Christian Kern viel zu privat

Die SPÖ freut sich wieder darüber, wie viele Klicks ein Video mit Bundeskanzler Christian Kern innerhalb weniger Stunden erzielen konnte. Der private Kern erzählte von seiner Kindheit, von seinen Erfahrungen als Vater und davon, was all dies mit den Werten der Sozialdemokratie zu tun hat.  Vor ein paar Wochen wollten alle einen Clip sehen, in dem Kern Pizza auslieferte, was das Aufwärmen einer alten Idee seines Beraters Tal Silberstein war. Das neue Video kommt vom Ablauf her sehr bekannt vor, wenn man sich noch daran erinnert, wie die SPÖ letztes Jahr ihren (glücklosen) Präsidentschaftskandidaten Rudolf Hundstorfer bewarb. Hier waren aber Anmerkungen zur Kindheit glaubwürdig, während Kerns Behauotung, mit seiner Mutter stundenlang nach Sonderangeboten gesucht zu haben (zu Fuß unterwegs, um das Geld für den Fahrschein zu sparen) etwas übertrieben wirken.

Beide Clips waren professionell gefertigt, mit der scheinbar richtigen Mischung aus Persönlichem, Politischem und Ausblick in die Zukunft. Und doch ruft so etwas auch massive Ablehnung bei den Menschen hervor, die sofort für SPÖ-Kandidaten zu haben sind, wenn diese echt und authentisch auftreten. Aus perfekt wird da leicht zu perfekt und aus privat zu privat. Auf einer der Aufnahmen von Kern als Vater sehen wir ihn mit neugeborener Tochter und Ehefrau, als hätte er selbst die Kleine gerade zur Welt gebracht. Userinnen und User in den sozialen Medien und in den Foren der Zeitungen kommentieren dies dementsprechend.  Für Pluspunkte geeignet sind Kerns Erfahrungen als Alleinerzieher, da er als Student seinen Sohn Niko bei sich hatte und sich alles irgendwie ausgehen musste, er aber dieses Erlebnis nicht müssen möchte. Das Video ist derzeit nur auf Facebook verfügbar bzw. wurde von manchen Medien in Berichte eingebaut.

So berichtet „News“

Die Parteizentrale (die eben heftig mit Kern-Mitarbeitern im Bundeskanzleramt aneinander geriet) bewirbt das Video als „ein sehr persönliches, sehr emotionales. Es gibt private Einblicke in die ersten Lebensjahre von Christian Kern. Und es zeigt, dass er sehr früh gelernt hat, wie wichtig es ist, dass alle Menschen die gleichen Chancen auf ein gutes Leben haben.“ Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler sagt auch: „Christian Kern hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, weniger als andere zu haben. Nicht einfach in den nächsten Supermarkt gehen und das Einkaufswagerl nach Herzenslust befüllen zu können, ohne aufs Geld schauen zu müssen. Er weiß um die Probleme, vor denen viele Menschen stehen.“  Zu Recht bemerken einige Leute in den sozialen Medien, dass sie auch keine wohlhabenden Eltern hatten, es aber vielen so gegangen ist. Die Frage ist, welche Konsequenzen man daraus ziehen soll und ob es wirklich Sinn macht, lebenslange Auswirkungen solcher Unterschiede mit Bekenntnissen zur Chancengleichheit wegzuerklären.

Denn in Wahrheit sind soziale Differenzen aus der Kindheit spürbar, wenn man eine SPÖ-Versammlung  besucht, wo einige aus wohlhabendem Elternhaus stammen, und erst recht dann, wenn man zur SPÖ und im Vergleich zur ÖVP geht. Indem es rein auf das Materielle reduziert wird, stellt Kern nur unter Beweis, dass man – wie idealtypisch in den USA – alles erreichen kann, wenn man es will. Menschen aus seiner Generation finden sich kaum wieder, wenn sie entweder deutlich mehr hatten oder die Eltern zwar sparen mussten, aber im Supermarkt gegenüber einkauften, mit dem Auto fuhren und sich Fahrscheine leisten konnten. Unterschiede zu wohlhabenden Mitschülern sind diesen Kindern von einst aber immer noch gegenwärtig, auch weil diese sich u.a. darin zeigten, dass die Eltern anderer häufig intervenierten, man selbst aber alleine mit der Schule klarkommen musste. Und es gab die, die weniger hatten als Kern und umso mehr wussten, dass sie es nur mit entsprechender Bildung besser haben können als ihre Eltern. Was aus der Sicht echter Roter aber am schlimmsten ist: es gibt immer mehr Arme, und statt gegen Armut vorzugehen, fantasiert die ÖVP von der Einführung von Hartz IV in Österreich.

Das Vorbild: Werbung für Hundstorfer

Zwar wirkt Kern als Vater durchaus glaubwürdig; Interview in Wolfgang Fellners „Madonna“ und am Vatertag im „Frühstück bei mir“ in Ö 3 sehen aber doch nach Kalkül aus. Sarkasten meinen, dass der designierte Spitzenkandidat der ÖVP Sebastian Kurz jetzt auch schnell ein Kind braucht (am besten selbst geboren).  Und wenn viele das Kern-Video und die darauffolgende Privatoffensive sympathisch und menschlich (oder menschlich sympathisch) finden, sehen andere darin eher einen Akt der Verzweiflung.  Es scheint, als ob die SPÖ ihr gesamtes Pulver schon verschossen hat und jetzt auf die private Karte setzt. Dies kann durchaus nach hinten losgehen, da die Öffnung zum Privatleben von Medien als Einbahnstraße betrachtet wird: wer die Familie in die Politik hineinzieht, dessen Familie ist dann eben auch Thema. Dies mag zunächst positiv erscheinen, es muss aber nicht immer so berichtet werden, wie man sich das vorgestellt hat. Auch wer das Privatleben heraushält, kann es nicht vollständig vor Berichterstattung schützen:; dazu sind nicht mal neue Frau und / oder neues Kind notwendig.

Dabei ist natürlich interessant, was für ein Mensch ein Politiker oder eine Politikerin ist; deshalb lese ich gerne, dass Labour-Chef Jeremy Corbyn, der ganz knapp an Theresa May und die Tories bei der Wahl  herangekommen ist, noch immer Kleidung am Markt kauft und sein Gemüse selbst zieht. Das allein würde es aber nicht ausmachen, wenn Corbyn nicht auch NATO- und interventionskritisch wäre und soziale Anliegen hätte.  Anders als Kern ist Corbyn nicht perfekt gekleidet und es scheint auch nicht jedes Wort einstudiert; am besten gefallen mir seine Interviews, wenn er im Gehen aufgenommen wird, denn dies vermittelt zugleich politische Arbeit. „Unser“ Mainstream hat Corbyn nie gehypt und spricht daher jetzt davon, dass man ihn „unterschätze“ bzw. dass er seine Kritiker verblüfft habe. Bezeichnend ist auch, dass man es immer schon gewusst haben will bzw. sich nun auf seine Seite schlägt und ihn z.B. den „neuen Volkstribun“ nennt –  dies jedoch, um ihn im selben Atemzug wieder auf seinen Platz zu verweisen: „Nach der Parlamentswahl in Großbritannien ist Jeremy Corbyn der Mann der Stunde. Der Altsozialist erfindet mit Ideen von vorgestern die britische Linke neu – und überzeugt damit vor allem junge Wähler.“

Plakat der Grünen

Wie man auch über Twitter mitverfolgen konnte, wurde vor einigen Monaten alles versucht, um Corbyn parteiintern abzuschießen; doch weil die Konflikte so offen ausgetragen wurden, konnte der Unbequeme auch genug Unterstützung auch sich vereinen. Schon wird nachgefragt, was er hat, das Martin Schulz (der Kandidat der Globalisten in Deutschland) nicht haben soll. Das Beispiel des Labour-Chefs sollte sowohl Christian Kern als auch Sebastian Kurz (und Heinz Christian Strache) zu denken geben, denn gehypt (oder niedergeschrieben) ist man bald einmal; entscheidend ist daher, die Wähler direkt zu erreichen.  Derzeit sieht es nach ÖVP vorne, dann SPÖ und dann erst FPÖ aus, doch dies scheint in Umfragen immer noch eine Art Kurz-Effekt zu sein. Das neueste Plakat der Grünen, auf dem Kern und Kurz als Marzipan-Bräutigame verheiratet werden, könnte auch Querelen rund um den Life-Ball kommentieren: „SPÖ-Kanzler Christian Kern nutzt gemeinsam mit Ehefrau Eveline Steinberger-Kern die Bühne mit Blick auf die Neuwahl im Herbst. Schließlich braucht es nach der jüngsten SP-internen Krise wieder positive Bilder.“

Hingegen ist Kurz diesmal nicht dabei: „Kurz soll auch, laut profil, in Sachen Life Ball von der SPÖ ordentlich gefoult worden sein: Demnach habe Organisator Gery Keszler der sonst üblichen Kooperation mit dem Außenministerium eine Absage erteilt. Dahinter stecken soll die SPÖ, die mit Entzug von Subventionen der Stadt Wien gedroht habe, sollte sich Kurz auch diesmal im Rahmen des Life Balls bei einer Veranstaltung am Vorabend als Sponsor präsentieren und Gäste laden dürfen. Das Außenamt bestätigt, dass sein Sponsoring heuer nicht mehr erwünscht sei.“ Man könnte auch fragen, warum eine Veransataltung unterstützt werden sollte, bei der die Clinton Foundation mitmischt. Die SPÖ will sich jedenfalls nicht nur „weltoffen“ geben, sondern auch vom internen Konflikt über Rot-Blau und davon ablenken, dass sie keineswegs von „Gemeinsamkeit“ überzeugt ist, sondern nach wie vor dafür ist,  gewisse Genossen zu decken und andere puncto Eurofighter zu opfern.

3 Kommentare zu „Christian Kern viel zu privat

  1. Was der Mark Zuckerberg vormacht muss der Kern nachmachen und auch der Investment Punk steht dem um nichts nach. In dem Sinne ‚Thumbs Up‘. Jo mei.

    Die Grundidee der ‘Linken’ war die Wirtschaft so zu organisieren, dass die Produktion von Gütern wurde forciert die an am Ende an alle auf ewig sollen verteilt werden.

    Die Übergabe von Gütern im Rahmen des Konsumenten aus der Industrielinie (so ist der ganz Wirtschaftsraum organisiert) stößt immer mehr an Grenzen.

    Ich will dem Herrn Hundstorfer nicht den naiven Glauben an eine soziale Marktwirtschaft nehmen, aber Österreich ist bestenfalls ein marktwirtschaftlich anmutender Sozialismus.

    Allein die Einkommensdefintion im Übergabemodelle an die Konsumenten gepaart mit der aktuell gelebten Verteilung bedingt ja schon *end ewigen Dauerbrenner*.

    Ein soziale Marktwirtschaft heißt allein Industriemodell. Man kann noch diskutieren welche Güter an wem *alle* im Wirtschaftsraum übergeben werden und wieviel.

    Sobald man in marktwirtschaftliche Fahrwasser kommt ist allein nicht gewährleistet, dass jeder nur Güter bereitstellt die am Ende an alle übergeben werden. Die strikte Trennung zwischen Konsum- und Investitionsgut bricht auf.

    Am Internet haben sie schon die Vermischung. Sie nehmen ein Smartphone machen Photos und können Werbeeinnahmen erzielen. Das ist zwar noch kein klassischer Zugang zum Marktwirtschaft (kaum zu Kapitalismus), aber ein Beitrag aus den Zwängen der Einkommensdefinition im Konsumenten zu entfliehen.

    In dem Sinne will der Herr keine echten Reformen, der will ein wenig die Alte Welt noch ein paar Jahr hinüberretten.

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  2. Wenn Schulz wirklich der Kandidat der Globalisten in Deutschland sein sollte, wer ist dann Angela Merkel? Merkel fährt gerade die Nation Deutschland mitsamt ihrer Souveränität komplett gegen die Wand, nicht Schulz. Merkel hat halb Afrika alleine nach Deutschland eingeladen, nicht Schulz.

    Vielmehr sieht es so aus, als wäre Schulz so eine Art Watschenmann, den man kurz vor der Wahl rausholt, damit es am Ende dann doch wieder die Angela Merkel wird.

    Es müsste wohl eher folgendermaßen heißen: „Angela Merkel ist die Kandidatin der Globalisten und Martin Schulz die kontrollierte Opposition dazu.“

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    1. das eine schliesst das andere nicht aus; sieht man sich aktuelle umfragen an, wirkt schulz wie plan B, wenn plan A (merkel) nicht mehr zieht; da sie aber vorne liegt, wird er distanziert behandelt; es soll ja der eindruck entstehen, dass es eine wahl gibt

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