Der Historiker und Buchautor Wolfgang Effenberger setzt sich seit Jahren kritisch auseinander mit transatlantischer Einflussnahme und reflektiert in diesem Kommentar die Reaktionen auf Angela Merkels Reaktionen auf Donald Trump. Wie zu erwarten wird sie von der üblichen NATO-Presse bejubelt, was man natürlich auch mit dem Bundestagswahlkampf in Verbindung bringen kann. Schliesslich will der Eindruck erweckt werden, dass das Volk wirklich die „Wahl“ hat zwischen Angela Merkel und Martin Schulz:
Am Sonntag, den 28. Mai 2017, heizte Angela Merkel in einem Münchner Bierzelt ihrer vor Maßkrügen sitzenden und von Blasmusik eingerahmten Glaubensgemeinde so richtig ein: „Die Zeiten, in den wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei…, und deshalb kann ich nur sagen, wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Die Folgen dieses sicherlich nicht gedankenlos hingeworfenen Bierzelt-Satzes sind für Europa nicht abzusehen. Die auf den öffentlichen Kampf gegen Trump eingeschworenen US-Mainstream-Medien nahmen Merkels Äußerung dankbar auf und begrüßten sie als eine Art Rettung der westlichen Welt.
Angela Merkel „now the leader of the free world“
Mit derartigem Auftrieb unter den Flügeln schraubte sich Stefan Kornelius mit seinem Kommentar „Merkels Weltenplan“ wie einst Ikarus in hymnische Höhen. Dem Licht der Wahrheit halten seine Flügel aber nicht stand. Für Kornelius ist das transatlantische Verhältnis in einem Ausmaß erschüttert, „wie es nicht mal die Enthüllungen Edward Snowdens vermocht hatten.“ (Süddeutsche S.4, Dienstag 30. Mai 2017, Nr.123) Er sieht in Merkel und Trump intellektuelle Antipoden. „Was der eine denkt und sagt, käme der anderen nicht einmal in den Sinn, geschweige denn, dass sie darüber reden würde… Merkel weiß, was ihre Worte bewegen können, deswegen geht sie sorgsam mit ihnen um.“ Für Trumps erstes Kriegsverbrechen, den Angriff auf den syrischen Flugplatz Anfang April, fand Merkel lobende Worte und Kornelius schrieb: „Der neue US-Präsident mag keinen Plan haben, er mag emotionsgeleitet sein, er mag unfähig sein. Aber dennoch hat der Militärschlag in Syrien gezeigt: Sein Instinkt stimmt.“
Instinkt? Der Machtinstinkt vielleicht, in dessen Diensten das Chaos im Nahen Osten durch Obama-Administration vorsätzlich mitverursacht wurde. Seit Juli 1979 werden islamische Desperados regelmäßig von den USA gezielt zur Destabilisierung von Staaten unterstützt. Vgl. dazu Zbigniew Brzezinski „Die einzige Weltmacht“ oder Daniele Ganser „Illegale Kriege“. Das brutale Urteil der Kanzlerin „Amerika ist unberechenbar“ richtet sich für Kornelius vor allem an die Wähler, denen die Worte auch eine Art Immunschutz gegen antiamerikanische Infizierung verpassen sollten; er erinnert an den Wahlkampf 2002, als Kanzler Schröder aus der blinden Gefolgschaft gegenüber den USA ausscherte und nicht am illegalen Krieg gegen den Irak teilnehmen wollte. Ist denn die Weigerung, an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilzunehmen, bereits antiamerikanisch? Frau Merkel beeilte sich damals, nach Washington zu reisen, um sich dort für das „Fehlverhalten“ von Gerhard Schröder zu entschuldigen. Unter Frau Merkel hätte die Bundesrepublik teilgenommen!
Statt sich unkritisch auf die Seite von Bush und Blair, den damaligen Führern des „freien Westens“, und damit auf die Seite des Krieges zu schlagen, hätte sie helfen können, Europa auf den Weg des Friedens zu führen. Vielen Menschen wäre unendliches Leid erspart worden. Nordafrika und der arabisch-islamische Spannungsraum würde vermutlich nicht im Chaos versinken – einem von Leo Strauss im Sinne der Neocons angedachten „kreativen Chaos“ zur besseren Ausplünderung dieser Regionen. Als dann die globale Finanzkrise – von den USA ausgehend – Europa überrollte, hätte Merkel Europa und den Euro vor den Exzessen der Wall Street schützen können. Statt dessen wurden Hunderte Milliarden an Steuergeldern zur Rettung der spekulativen US-Banken bereitgestellt – angeblich alternativlos! Nach Kornelius sind die USA „eine Konstante in Merkels Weltenplan, eine geografische und historische Selbstverständlichkeit, markiert in derselben Farbe wie Europa.“ (im eingangs zitierten Kommentar am 30. Mai)
Abschließend versteigt sich Kornelius zu einer historischen Deutung, die nicht einmal ein ungebildeter amerikanischer Patriot so formulieren würde: „Zweimal haben die USA einen von Deutschland ausgehenden Weltbrand gelöscht, einmal hat dieses Amerika durch seine schiere Präsenz einen kriegerischen Konflikt verhindert.“ Ein Blick in das Archiv des US-Kongresses offenbart eine ganz andere Lesart der Geschichte. 1934 begann im Pentagon die Entwicklung der Rainbow-Kriegspläne. Einige Kongressmitglieder fürchteten nun einen neuen großen Krieg. Um diesen zu verhindern, wurde ein Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen: Das Committee on Investigation of the Munitions Industry. Es sollte die Hintergründe für den Kriegseintritt der USA 1917 herausfinden. Die Leitung hatte Senator Gerald P. Nye. Siehe Report of the Special Committee on Investigation of the Munitions Industry (The Nye Report), U.S. Congress, Senate, 74th Congress, 2nd session, February 24, 1936,3-13.
Nach sorgfältigen zweijährigen Ermittlungen konnte das Nye-Komitee überzeugend darstellen, dass Banker und Rüstungsindustrielle (Die Kaufleute des Todes) neben Preisabsprachen vor und während des Krieges starken Einfluss auf die US-Außenpolitik genommen und so das Land in den Krieg „getrickst“ hatten. Bis zum Eintritt der USA in den Krieg 1917 hatten die – offiziell neutralen – USA dem deutschen Kaiserreich 27 Millionen US-Dollar an Darlehen gegeben, während die Entente 2300 Millionen erhalten hatte. Eine Niederlage der Entente hätte demnach für die Wall Street eine Implosion bedeutet. In den Jahren 1934 und 1935, als Senator Gerald P. Nye die Ursachen des Kriegseintrittes untersuchte, war die Arbeitslosenzahl in den USA auf elf Millionen gestiegenen. In weiten Kreisen herrschte die Ansicht vor, dass „die beispiellose wirtschaftliche Depression in den USA, die zehn Jahre nach Wilsons geistiger Umnachtung begonnen hatte, eine Folge des unnötigen Krieges und des darauffolgenden schlechten Friedens war. So kommt es nicht überraschend, dass ganze 80 Prozent der Amerikaner bei einer Befragung im Jahr 1937 der Meinung waren, Wilsons Kriegspolitik sei ein haarsträubender Irrtum gewesen.“ (Siehe Hoggan, David: Das blinde Jahrhundert, Tübingen 1979, S. 475) Diesen „haarsträubenden Irrtum“ hatte Franklin Delano Roosevelt als Marineminister im Kabinett Wilsons mit zu verantworten.
Wolfgang Effenberger über 1914 und 2014
Es ist heute unbestritten, dass der erste Weltkrieg seine Wurzeln im Wesentlichen in britischen Finanz- und Wirtschaftsinteressen hatte und dass Deutschland, wie allen anderen kontinentalen Mächten, lediglich mangelnde Friedensbereitschaft vorgeworfen werden kann. Ende Juli 1914 – auf dem Höhepunkt der Julikrise – fand in Lourdes der Eucharistische Weltkongress statt. Der Erzbischof von New York, Kardinal John Murphy Farley (*1842 -1918), wies damals in die richtige Richtung: „Der Krieg, der in Vorbereitung ist, wird ein Kampf zwischen dem internationalen Kapital und den regierenden Dynastien sein. Das Kapital wünscht niemanden über sich zu haben, kennt keinen Gott oder Herrn und möchte alle Staaten als großes Bankgeschäft regieren lassen. Ihr Gewinn soll zur alleinigen Richtschnur der Regierenden werden …Business … einzig und allein.“(Michael von Taube: Der großen Katastrophe entgegen, Leipzig 1937, S. 379)
Die Kräfte dieses internationalen Kapitals bestimmten das 20. Jahrhundert. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die regierenden Dynastien im kontinentalen Europa beseitigt und die Entwicklung einer erfolgreichen europäischen Kooperation verhindert – nicht zuletzt durch die geheimdienstliche Unterstützung von Revolutionen ab 1917. Heute wird von denselben Kreisen der Schlachtruf „No Borders, No Nations“ zur besseren Ausplünderung ausgegeben. Jetzt geht es um die Beseitigung einer stabilen nationalen Rechtsordnung. Im Oktober 1945 – nur einen Monat nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki – beauftragte US-Präsident Truman General Eisenhower mit der „Operation TOTALITY“, einem hypothetischen Plan für einen umfassenden Krieg gegen die Sowjetunion. Mit 20 bis 30 Atombomben sollte ein Überraschungsschlag gegen 20 sowjetische Städte geführt werden.(Wolfgang Effenberger: Das amerikanische Jahrhundert – TEil 1 Die verborgenen Seiten des Kalten Krieges, Norderstedt 2011, S. 36)
Im Frühjahr 1949 wurde die NATO gegründet. Und schon am 19. Dezember 1949 wurde vom Vereinigten Generalstab der Kriegsplan „DROPSHOT“ zur Durchsetzung der Kriegsziele der Vereinigten Staaten gegenüber der UdSSR und ihren Satelliten verabschiedet. Damit es so aussah, als könne man nicht anders, wurde schon 1949 in der Präambel das offizielle Bedrohungsszenario so formuliert: „Am oder um den 1. Januar 1957 ist den Vereinigten Staaten durch einen Aggressionsakt der UdSSR und/oder ihrer Satelliten ein Krieg aufgezwungen worden.“ (Siehe Effenberger, Das amerikanische Jahrhundert – TEil 1 Die verborgenen Seiten des Kalten Krieges) Der für 1957 geplante Krieg fand nicht statt. Denn inzwischen hatte die Sowjetunion den Satelliten „Sputnik“ ins All geschossen. Nun mussten die Kriegsplanungen überarbeitet werden.
Doch in Moskau ist Dropshot unvergessen! 1953, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil, publizierte Thomas Mann einen Aufruf an die Europäer. Im Exil hatte er die Neigung der US-Administration erkannt, „Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Russland zu behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt.“ ( Thomas Mann: Deutsche Hörer! Europäische Hörer! Darmstadt 1986, Rückseite) Am 11. September 1990 – während des Zerfalls der Sowjetunion – verkündete George H.W. Bush „Vorwärts zu einer neuen Weltordnung“. Am 17. Januar 1991 begann mit der Operation Desert Storm der Krieg gegen den Irak. Das veranlasste im März 1991 den ehemaligen amerikanische Justizminister Ramsey Clark gegenüber der französischen Monatszeitschrift „L´Autre Journal“ zu dem Hinweis: „Ich warne die Europäer davor, zu glauben, dass die USA im Rahmen der neuen Weltordnung Skrupel haben würden, auch in Europa militärisch zu intervenieren. Die USA würden eine europäische nukleare und wirtschaftliche Großmacht nicht lange dulden.“ (Ramsey Clark: Non à l‘Empire, Interview mit Akram Belkaïd in L‘Autre Journal, Mars 1991)
Effenberger zu Trump vs. Soros
Ist Angela Merkel in Anlehnung an den „eisernen“ Kanzler nun auf dem Weg zur „eisernen“ Mutti? Weit gefehlt! Frau Merkel war und ist nur die Erfüllungsgehilfin einer US-amerikanischen Machtelite, die mit ihren Dollarmilliarden seit über hundert Jahren die Ströme von Blut finanziert und letztlich von ihnen profitiert. Wie tönte Merkel noch im Juni 2005: „Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit“ (Dr. Angela Merkel, MdB, anlässlich der Festveranstaltung „60 Jahre CDU“ am 16. Juni 2005)? In Anspielung auf Merkels Bierzeltsatz, die Europäer müssten ihr Schicksal in ihre eigene Hand nehmen, sagte der russische Präsident Putin am 2. Juni 2017 auf dem 21. Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg: „Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber was Frau Merkel gesagt hat, wurde unter anderem durch den lang anhaltenden Ärger über die Tatsache diktiert, dass die Souveränität in der Tat eingeschränkt ist.“
Kanzler Bismarck hatte im Gegensatz zu Angela Merkel, obwohl er über den Bankier Gerson Bleichröder ebenfalls von der angelsächsischen Finanzelite unterstützt wurde, die wahren Absichten der britischen und amerikanischen Außenpolitik klar benannt. Am 7. April 1888 – einen Monat, nachdem Friedrich III. den Thron bestiegen und England ganz Burma erobert hatte – bemerkte er: „Menschlichkeit, Friede und Freiheit ist immer ihr Vorwand, wenn es nicht Christentum und Ausbreitung der Segnungen der Gesittung unter Wilden und Halbbarbaren sein kann, zur Abwechselung. In Wahrheit aber schrieben die Times und die Königin im Interesse von England, das mit dem unsern nichts gemein hatte. Das Interesse Englands ist, daß das Deutsche Reich mit Rußland schlecht steht, unser Interesse, daß wir mit ihm so gut stehen, als es der Sachlage nach möglich ist.“ (Max Lenz/Erich Marcks (HG.): Das Bismarck-Jahr, Hamburg 1915, S. 190)
Aus diesem Grund wagte man es nicht, die Heiratspläne von Prinzessin Victoria von Preußen, der Tochter Friedrichs III., mit Alexander von Battenberg, dessen Familie vielfach mit der britischen Königsfamilie verbunden war, vor dem Tod von Wilhelm l. und dem Regierungsantritt von Friedrich III bekanntzugeben. In dieser Verbindung wurde am preußischen Hof nämlich ein Versuch Englands gesehen, einen Keil zwischen Russland und Deutschland zu treiben. Bismarck jedenfalls dürfte es so gesehen haben. Wie ihre Vorgänger seit der Antike streben die USA als Seemacht danach, die gegenüberliegenden Küsten zu kontrollieren. Dieses Vorhaben scheiterte 1918 dank dem französischen Premier Clemenceau. Seit dem 2. Weltkrieg haben die USA ihre ständigen Brückenköpfe auf den gegenüberliegenden Küsten von Pazifik und Atlantik. Im Westen Eurasiens, in Deutschland, sind die meisten US-Soldaten stationiert, gefolgt von Südkorea im Osten Eurasiens. Aus beiden Brückenköpfen wird im Interesse der „Kaufleute des Todes“ zum Krieg gerüstet.
Frau Merkel unterstützt mit ihrer „alternativlosen“ Politik die weltweiten Aktivitäten eines den Globus ausplündernden finanzmächtigen Establishments, einer skrupellosen Finanzelite, die sich dank der Propagandaaktivitäten des Milliardärs George Soros erfolgreich einen linken Anstrich gibt. Das Erfolgsrezept der Ausplünderer ist ihr durchaus vertraut: Mittels des Sozialismus Länder zerstören, um sie danach umso besser kapitalistisch ausbeuten zu können (Erst Crash dann Cash). Merkels Politik wird somit zweifelsfrei in die Geschichte eingehen: vermutlich als eine DDR 2.0. Genauso, wie es die Literaturwissenschaftlerin Gertrud Höhler bereits in ihrem Buch „Die Patin“ beschrieben hat. Oder wie es Vera Lengsfeld in ihrer vor wenigen Tagen erschienenen Rezension des Buches „Angela Merkel aus der Nähe – Analyse einer folgenschweren Politik“ von Josef Schlarmann – Mitglied im CDU-Bundesvorstand, analysiert. Sie zitiert Schlarmann mit den nüchternen Worten: „Die verheerenden Folgen ihrer Entscheidungen werden in ein paar Jahren unser Land mit voller Wucht treffen.“
Vielen Dank, lieber Herr Effenberger, für diese Analyse!
PS: Auch Willy Wimmer, der mit Effenberger „Wiederkehr der Hasardeure“ veröffentlicht hat, kann nur mehr den Kopf schütteln über Merkel. Man sieht am absurden Versuch, Merkel zu „Retterin der freien Welt“ zu stilisieren (unmittelbar nach der Wahl Trumps) auch deutlich, wie sehr Politik über NATO-Medien geprägt wird. Wer hat Merkel je daran gemessen, ob sie gegen NSA- (und CIA-) Überwachung vorgeht, Stationierungsverträge mit den USA aufkündigt, sich dagegen wendet, dass die US-Basis Ramstein die Relaisstation im US-Drohnenkrieg ist oder dass sie den auch den Wählern versprochenen Abzug der letzten 20 US-Atomwaffen fordert? Jene, die es taten, hatten nur selten offizielle Mandate der Bevölkerung und man probierte es zumindest damit, sie zu diffamieren. Totschweigen funktioniert ohnehin, sodass z.B. Willy Wimmer eher in Österreich als in Deutschland an Fernsehdiskussionen teilnimmt…