsanwalt Johann Fuchs für befangen hält, können wir uns gleich nach Eisenstadt beamen zum Commerzialbank-U-Ausschuss, denn Fuchs wechselte 2018 von Eisenstadt nach Wien. Trotz Whistleblower-Hinweisen und einer Prüfung durch die Finanzmarktaufsicht sah die Staatsanwaltschaft Eisenstadt ja bekanntlich keinen Anfangsverdacht, sodass die Verluste der Bank noch größer wurden, ehe sie im Sommer 2020 von der FMA gesperrt wurde. Es hängt alles mit allem zusammen, da die StA Eisenstadt auch in Eurofighter-Verfahren eingebunden wurde, aber ihrerseits wie andere Staatsanwaltschaften vollkommen ignorierte, welche Zustände im Verteidigungsministerium herrschten. Es ist daher ein schlechter Scherz, wenn sich jetzt ausgerechnet die SPÖ für die Unabhängigkeit der Justiz ausspricht, ging es doch bisher darum, die Seilschaften zu decken, zu denen auch einige Genossen gehören.

Tweet der NEOS

Im 2. und 3. Eurofighter-U-Ausschuss waren es auch die NEOS, die selbst an einem Narrativ mitbastelten, das jene Netzwerke schützen sollte, zu denen auch Sponsor Hans Peter Haselsteiner gehört. Dieser war übrigens auch Zeuge im Ibiza-U-Ausschuss, doch „Aufdeckerin“ Stephanie Krisper vermied es peinlich, ihm auch nur eine einzige Frage zu stellen. Es geht dabei um Haselsteiners (und Benkos) Geschäftspartner Alfred Gusenbauer und um den Oligarchen Oleg Deripaska, dessen Schwiegervater Walentin Jumaschew plus Familie unter Mithilfe von Magna und der SPÖ eingebürgert wurde. Zu den Nachwehen der beiden letzten US-Präsidentenwahlen gehören Ermittlungen zum „Steele-Dossier“ des Deripaska-Geschäftspartners und Ex-MI6-Agenten Christopher Steele: „The FBI said the memo passed along from Steele is ‚apparently from an FSB sub-source‘ — Russia’s Federal Security Service is the main successor agency to the Soviet Union’s KGB secret police — and ‚the information describes the FSB efforts at successfully compromising Donald Trump‘.“ Eine sorgfältige Recherche über Deripaska beschreibt, wie er von Putin öffentlich heruntergemacht wurde und erwähnt, dass sich im Schlepptau des Oligarchen Agenten der GRU befinden. Weil die SPÖ Burgenland bei der Unterstützung für die Jumaschews eine Rolle spielte, kann man die politische Situation im östlichsten Bundesland ganz anders betrachten; dies auch, weil Hans Peter Doskozil Hans Niessl als Landeshauptmann nachfolgte.

Pilz und Ibiza

Wir sehen hier, wie Peter Pilz‘ Zackzack den U-Ausschuss kommentiert; bei „Milliardären“ muss man u.a. an Johann Graf von Novomatic denken, da dieser Konzern offenbar attackiert werden darf, was bei anderen nicht der Fall ist. Außerdem manipulierte Pilz nicht nur den 2. Eurofighter-U-Ausschuss; diesen (2017) aber, um Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos den schwarzen Peter für den Eurofighter-Vergleich zuzuschieben. Dieser geht aber auf die Kappe von Gusenbauer und seiner russischen Connections; die WKSTA interessierte sich nie dafür, wie Pilz auch sie an der Nase herumführte oder dass es zahlreiche Zeugen für Darabos‘ Abschottung gab, sodass der Minister sein Amt nicht gemäß Verfassung wahrnehmen konnte. Dass Regierungsmitglieder an ein „Büro“ delegieren müssen, was niemand freiwillig macht, weil dies Amtsmissbrauch gleichkommt, kennen wir auch aus dem Burgenland, denn so kam auch zustande, dass der Fast-Alleineigentümer der Bank, eine Kreditgenossenschaft, von TPA geprüft wurde. Der größte Kunde von TPA ist Benkos Signa Holding; außerdem prüfte man die Commerzialbank selbst und Wirecard CEE in Graz. Wenn nun eine Magna-Verbindung zur Bank bzw. deren Ex-Direktor Martin Pucher festzustellen ist, passt dies zur Rolle des austrokanadischen Konzerns in der Geschichte der Eurofighter-Beschaffung, aber auch der Gegengeschäfte. Die WKSTA könnte mit der Last komplexer Ermittlungen wesentlich leicht5er zurechtkommen, würde sie ausgehend von einem Fall russische Netzwerke (= Oligarchen, Organisierte Kriminalität, Geheimdienste – all das kann man nicht genau voneinander trennen) aufarbeiten. Gemäß Strafprozessordnung kann man ja nicht einfach wegschauen, wenn sich andere Verdachtsmomente als zu Beginn ergeben. Das per krimineller Vereinigung von Pilz, Gusenbauer und Doskozil angestrengte Verfahren gegen Darabos hätte die WKSTA (und vor ihr die STA Wien) sofort in eines gegen ganz andere Personen umwandeln können und müssen.

Tweet der NEOS zu Ibiza

Es ist auch nicht so schwer zu erraten, warum es immer wieder  Ausfälle gibt, wenn jemand in eine Materie eingearbeitet ist. Auch bei Ibiza geht es um jene Seilschaften, da die Video-Falle ja ein klassisches Kompromat ist, das man halt nicht zur Erpressung einsetzte, sondern indem man eine Regierung sprengte. Zu Recht vermuteten einige, dass dies nur der erste Streich war, während es dann auch um die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse bei den Casinos Austria ging. Wenige Jahre nach dem Einstieg der Sazka Group wurde diese Mehrheitseigentümerin, weil die Novomatic ihre Anteile nach öffentlichen Angriffen und einer anonymen Sachverhaltsdarstellung an die Justiz noch im Mai 2019 gegen Jahresende verkaufte. Nun steigt, siehe Tweet der FPÖ, der Private Equity-Investor Apollo bei Sazka ein, der von Baker McKenzie vertreten wird (Sazka wiederum von Clifford Chance, ein von den Eurofightern bekannter Name). Dies sollte die WKSTA ebenso im Auge behalten wie das Agieren der ÖBAG, die sich beim Verkauf der Novomatic-Anteile seltsam passiv verhielt. Es geht im U-Ausschuss auf den ersten Blick um Personalentscheidungen auch rund um die ÖBAG, doch man sollte sich an jene Privatisierungen erinnern, die mit dem Ex-Magna-Manager Karl Heinz Grasser als Finanzminister einhergingen (dessen Anwalt übrigens auch Martin Pucher vertritt). Wie alles miteinander verwoben ist, können Staatsanwälte natürlich selbst recherchieren; ich habe aber ausgehend von den Eurofightern ein weit verzweigtes Netzwerk mit mehrfachen Verbindungen zwischen Personen und Firmen etc. rekonstruiert, Es legt nahe, dass hier in Wahrheit Subversion und Unterwanderung stattfinden, was die Frage aufwirft, ob der eine oder andere Konzern eine „Front“ ist, also einem ganz anderen Zweck dient. Um auch Ermittlungen zu beeinflussen bzw. zu verhindern, dass jemand all dem auf die Schliche kommt, sind auch zahlreiche Anwälte, Richter, Staatsanwälte eingebunden; detto Medien, weil nie wirklich berichtet, allenfalls ein verzerrtes Bild von Teilbereichen geschaffen wird.

Die FPÖ zu Ibiza

Im Ibiza-U-Ausschuss scheint die Opposition völlig fixiert auf Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und die Novomatic, was schon allein der vielfältigen Beziehungen zum Glücksspielkonzern nicht gerecht wird. Sicher ist Sobotka kein geeigneter Vorsitzender des U-Ausschusses, doch dies wurde auch durch Details deutlich, die im Zuge der Wirecard-Affäre bekannt wurden. Was allerdings Ronald Rohrer als Verfahrensrichter im Ausschuss verloren hat, ist auch die Frage, weil er bei den Eurofightern die Strategie von Doskozil, Pilz und Gusenbauer mitgetragen hat, statt die Wahrheit herausfinden zu wollen. Noch seltsamer wirkt aber der Commerzialbank-U-Ausschuss, dem sich Martin Pucher bislang erfolgreich entzogen hat und in den nicht mal Hans Niessl geladen wird. Es wirkt skurril, wenn der U-Ausschuss dann halt Elisabeth Pucher befragt hat, die von den Vorgängen in der Bank nichts gewusst haben will und „mit Fassungslosigkeit“ auf die Selbstanzeige ihres Mannes reagierte. Auch bei Wirecard gab es ein Panikmoment, das ins Rollen brachte, dass aufflog, was man zuvor immer mehr oder weniger erfolgreich vertuschte; es gibt auch noch andere Parallelen. Bei den Puchers war das Thema Bank tabu, sodass Frau und Töchter überrascht waren, dass sich die Bank „in gravierender Schieflage“ befunden habe; rein zufällig ist eine Tochter bei Magna beschäftigt. Man versteht, dass die SPÖ den U-Ausschuss sofort wieder abdrehen wollte, haben doch Justiz und Polizei bislang alle Machenschaften gedeckt, die mit dem jeweiligen Landeshauptmann zu tun haben. Martin Pucher wäre übrigens lieber gewesen, das Land hätte die Revision der Kreditgenossenschaft nicht an TPA delegiert; laut einem von der ÖVP eingeholten Rechtsgutachten hatte das Land dennoch alle Rechte und Pflichten eines Revisionsverbandes. 2017 sprach ich mit dem damaligen Finanzlandesrat Helmut Bieler über Darabos; er meinte, es sei ganz normal, Regierungsaufgaben nicht selbst wahrzunehmen, was aber glatter Amtsmissbrauch ist. Wer hat einen Amtseid abgelegt, ein Büro oder ein Landesrat bzw. Minister? Heute ist klar, dass Bieler damit an seine eigene Rolle auch bei der Commerzialbank dachte; Darabos hätte nie im Leben freiwillig Statist gespielt.

3 Kommentare zu „Ibiza und die „Unabhängigkeit“ der Justiz

  1. Ihre Recherchen sind spannender als jeder Krimi. Im Grunde zeigt sich schön wie psychologisch verstrickt und letztlich narzistisch viele machtvolle Aktuere sind. Ich möchte nicht mit denen tauschen.

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    1. Es mag sicher auch Narzissmus eine Rolle spielen, aber es gibt Kriminelle, und die meisten lassen sich blenden oder verfangen sich in Einzelheiten, ohne das Gesamtbild zu sehen. Das geht jetzt weiter mit den Reaktionen auf die Urteile gegen Grasser und Co.:

      Ich denke bei Grasser an die russischen Netzwerke und Magna, die ja auch bei den Eurofightern wichtig waren:

      https://alexandrabader.wordpress.com/2020/06/27/reden-wir-klartext-ueber-die-eurofighter-frau-ministerin/

      einer der Anwälte von Grasser ist Norbert Wess, der auch Martin Pucher von der Commerzialbank vertritt. Was für ein Zufall?

      Bei Grasser wird sich jetzt alles auf Verfahrensdauer usw. konzentrieren, statt sich zu fragen, warum er Finanzminister wurde, was mit all den Privatisierungen ist;

      https://alexandrabader.wordpress.com/2020/06/20/die-ibiza-bande-und-white-collar-crime/

      Und natürlich, ob es nicht ein Muster gibt, wenn man jetzt an die ÖBAG denkt…

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