Die Regierung verlegt mit ihrer Mehrheit im Parlament das Inkrafttreten des 12 Stunden-Tags auf September 2018; besonders die SPÖ protestiert lautstark, aber bislang vergeblich dagegen. In der Auseinandersetzung wird ihr vorgeworfen, Abgeordnete der Regierungsparteien zu bedrohen, da Tafeln, Grablichter und Pflastersteine an deren Wohnadressen deponiert wurden. Es war interessant und auch erschreckend zu beobachten, wie sofort auf Social Media Verdächtigungen artikuliert wurden, ohne dass man wusste, wer für diese Aktion verantwortlich zeichnet. So ließ sich auch trefflich davon ablenken, dass bislang 10 Stunden Arbeit pro Tag erlaubt waren, nun aber um zwei mehr und in der Woche um zehn mehr legitim sein sollen. Inzwischen wurde bekannt, dass ein Überwachungsvideo ÖGB-Mitarbeiter an einer der Abgeordnetenadressen zeigt. Wenn alle, die sich gewollt empören, wieder herunterkommen, wird ihnen auffallen, dass derart drastisch auch innerhalb der SPÖ agitiert wurde, nämlich als es galt, Bundeskanzler Werner Faymann zu stürzen. Damals gab es eine Totenwache der Parteijugend vor der Löwelstraße, Sargträger am 1. Mai und zuvor im April eine Aktion, bei der den eigenen Abgeordneten unterstellt wurde, puncto Asylpolitik über Leichen zu gehen.
Es dauerte damals 2016 nicht lange, bis Faymann das Handtuch warf und ihm ÖBB-Chef Christian Kern nachfolgen konnte. Auch heute wird symbolisch über Leichen gegangen, wie man am Twitterfeed der Sozialistischen Jugend erkennen kann. Es wurde parteiintern nie aufgearbeitet, warum auf diese Weise innerhalb der SPÖ eskaliert und ein Konflikt geschürt wurde, der nicht nötig gewesen wäre, hätten Faymann-Kritiker den Unterschied zwischen Asyl und Migration kennen dürfen. Dabei geht es darum, ob die Partei systematisch destabilisiert und auf Abwege gelenkt wird, was nicht zuletzt zu einer Situation führte, in der sie nur ohnmächtig im Parlament Taferln hochhalten kann. Dazu kommt, dass Beispiele aus den Ländern (siehe Steiermark und Burgenland) zeigen, dass die SPÖ aus dortiger Koalitionsräson nicht Farbe bekennen will, was verlängerte Arbeitszeiten betrifft. Drastische Formulierungen sind entweder rational begründet, wenn in einem bestimmten Fall auf spezifische Weise über Leichen gegangen wird, oder sie werden dazu benutzt, Emotionen anzustacheln und Menschen zu manipulieren. So betrachtet entsteht der Eindruck, dass es keinen Unterschied mehr geben soll zwischen der eigenen Partei und einer anderen und dass sich viele wie auf Knopfdruck einspannen lassen, um ihre ganze geschürte Wut herauszulassen.
SJ auf Twitter
Während Berater bei der Arbeiterkammer immer mehr zu tun haben, dominieren die Debatten im Netz Menschen, die von der Praxis wenig Ahnung haben oder aufgrund eigener Erfahrungen nicht wollen, dass es irgendjemandem besser geht. Social Media erfordert anders als eine überlegte Wortmeldung bei einer Diskussion, ein Interview oder ein Artikel kein Nachdenken und keine Fertigkeiten, sondern kann auch aus reinem Reflex bestehen. Am einfachsten wird dies durch Bilder mit wenig Text angestachelt, die viele Male geteilt werden, ehe jemand kritische Fragen stellt. Da das Parlament zum letzten Mal vor der Sommerpause tagt, sind Kommentare zu auf einer Momentaufnahme Abwesenden beliebt. Die Gräben sind mittlerweile so tief, dass Sachinformationen nicht mehr greifen, etwa dazu, dass die Sitzung in die Büros übertragen wird und man sich auch dort auf den eigenen Redebeitrag vorbereiten kann. Am lautesten sind meist diejenigen, die am wenigsten wissen und nicht einmal die Namen der Akteure richtig schreiben können. Jedes Detail. das dazu dienen sollte, auf der politischen Bühne ablaufendes Geschehen besser zu verstehen, wird ausschliesslich nach einem Freund-Feind-Schema eingeordnet. Es ist politisch und historisch schlicht dumm, sich einzureden, dass die Sozialdemokratie deswegen überflüssig ist, weil einige Funktionäre ihren Existenzzweck offenbar vergessen haben.
April 2016: VSStÖ und Co. vor dem SPÖ-Parlamentsklub
Menschen, die allen Ernstes meinen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden alles bestens freiwillig regeln ohne dass man Gewerkschaften und Arbeitszeitlimits braucht, sind oft gegen jede Form der Solidarität. Und leider wurden diejenigen, die solidarisch zu handeln gelernt haben, nahezu perfekt auf „refugees“ umdirigiert, die keinesfalls Flüchtlinge gemäß Genfer Konvention sind. Als Folge davon werden die Anliegen von Ihresgleichen viel zu schwach vertreten und Menschen in Not erleben wenig Unterstützung oder hören, dass alles ihr individuelles Problem sei. So betrachtet wird sich die Regierung nicht vor einem heißen Herbst fürchten und auch trotz einer Demo mit mehr als 100.000 Teilnehmern am 30. Juni in Wien weiteren Kampfmaßnahmen gelassen entgegensehen. Man könnte nun meinen, dass Aufklärung und Information auf lange Sicht doch etwas bewirken, doch mit ungeschminkten Schilderungen aus bereits jetzt anstrengendem Arbeitsalltag erreicht man nur die Menschen, die ohnehin verstehen und Bescheid wissen. Es ist verlockend, Stärke zu demonstrieren, indem besonders dick aufgetragen wird, aber zugleich heizt Überzeichnen die Stimmung an und bewirkt auch Empörung von Seiten der Gegner.
30. April / 1. Mai 2016: Totenwache vor der Löwelstrasse
Dennoch ist es notwendig, Mythen zu begegnen, etwa dass der ÖGB Demonstranten fürstlich bezahlte oder dass es eh allen gutgeht, die bei der Demo dabei waren. Dies widerlegt z.B. Alois Reisenbichler, der seit Jahren in der Marktforschung tätig (und ein guter Interviewer) ist, in der prekäre Dienstverhältnisse an der Tagesordnung sind. Zugleich engagiert er sich bei ACUS (Christentum und Sozialdemokratie) und ist Friedensaktivist. Die Regierungsfans-Neidecke will auch Arbeitslosen oder Pensionisten das Recht absprechen, für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße zu gehen, weil eine/n alles zu 100% selbst betreffen muss, für das man sich einsetzt. Es ist klar, dass exponierte Personen immer alles falsch machen, so oder so – etwa Ex-Bundeskanzler Christian Kern, der bei der Demo war (aber nicht redete!) und dort für zahlreiche Selfies posierte (hat er sich jemandem aufgedrängt?). Doch er muss sich der Frage stellen, ob alles, mit dem seine Partei Tritt faßt, nicht sofort auf eine Weise unterlaufen wird, die zuerst wie eine Bestätigung aussieht. Warum zieht sich ein roter Faden von Protesten gegen die damalige SPÖ-Spitze zu heutigen Aktionen gegen die türkisblaue Regierung?
Der Sprecher des Infrastrukturministeriums auf Twitter
Denn wenn die SPÖ nicht in der Regierung ist und mit niemandem eine Mehrheit bilden kann, ist sie auf die (schweigende) Mehrheit der Bevölkerung angewiesen, die sie nur dann gewinnt, wenn sie nicht in offene Messer läuft. Und es geht um Glaubwürdigkeit, wie besonders deutlich wurde, als die Genossen einen Antrag im steirischen Landtag ablehnten, dem sie zustimmen hätten müssen. Dabei kann man KPÖ-Kritik durchaus kontern, etwa wenn zwar ein Teil der Gehälter der Kommunisten Bedürftigen zugute kommt, jedoch nicht über einen Fonds, sondern indem Empfänger namentlich aufgeführt werden. Es ist aber mehr als schwach (siehe unten) mit dem spanischen Bürgerkrieg zu argumentieren statt zu erklären, inwiefern man mehr ist als das Anhängsel der ÖVP Steiermark. Es mag schon sein, dass die SPÖ im Jahre Schnee beschlossen hat, niemals bei der KPÖ anzustreifen, doch warum verliert sie dann zusehends ihre Glaubwürdigkeit? Von besonderer Ironie ist dabei, dass wir dem FPÖ-nahen Magazin unzensuriert.at entnehmen können, wer bei der Abstimmung den Saal verlassen hat – unter anderem SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher, der jüngst im „Falter“ als linker Rebell inszeniert wurde (und den die „Presse“ hier porträtiert).
Die KPÖ Steiermark auf Facebook
Im Burgenland wurde am 5. Juli diskutiert: „Ganz klar gegen den Zwölfstundentag sind die SPÖ und die Grünen. Der SPÖ-Abgeordnete Robert Hegovich bezeichnete die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag als die größte Verschlechterung für Arbeitnehmer seit 100 Jahren“, doch es wird auch über den Umgang mit einem Antrag der Grünen berichtet: „Die Grünen hatten zunächst in einem Abänderungsantrag die Themen Pendlerschutz und Zwölfstundentag verknüpft. Die Pendler würden durch die Ausweitung der Arbeitszeit besonders stark getroffen. Die SPÖ bezeichnete diesen Abänderungantrag aber als schlecht gemacht und unausgegoren. Man könne dem nicht zustimmen. Die SPÖ brachte dann selbst einen weiteren Abänderungsantrag ein, in dem es nur um den Pendlerschutz ging. Der wurde dann mehrheitlich angenommen. Vor die Wahl gestellt, loyal zu den Arbeitnehmern oder loyal zum blauen Regierungspartner zu sein, habe sich die SPÖ für die FPÖ entschieden, meinte dazu die grüne Abgeordnete Regina Petrik.“ Steht in der Steiermark mit einem etwas merkwürdigen SPÖ-Chef die Koalition mit der ÖVP über allem, lobt die SPÖ im Burgenland die Zusammenarbeit mit dem Juniorpartner FPÖ. Im Video der KPÖ sieht man auch noch die namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag.
Ex-Gesundheitsministerin Rendi-Wagner (Facebook)
In der SPÖ werden auch Personen gepusht, die wir dann auf den Teilnehmerlisten von Treffen der Bilderberger finden wie Pamela Rendi-Wagner. Auch Kerns Verbündeter auf dem Weg zur Kanzlerschaft 2016, Gerhard Zeiler von Time Warner, Ex-Minister Rudolf Scholten und Andrea Ecker, Bundespräsident Alexander Van der Bellens Kabinettschefin, waren 2018 in Turin dabei. Wir haben also einerseits elitäre Rote, die manchmal recht gut mit allen kommunizieren können, und auf der anderen Seite eine Basis ohne Einfluss, die von Veränderungen im Arbeitsleben oft selbst betroffen ist und weiß, dass jedwede Freiwilligkeit Chancen- und Waffengleichheit voraussetzt. Derzeit empören sich viele über die Pflasterstein und Grablicht-Aktion, vergessen dabei aber ganz, dass es auf einer Linie liegt mit jener Bildsprache, die 2016 zum Sturz Faymanns beitrug. Der in seinen beiden Wahlkämpfen die Kanzlerschaft der SPÖ stets gehalten hat, während Kern sie verloren hat und zugleich die Kurzzeitkanzlerschaft Alfred Gusenbauers noch unterbieten konnte. Weiteres Unheil wartet auf die SPÖ übrigens in den U-Ausschüssen, sofern es ihr nicht gelingt, sich von den Vorgaben des Peter Pilz zu lösen; dazu gehört auch, einen wahrheitsgemäßen Zugang zu den Eurofightern zu finden. ÖGB-Sekretär Willi Mernyi, der die Proteste gegen den 12 Stunden-Tag organisiert hat, distanziert sich übrigens von der Pflastersteinverteilung. Dabei könnte man sagen, dass er mit einer Schilderung des Arbeitsalltags von Pflasterer Günther (samt Stein am Rednerpult) dazu inspirierte.
Das Schwarz-Weiß-Denken in politischen Diskussionen auf Facebook und anderen Seiten ist ja nichts Neues.
Schwer zu sagen, wie sich der 12-Stunden-Tag tatsächlich auswirken wird. Wöginger erwähnte in einer Parlamentsrede ja, dass wir bis jetzt schon den 10 Stunden-Tag hatten und trotzdem 8 Stunden und Überstunden die Regel waren(natürlich nicht überall).
Würden sich die schlimmsten Befürchtungen von SPÖ-Wählern bewahrheiten, müsste die Regierung durch den 12-Stunden-Tag ja dramatisch an Wählergunst verlieren. Was ich mir aber nicht vorstellen kann zum jetzigen Zeitpunkt.
Es werden wohl noch Sachen beschlossen werden, die schlimmer sind, meiner Meinung nach. Ich will es nicht verschreien, erwarte aber kaum Änderungen durch die neue Regelung.
Anders in Tourismus und Gastronomie, dort könnten die geänderten Mindestruhephasen von 8 statt 11 Stunden durchaus Auswirkungen auf die Berufs-Attraktivität von Koch, Kellner, Zimmermädchen, Rezeptionisten usw haben und eventuell noch mehr Ausländer beschäftigt werden als jetzt schon.
Was meiner Meinung nach mehr Wirbel erzeugen wird, wird wohl die Neugestaltung des Arbeitslosengeldes sein.
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