Wie Sebastian Kurz die ÖVP motiviert

Der neue Parteichef muss gar nicht bei Veranstaltungen zugegen sein, damit sich vieles um ihn dreht. Es mag auch daran liegen, dass der Wechsel an der Spitze der Volkspartei so überraschend kam; jedenfalls wurde beim Frühlingsempfang der ÖVP Oberpullendorf immer wieder auf ihn Bezug genommen. Als Gast aus der Bundesregierung war Innenminister Wolfgang Sobotka gekommen, dem man nachsagt, einer der Wegbereiter von Sebastian Kurz zu sein. Dies ist jedoch selten schmeichelhaft gemeint, da seine direkten Worte zu Turbulenzen in der Koalition viele als Provokation verstehen (wollen). Dabei spielten beim Rücktritt von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner mehrere Faktoren eine Rolle – neben nicht zu leugnenden innerparteilichen Intrigen auch jene der SPÖ und eine Mainstream-Presse, die Bilder von Personen kreiert, an denen diese dann gemessen werden.

Man kann nicht bestreiten, dass die rasche Kür von Kurz für die Partei einen gewaltigen Motivationsschub bedeutet  – im Burgenland nicht nur für die Nationalratswahl am 15. Oktober, sondern auch für die Gemeinderatswahlen am 1. Oktober. In überschwängliches Lob für Kurz mag sich manchmal Nachdenklichkeit mischen, da der Außenminister nur wenige Themenbereiche abdeckt und sich lieber nicht in die ORF-Pressestunde am 21. Mai einladen ließ, die deshalb Finanzminister Hans-Jörg Schelling bestritt. Im Burgenland geht es bei der Wahl auch um das Mandat von Nikolaus Berlakovich, während die SPÖ diesmal wohl Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil aufstellen wird. Die von Kurz verkündete Frauenquote ist jedenfalls bei dieser Veranstaltung noch keine gelebte Praxis, da nur eine Frau (die frischgebackene Bürgermeisterin Angelika Mileder) auf die Bühne geholt wurde.

Beim ÖVP-Frühlingsempfang

Nikolaus Berlakovich sprach gerne von „stürmischen Zeiten“ in der ÖVP, da Mitterlehner am 10. Mai doch „relativ überraschend“ abgetreten ist, aus den vorher zu bemerkenden Gewitterwolken ein Sturm wurde. Diese Entscheidung war „kein gewöhnlicher Akt“, sondern man sah, „wie gewaltig und schnell sich die Dinge ändern können“. Es war „ein mutiger Schritt von Sebastian Kurz, die ÖVP unter bestimmten Bedingungen zu übernehmen“. Die derzeitige „Aufbruchstimmung“ beinhaltet eine „Riesenchance“, denn die ÖVP kann nach der Wahl den Kanzler stellen. Was die Koalition betrifft, sollen einige Projekte noch über die Bühne gebracht werden; das Taktieren der SPÖ wird in der ÖVP als unnötig belächelt, etwa wenn Kanzler Kern zuerst Justizminister Brandstetter als Vizekanzler ablehnt und dann doch akzeptiert. Berlakovich beschreibt einen Gegensatz zwischen Mitterlehner und Kurz bei der „Flüchtlingskrise“, denn der damalige Parteichef „wollte durchtauchen“, während Kurz „der Erste war, der den Mut hatte zu sagen, dass es so nicht geht“.

Es ist klar, dass man Menschen in Not hilft, aber man muss auch die Ängste vieler berücksichtigen und sich fragen, „schaffen wir das alles“. Dass dieses Thema die Bevölkerung spaltet, muss der Politik bewusst sein, etwa wenn mehr Vergewaligungen geschehen, denn man darf nicht den Eindruck bekommen, dass es Menschen gibt, die dem Rechtsstaat auf der Nase herumtanzen können. „Österreich war immer ein sicheres Land“, und das soll es auch bleiben, u.a. durch Veränderungen im Fremdenrecht und im Versammlungsrecht. Berlakovich lobt Kurz neuerlich für das Schließen der Balkanroute, das viele nicht für möglich hielten, und spricht sich gegen Doppelstaatsbürgerschaften aus. Was die Landespolitik und die Gemeinderatswahlen betrifft, gilt für die ÖVP „Wir sind die starke Alternative“. Die bald zwei Jahre der aus ÖVP-Sicht roten Alleinregierung mit blauem Anhängsel sind durch Stillstand gekennzeichnet.

Nikolaus Berlakovich

Wie in einem Sonderlandtag vor zwei Wochen kritisiert die ÖVP auch beim Empfang die Art und Weise, wie Krankenanstalten-Chef Rene Schnedl gekündigt wurde; dies erinnere „an dunkle Zeiten, die wir nicht haben wollen“. Er wurde zuhause von Anwälten aufgesucht, musste zwecks Datensicherung seine Computer abgeben und holte die Polizei. Diese Vorgänge sind Wasser auf den Mühlen der Opposition, vor der jetzt neben dem Gemeinderats- auch ein Nationalratswahlkampf liegt. Berlakovich will die Parteimitglieder dazu motivieren, bisherige Bürgermeistersessel zu verteidigen und der SPÖ weitere abzujagen. Landesparteichef Thomas Steiner betrachtet die Entwicklung in der ÖVP als „tiefgreifende Veränderung“ und sagt, dass es im Vorfeld des Parteivorstandes am 14. Mai viele Gespräche gab. Die Sitzung selbst sei „sehr beeindruckend“ gewesen, geprägt von „noch nie dagewesener Einigkeit“.

Die ÖVP-Statuten werden am nächsten Parteitag geändert, also den Forderungen des „Ausnahmepolitikers“ angepasst. Es sei falsch, Kurz bloß als „Talent“ zu bezeichnen, weil er ja schon lange „einen tollen Job“ macht, zuerst als Staatssekretär und dann als Außenminister. Steiner ist „total stolz auf ihn“, auch weil er „Signalwirkung für uns alle“ hat. Im Landesparteivorstand am 15. Mai wurde deshalb einstimmig beschlossen, Kurz zu unterstützen, was aber nicht heißt, dass nun alles wie von selbst läuft. Die ÖVP muss sich sehr engagieren, aber sie kann um Platz 1 mitspielen, wobei die wichtigste Währung bei den Wählern Vertrauen ist. Natürlich kritisiert Steiner ebenfalls die rot-blaue Landesregierung, die inhaltlich kaum arbeite, nur ein paar Leute austauscht und im Fall Schnedl auf eine Art und Weise agiert, „die mich wirklich betroffen gemacht hat“. Die Vorschläge der FPÖ findet Steiner ähnlich wie Berlakovich eher skurril und sieht Landeshauptmann Hans Niessl als eine Art Alleinherrscher ohne Kontrolle und ohne Widerpart,

Thomas Steiner und Nikolaus Berlakovich

Wenn die Landesregierung sich nur alle zwei Wochen trifft, passt dies zu Bundeskanzler Kerns Absage an den bislang wöchentlichen Ministerrat. Die ÖVP Burgenland sieht sich als Gegengewicht zu Rot-Blau und will dies auch bei den Gemeinderatswahlen betonen, wo man auf Rückhalt bei Sebastian Kurz zählt. Die Empörung über Kern scheint auch in der Landespartei groß zu sein, denn Steiner kritisiert seine Pizzaboten-Inszenierung und dass die Unterschriften unter das Regierungsübereinkommen nichts mehr wert waren, als Kern mit dem „Plan A“ daherkam. „Volksnah“ ist es nicht, Pizza zu liefern, sondern „mit den Menschen zu plaudern und ihnen persönlich zu begegnen“. Nach Steiner trat Innenminister Sobotka ans Rednerpult, der ebenfalls die direkte  Begegnung und das Vermitteln von Werten in den Mittelpunkt stellt. Technik und ein quantitatives Mehr (mehr Lohn, mehr Sicherheit, mehr Gesundheit durch mehr Personal usw.) sind nicht alles, da Menschen durch mehr Interaktion (auch virtuell) nicht mehr an Freundschaft erfahren.

Der Minister macht sich darüber Gedanken, dass wir alle älter werden, später ins Berufsleben einsteigen und länger in Pension sind. Zwar werden steigende Mieten kritisiert, doch die Ansprüche sind auch größer geworden, weil die Menschen heute mehr Wohnraum pro Person haben wollen und viele Singles mit eigener Wohnung sind. Sobotka erinnert uns daran, dass wir vor Jahren noch kein Smartphone und kein Internet hatten, und da ist er dann beim Stichwort Kriminalität (im Netz). Die „Flüchtlings- und Migrationswelle“ ist für Sobotka problematisch, denn „es entstehen Ängste“ und Plätze „vermännlichen“, sodass neun von zehn Frauen bestimmte Orte meiden. Er befürchtet ein Auseinanderdriften der Gesellschaft und empfiehlt, den Zusammenhalt zu fördern und zu unterstützen. Es ist widersprüchlich, dass die Kirchenaustritte zunehmen, aber die Menschen zugleich große Sehnsucht nach Halt und Orientierung haben, also nach dem, was Religion bietet. Auch traditionelle Parteibindungen haben nachgelassen, wie man daran sehen kann, dass er nur mehr rund 20 % Stammwähler gibt.

Wolfgang Sobotka

„Woher kommen die Grünen?“ fragt der Minister rhetorisch und gibt selbst die Antwort: aus bürgerlichem Elternhaus, wie man z.B. bei Monika Langthaler oder Rudi Anschober (oder Ulrike Lunacek) sehen kann. „Und es ist auch so bei den NEOS und bei der FPÖ“, erklärt Sobotka dem Publikum. Er kritisiert jene Politiker, die Haltung nur nach außen darstellen, aber nicht leben; „alles wird nur plakativ dargestellt“. Offenbar ist es um Duell Kurz – Kern – Strache notwendig, es ernst(er) zu meinen, denn er betont, dass Menschlichkeit gelebt werden muss und fragt: „Können wir diese Werte mit Inhalten und Haltungen füllen?“ Entscheidend ist der persönliche Kontakt auf der Gemeindeebene, und da hat die ÖVP gute Karten, denn sie stellt österreichweit mehr als zwei Drittel der Bürgermeister. „Die kleinen Sorgen, die tagtäglich den Nerv der Menschen treffen, die sind es, worauf es ankommt.“ Von dort geht Sobotka auf die Bundesebene über und kritisiert, dass es oft keinen Unterschied zwischen Arbeit und Nichtarbeit mehr gibt.

Er bringt ein Beispiel, das ihm selber zunächst neu war, denn manche Betriebe beschäftigen Arbeitslose offiziell geringfügig in dem Bereich, wie diese dazuverdienen dürfen, sie arbeiten aber mehr und bekomme dies schwarz bezahlt. „Wir dürfen keine Strukturen zulassen, die soziale Ungerechtigkeit fördern“, betont er. Zu seiner Kritik an Kern meint er,  dass dessen Angebote a la „Reformpartnerschaft“ eben nicht ehrlich sind, weil er sich „seit geraumer Zeit im Wahlkampf  befindet“. Als Kern seinen „Plan A“ auf einer Bühne präsentierte – darüber schwebten Bildschirme – ist dies Sobotka „wie in Las Vegas“ vorgekommen. „Das sind alles so aufgesetzte Sachen, das mißt sich alles nicht an der Realität des politischen Lebens“, so Sobotka. Er begrüßt die „neuen Perspektiven“, die sich durch Kurz eröffnen, und gibt ihm Recht, dass die letzten gewählten Parteischefs Faymann und Spindelegger waren, die 2013 bei der Wahl antraten. 2018 als reguläres Ende der Legislaturperiode ist kein geeignetes Wahljahr, weil Österreich dann die EU-Präsidentschaft innehat und wir 100 Jahre 1. Republik feiern. Kern ist für Sobotka ein Faktor der Instabilität, weil er dauernd die Positionen wechselt. „Ungarische Kollegen fragen mich schon: gilt das noch, was du sagst?“

Ein Beispiel für Kerns Wendigkeit ist das Thema Türkei – „zuerst ist Kern für Beitrittsverhandlungen, dann will er der Türkei den Sessel vor die Tür stellen, dann geht es ihm um Menschenrechte“ und so weiter. „Sebastian hat eine gradlinige Haltung, er sagt die unfreundlichen Dinge viel freundlicher und ruhiger als ich“, meint er selbstironisch. Nach außen wirkt das Naturell von Kurz besonner, aber er kann auch explodieren, verrät Sobotka den Anwesenden, der seit 20 Jahren den Part des „finsteren Typen“ übernimmt, dessen Aufgabe es ist „aufzuräumen“. Bei „wesentlich volatileren Wechselwählern“ ist es wichtig, den Menschen eine Perspektive anzubieten; „der bürgerliche Wähler sucht Orientierung“.  Politik muß ein Beispiel geben, auch wenn man heute mehr denn je in der Öffentlichkeit steht, denn „jeder macht ein Foto von dir am Handy“. Man müsse so handeln, dass es Vorbildcharakter hat, aber auch die Energie ausstrahlen, die notwendig ist, um den ganzen Laden zu schupfen. Vor Monaten hätte sich niemand in der ÖVP gedacht, dass ein Obmann Bedingungen formulieren kann.

Doch diese Funktion war in den letzten zehn Jahren auch kein Job, um den sich die Leute gerissen haben. „Alle haben sich enorm angestrengt, sind dann aber aus Verletztheit und aus persönlichen Gründen gegangen“, während es jetzt auch die Chance gibt, an die Spitze zu gelangen. Dafür sind aber Disziplin und Geschlossenheit erforderlich und man sollte sich kein Beispiel an Martin Schulz nehmen, der „alle als schlecht erklärt, die vor ihm da waren“ und nach einem ungeheuren Medienhype nun eine Niederlage nach der anderen einfährt. Hingegen hat sich Kurz in einer Regierungsfunktion „ein ungeheures Netzwerk erarbeitet“ und ist „sogar visionär“, wenn seine Vorstellungen „nicht dem allgemeinen Duktus entsprechen“. Positiv sind auch die Verbindungen von Kurz ins Silicon Valley, weil dies der Start Up-Szene nützt (übrigens in Zusammenarbeit mit Eveline Steinberger-Kern). Dass die ÖVP ihre Chance nicht verspielen darf, ist angesichts der zerlegten Democrazia Christiana in Italien oder den ebenfalls marginalisierten Schwesterparteien in Holland,  Spanien oder Dänemark klar. „Die Strukturen von Parteien ändern sich vollkommen, es gibt Oben gegen Unten oder verschiedene Ethnien.“

Was die Wahlen betrifft, so entscheiden manche erst in den letzten Tagen oder in der Wahlzelle; das bedeutet, dass „keine Hand ungeschüttelt bleiben darf“. Aber Vorsicht, denn „ohne Emotionen könnt ihr den Menschen eure Werte nicht vermitteln“. Ein wichtiger Faktor in der Auseinandersetzung könnte der Eurofighter-U-Ausschuss sein; Burgenland-Bezug hat er auf jeden Fall. Ein Userposting im „Standard“ stellt dazu interessante Überlegungen an: „Kurz ist nur Mittel zum Zweck und wird von Altpolitikern instrumentalisiert – meine These: Die Nationalratswahl ist Nebensache, es geht primär um den Eurofighter-Ankauf. Der Masterplan sieht vor, einem früheren Bundeskanzler mit allen Mitteln eine Einvernahme im U-Ausschuss zu ersparen. Hingegen soll ein späterer Verteidigungsminister unbedingt gerade noch aussagen müssen. Dafür braucht es a) der rechtzeitigen Auflösung der Regierungskoalition (mission completed)  b) eines zeitlich optimierten Neuwahlbeschlusses (in Schwebe) c) notfalls Verzögerungen und Behinderungen beim Eurofighter U-Ausschuss (bei Bedarf) Wahlvolk, sei wachsam!“

8 Kommentare zu „Wie Sebastian Kurz die ÖVP motiviert

      1. Sorry, mein Kommentar unten hat sich auf „Nato straft Österreich ab“ bezogen.

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      1. Alexandra, kann es sein, daß Du da was „interpretierst? Du bist doch auch Nato-Gegnerin.

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