Haben wir jetzt eine ÖVP-Alleinregierung mit ein bißchen grünem Anstrich? Viele scheinen es so zu sehen und nehmen die Ressortverteilung und das Programm als Gradmesser. Seit heute kann man das Regierungsabkommen aus dem Netz herunterladen (auch als Kurzfassung), wovon ausgiebig Gebrauch gemacht wird. Unter reger Beteiligung auch aus Deutschland wird auf Twitter analysiert und spekuliert, während die Opposition nicht recht weiß, wie ihr geschieht. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor ist der grüne Bundeskongress am 4. Jänner, bei dem sicher nicht alle Delegierte zustimmen werden. Nahezu einhellig kommt Lob aus dem Bereich von Umweltorganisationen, unter anderem, weil Österreich bis 2040 „klimaneutral“ werden soll. Rechts der Mitte wird auf Panikmache gesetzt: Martin Sellner gibt den Endzeitpropheten und fürchtet politische Verfolgung, Norbert Hofer hingegen den Satiriker, wenn er kritisiert, dass Innen- und Verteidigungsministerium in den Händen einer Partei sind. Fridays for Future haben eine Menschenkette um das Bundeskanzleramt für 3. Jänner angekündigt, die Grüne Jugend stellt sich in sozialen Medien gegen die ÖVP. Wenn man Details und Reaktionen zusammenträgt, wird man nie ein vollständiges Bild liefern; deshalb geht es hier auch darum, ob gerade ein Paradigmenwechsel stattfindet.
In einem deutschen Artikel steht abschließend: „Das freut auch Berlin: Kurz und Kogler sind als eingefleischte Europäer verlässlichere Partner als zuvor die FPÖ mit ihren Avancen in Richtung Putin-Russland.“ Das stimmt auf den ersten Blick sicher, ignoriert aber politische Hintergründe, die nicht unbedingt nur mit aktuellen Ämtern zu tun haben. Die heutige Präsentation des Regierungsprogramms zeigte auch, wie unterschiedlich Sebastian Kurz und Werner Kogler auftreten. Dies führt leicht zur Annahme, dass die Grünen über den Tisch gezogen worden seien; tatsächlich aber ist es schlicht eine Stilfrage. Außerdem musste sich Kogler vor dem grünen Bundeskongress noch verteidigen und nahm inhaltlich Zuflucht zu den Lehren aus Ibiza – der Rechnungshof muss in die Bücher der Parteien Einschau nehmen, ab 25 % Staatsbeteiligung soll er auch Prüfkompetenz haben; es gibt ein Antikorruptions- und Transparenzpaket (gläserner Staat, nicht gläserner Bürger). Zusammengefasst kam von Kurz die Regierungserklärung eines Kanzlers samt Ressortverteilung (und ging u.a. auf den Kampf gegen Organisierte Kriminalität ein, aber auch auf Pflegeversicherung, starken Sozialstaat usw.), während Kogler erklärte, warum die Grünen dabei sind. Tatsächlich gibt es einige Punkte, in denen sich die Grünen wiederfinden, und zwar nicht nur im Bereich Ökologie.
Bericht von „Krone“-TV
Die in Diskussionen genannten Bereiche erwähne ich hier einmal in Auszügen: Sicherungshaft (heftige Reaktionen), „neue Radkultur„, „unabhängig finanzierter ORF„, 12 Euro-Abgabe auf jedes Flugticket, ein Informationsfreiheitsgesetz, koalitionsfreien Raum bei Asylfragen, Kopftuchverbot bis 14 Jahre, ein fundiertes Wohnkapitel gibt es auch, Senkung der Steuern auf Menstruationsprodukte, elf Punkte direkt aus dem ÖVP-FPÖ-Abkommen 2017, Reform der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Bundestrojaner:“Prüfung der Schaffung einer verfassungskonformen Regelung zur Überwachung unter anderem für verschlüsselte Nachrichten im Internet unter Berücksichtigung des VfGH-Entscheids vom Dezember 2019″, Nein zu EU-Mercosur-Abkommen, Strom zu 100% aus erneuerbaren Energien, Handelsverträge mit durchsetzbaren Standards; Digitalsteuer und Kampf gegen Steuerbetrug, eine echte Finanztransaktionssteuer. Oben sehenn wir die Freundin von Ibizagate-Anwalt M., Katia Wagner, die Berichterstattung von „Krone TV“ moderieren. Gerade heute wurde bekannt, dass die Funke-Gruppe und Rene Benko die alleinige Kontrolle über die „Krone“ bei der Wettbewerbsbehörde anmeldeten. Wozu dann eigentlich Ibizagate, kann man sich fragen – auch wenn man vermutet, dass Sebastian Kurz de facto allein regiert.
Beachtung in Israel (siehe auch hier)
Daniel Kapp war einmal Sprecher von ÖVP-Vizekanzler Josef Pröll und macht heute PR für den ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtash; nach Ibiza hieß es, dass ihm das Video auch angeboten worden sei, was er jedoch dementierte. Besonders auffällig ist jedoch, dass die Kompetenzverteilung eindeutig zu Gunsten der ÖVP ausgeht, und das weit über das Wahlergebnis hinaus. Wo auch immer die Grünen für etwas zuständig sind, wurden wesentliche Aufgaben in den Bereich der Türkisen verlagert. Es gibt auch keine/n grüne/n Staatssekretär/in im Finanzministerium, um auszugleichen, dass Gernot Blümel Minister wird. Sondern bei Werner Kogler im Vizekanzleramt (u.a. Beamte und Sport wie einst Heinz-Christian Strache) Ulrike Lunacek als Staatssekretärin für Kunst und Kultur. Man mag sie nach der missglückten Wahl von 2017 belohnen, aber sie selbst hätte sich wohl Europafragen vorgestellt. Diese haben aber mit Karoline Edtstadler eine eigene Ministerin, und nicht einmal Frauen darf bei den Grünen sein, sondern bei Integrationsministerin Susanne Raab. Leonore Gewessler hat als Umwelt- und Infrastrukturministerin den türkischen Staatssekretär Magnus Brunner zur Seite gestellt bekommen. Rudi Anschober ist Sozial- und Gesundheitsminister, Christine Aschbacher ist aber für Arbeit (und Familie und Jugend) zuständig. Gewessler hat nichts mit Landwirtschaft zu tun, was bei Umweltagenden sinnvoll wäre, sondern dies fällt in den Bereich von Elisabeth Köstinger (und Tourismus).
Am 1. Jänner 2020 im Winterpalais
Eine bezeichnendes Twitter-Posting verglich diese Strategie damit, jemanden zum Innenminister ohne Polizei oder Verteidigungsminister ohne Bundesheer zu machen. Fällt den Grünen fehlende Routine da auf den Kopf und war auch nicht mehr drinnen? Und geben sie sich mit nicht terminisierten Formulierungen zufrieden, die das lange Procedere ausblenden, bis etwas in Gesetzesform gegossen wurde, Ministerrat und Parlament passiert hat? Nicht von ungefähr ist das Klimakapitel das umfangsreichste geworden, was aber an besonders salbungsvollen Formulierungen liegt. Vieles klingt schwammig, etwa wenn eine CO²-Bepreisung erst ausgearbeitet werden soll, und das bis 2022. Zeitweise hatte Österreich einen Regierungssprecher wie Deutschland; da dies kein sonderlich erfolgreiches Modell war, verzichtet man nun darauf. Manche sehen dies als weiteren Minuspunkt für die Grünen, da das Kurz-Team in der politischen Kommunikation natürlich weitaus routinierter ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Grünen jedenfalls auf Parlamentsebene komplett ausgetauscht wurden, denn nur Sigi Maurer verfügt überhaupt über wenige Jahre an Erfahrung und folgt deswegen Werner Kogler an der Klubspitze nach. Viel Debatte löste aus, dass es einen koalitionsfreien Raum geben kann – wenn man sich nicht auf gemeinsame Vorlage einigen kann, steht der Partei, die etwas beantrragen will, die Möglichkeit offen, sich andere Mehrheiten zu suchen; dies gilt aber nur für den Asyl- und Migrationsbereich. Abgeräumt wurde jedenfalls die Opposition: was sollte die SPÖ einer Regierung vorhalten, in der mehr Frauen als Männer sitzen? Die letzte SPÖ-Regierung mit Bundeskanzler Christian Kern ab Mai 2016 bestand aus nur drei Ministerinnen und einer Staatssekretärin, der Rest waren Männer; jetzt sind es acht Ministerinnen und eine Staatssekretärin.
Eine der Diskussionen zur Koalition
Übrigens fehlt ein Bundesland in der Bundesregierung – das Burgenland, das zuletzt durch Norbert Hofer bzw. davor durch Hans Peter Doskozil vertreten war. Wie immer bei einer Regierungsbildung kümmert sich alles nur um die Beteiligten und Politiker, die bisher etwas mehr im Rampenlicht standen, werden zu Beobachtern am Rande. Das erwischt diejenigen erst recht wie eine kalte Dusche, die ohnehin sehr mit sich selbst hadern (SPÖ und FPÖ). Die Macht des Faktischen, der vollendeten Tatsachen, scheint in einem türkisgrünen Experiment, das europaweit und international registriert wird, besonders stark zu wirken. Dennoch führte der Weg dorthin zu einem Teil über den Greta-Hype und über Ibizagate; Letzteres sicher weit mehr, auch wenn manche gerne alles dem Klima zuschreiben wollen. Es gab ja über Jahre aufgebaute Grüne, die mit bestimmten Anliegen verbunden waren, auch wenn sie bei der Wahl 2017 Pech hatten. Die Gleichsetzung Öko und Antikorruption ist nicht neu, weil es schon einmal Plakate „100% bio, 0% korrupt“ gab. Freilich ist dies auch nur ein Narrativ, für das vor allem die Tätigkeit von „Aufdecker“ Peter Pilz sorgte, in dessen Schlepptau auch Kogler U-Ausschüsse frequentierte. Hätte Pilz nicht 2017 gegen die Grünen kandidiert, wären sie vielleicht wieder in den Nationalrat eingezogen. Dass es überhaupt so weit kam, hatte auch mit seiner Rolle bei den Eurofightern zu tun, die von Schwarzblau II angeschafft und von Pilz, Gusenbauer und Co. bekämpft wurden.
Die Grünen nach Ibiza
Die Grünen nahmen dies kritiklos hin und waren sogar damit einverstanden, dass auch nach dem Bruch Ende Juni 2017 noch der Fraktionsbericht zum 2. Eurofighter-U-Ausschuss Mitte Juli gemeinsam verfasst wurde. Dabei tunkte Pilz auftraggemäß mit Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos einen Unschuldigen ein, wie ich hier für die neue Ministerin Klaudia Tanner mit Infos zu inetrnationalen Netzwerken und Luftfahrt- und Rüstungsindustrie erkläre. Manchmal ist besonders vielsagend, was im Koalitionsabkommen nicht groß aufgebauscht wird; deshalb sei hier auf die prägnante Kurzfassung verwiesen, in der wir die unten abgebildeten Stichworte zum Bundesheer finden. Immerhin soll der verfassungsgemässe Zustand wiederhergestellt werden, der in dem Moment verletzt wurde, als die Gusenbauer-SPÖ vor 13 Jahren das Ressort übernommen hatte. Damals wurde der neue Kanzler auch in den eigenen Reihen heftig dafür kritisiert, so gar nicht auf Schlüsselressorts geachtet zu haben, sodass das Finanzministerium zur ÖVP wanderte, er auch auf Innen- und Außenministerium verzichtete. Doch das BMLV war eine conditio sine qua non, und das hat wiederum mit Interessen im Hintergrund zu tun und war für die österreichische Innenpolitik bis heute folgenschwer.
Aus der Kurzfassung
Das „Bekenntnis zur Luftraumüberwachung und zum Schutz des österreichischen Luftrams durch das Österreichische Bundesheer“ kann man als Ansage in Richtung all jene werten, die immer noch an den Eurofightern rütteln oder die schwachsinnige Anzeige von Pilz‘ Verbündetem Landeshauptmann Hans Peter Doskozil gegen Airbus gutheißen. Ein „gesamtstaatliches ressortübergreifendes Lagezentrum“ kann sehr viel bedeuten, wenn hybride Bedrohungen ins Visier genommen werden, statt bei Landesverteidigung nur an alte Vorstellungen rein militärischer Konflikte zu denken. Wie erwähnt ist auch die FPÖ völlig durch den Wind, die sich immerhin darüber freuen kann, Grünen ihre frühere Ablehnung der Sicherungshaft um die Ohren zu pfeffern. Man kann besonders die Aussagen von Parteichef Norbert Hofer nur mehr einem Satireaccount zuschreiben, wenn er kritisiert, was man selbst getan hat. Vielleicht sollten wir an „und man sieht nur die im Lichte, die im Dunklen sieht man nicht“ denken, denn der wahre Wandel ist das Entfernen von Rot und Blau von Machtpositionen. Ibiza zeigte im Grunde nur, wie sehr Strache bereit ist, auf Gusenbauers Spuren zu wandeln, dem die SPÖ immer noch die Mauer macht (auch wenn Ibizagate anders gemeint und geplant war).
Zur Info: Norbert Hofer erklärt im ORF 2, warum es sehr wohl ein Unterschied ist, dass IM und LV und BK in KURZ II in einer Hand sein würden, in KURZ I war der BK bei der ÖVP und IM und LV bei der FPÖ- also aufgeteilt! Diesmal hätten die Grünen gar keine Kontrolle. Das war sein Bedenken, auch wenn er das erst jetzt vollständig formuliert hat!
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Ja, stimmt, das ist natürlich ein Unterschied – es ist von daher nicht ganz vergleichbar, wenn beides bei der Kanzlerpartei ist.
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Zur Info, Herr Hofer erklärte in ORF2, dass in der türkis/blauen Regierung der Kanzler bei den Türkisen war und die 2 Sicherheitsressorts bei der FPÖ, diesmal der Kanzler und die zwei Sicherheitsressorts bei dre ÖVP, das hat er kristisiert, auch wenn das in seinem Posting zuerst nicht richtig rüberkam, kann ich seinen Gedankengang jetzt schon verstehen.
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Er kritisierte auch dieses:
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200103_OTS0060/fpoe-hofer-tuerkis-gruen-laesst-burgenland-links-liegen
Stimmt, zuletzt kam Hofer aus dem Burgenland.
Davor Doskozil, vor ihm waren es Ostermayer und Berlakovich, früher auch Darabos.
Davor war es wieder niemand….
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etwas Heiteres: das ist unsere Antwort auf Greta:
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Ich habe das Programm überflogen, ein Sammelsurium bester Absichten.
Jetzt die Frage. Warum liegt bei mir im Garten keine Glasfaser direkt an, aber von 5G träumen.
Der Martin Sellner soll sich nicht aufregen. Er und die IB haben es ins Regierungsprogramm geschafft. Der Hofer nicht. Und schon folgt ein kleiner Trost.
Die IB betreibt in gewissem Maße auch Deutschförderung. Geht genauso mit Käppchen, Florett und Liederbuch usw…
Ich würde die IB eher für ausgesprochene Etatisten halten und nicht für staatsfeindlich.
Mittlerweile kehrt auf dem Wege der Kommunismus und die damit verbundene Abwehr staatszersetzender Tendenzen zurück und das in Gestalt es Digitalen Streetworks, resp. unter dem Deckmantel die potentielle Totalüberwachung. Das heißt konkret ‚Forschung zur Demokratiestärkung‘.
Wir alle sind der Staat, daran glauben grad mal ein paar mit denen sowieso keiner jemals zu machen war.
Beispielsweise die Einführung eines jährlichen Berichts zur Entstehung von Parallelgesellschaft/segregierten Milieus in Österreich.
Ganz konkret sollen Entmischungstendenzen unterbunden werden oder zumindest dokumentiert. In der Praxis heißt das, dass wenn zwei Menschen die sich … watch?v=sULN3U1NjlI oder watch?v=MxNcIxuBMn4 wollen heiraten auf eine schwarze Liste kommen. Zum Cornelius und den Ambros kommt bald der digitale Streetworker online und schickt die Jungs offline. Bald ist entmischt allein schon nicht vermischt.
Sei es drum. Wie sagt man so schön in diesem einst wunderbaren Land geprägt von Natur und Landschaft in Vielfalt und Schönheit, ‚Is ma wurst‘.
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Finde auch gut, daß endlich was gegen Hass unternommen wird. Auch gegen Rechtsextremismus – Links gibt’s ja sowas nicht.
Gewisse Hassverbrechen gegen Regierende Parteienwelten (Schwarz oder Türkis) sollten in Blasphemie umbenannt werden, damit hätten wir gleich was Kulturenverbindendes getan.
Nachdem jetzt Satire, Kunst und Kultur weiter gefaßt normiert sind ist Lunacek bestens platziert.
Und die Sicherungshaft wird auch nicht mehr so eng gesehen werden mit einsitzenden Identitären, ect…
Das Regierungsprogramm kommt eh von der CEU.
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Und für das Wohlbefinden der Wähler wird via Medien mit Kurz-Soap-Operas gesorgt, auch der Kogler kommt nicht zu kurz.
Das wird sic noch steigern, schließlich hat der Gesalbte mit Benko alle Medien bestens im Griff.
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