Zur militärischen Dimension der EU

Generalleutnant Wolfgang Wosolobe ist Offizier des Bundesheers und Leiter des EU-Militärstabs. In dieser Eigenschaft war er am 16. Februar 2016 im Haus der EU in Wien zu Gast. Er erklärte die Struktur der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und hatte auch einige aktuelle Informationen parat, etwa zum Umgang der EU mit illegaler Masseneinwanderung.

Tatsächlich nannte er die Dinge beim Namen, statt wie viele andere permanent von Flüchtlingen oder „Schutzsuchenden“ zu sprechen und damit alle zu meinen, ohne Rücksicht auf internationales Recht, wie es in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegt ist. Während die NATO integrierte Kommandostrukturen hat, ist die EU auf die Beiträge der Armeen der Mitglieder angewiesen; es arbeiten rund 200 Personen für Wosolobe, der betont, dass alles mit den Mitgliedstaaten abgestimmt werden muss. Dies sei zwar langwierig, dafür stehen dann auch alle dahinter, erklärt er. Positiv sieht er das sicherheitspolitische Verständnis der EU-Außenbeauftragten Frederica Mogherini, die „immer auch die militärische Dimension mitdenkt“.

Militärische Führung ist aber nach wie vor Männersache, wie ein „Gruppenbild“ von Vertretern von EU und NATO zeigt. (1) In Österreich stagniert der Frauenanteil beim Bundesheer seit Jahren bei zwei bis drei Prozent, sodass der neue Minister Hans Peter Doskozil zu Recht Initiativen setzen will, um das Heer für Frauen attraktiver zu machen. (2) Liegt es vielleicht auch an der „Männersache“, dass eine einfache Lösung für alle nicht nur von Wosolobe angesprochenen Probleme tabu ist, nämlich die Trennung zwischen EU und NATO? 22 von 28 EU-Mitgliedern sind in der NATO, die selbst auch aus 28 Staaten besteht. Würde man von EU-Staaten verlangen, sich zwischen EU und NATO zu entscheiden, bleibe eine Rest-NATO übrig, die aus den USA, Kanada, Island (ohne Truppen), Norwegen, der Türkei und Albanien besteht. (3)

Von den USA unabhängig werden ist immer wieder Thema bei EU-Verteidigungsministertreffen, doch es fragt sich, wie konkrete Schritte gesetzt werden, solange die meisten Mitglieder in der von den USA dominierten NATO sind. (4) Auch sicherheitspolitisch kann die EU ganz anders agieren,  wenn man sich von offener und verdeckter US-Kriegsführung abgrenzen kann, statt von ihr in Mitleidenschaft gezogen zu werden und sich ständig mit Situationen zu befassen, die es ohne die Rolle der USA nicht gäbe. Wosolobe wird dies wohl bewusst sein, doch er verwendet transatlantische Diktion, wie wir sie aus Medienkommentaren zur Genüge kennen. Von wegen, dass „wir“ eigentlich selbst schuld seien und halt „mehr Verantwortung“ übernehmen müssten.

Es wirkt paradox, Wosolobe von Trainingsmissionen etwa in Somalia reden zu hören, die Staaten in die Lage versetzen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen, wenn zugleich Eigenverantwortung europäischer Staaten nicht erwünscht ist (und auch nicht durchgesetzt wird). Natürlich sind Missionen in Afrika – auch zur Bekämpfung der Piraterie – sinnvoll und dienen letztlich uns selbst (und dem Eindämmen der Ströme illegaler Einwanderer), aber ohne permanente Destabilisierung wäre auch das nicht notwendig. (5) Wosolobe spricht von einer „massiven Beschleunigung in unserem sicherheitspolitischen Umfeld“, für die er sich eigentlich bei denen bedanken müsste, mit denen wir „zusammenarbeiten“ müssen, weil wir uns angeblich nach dem Zweiten Weltkrieg  nicht mehr um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern können.

Im Publikum im Haus der EU werden wahrscheinlich auch nicht alle gewusst haben, dass die Dominanz  der NATO unter anderem damit zu tun hat, dass eigenständige europäische Initiativen sofort konterkariert wurden. Nachdem 1948 der Brüsseler Pakt als Beistandspakt gegründet wurde, entstand 1949 die  NATO, neben der dieser Pakt (später Westeuropäische Union genannt) nie „konkurrenzfähig“ war. Zwar wurde bis 1954 versucht, eine „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ mit eigener Armee und integrierten Kommandostrukturen zu errichten, doch ihr Vertrag scheiterte bei der Ratifizierung an der französischen Nationalversammlung. Frankreich wiederum bot Deutschland Zusammenarbeit  auf Augenhöhe statt US-Vasallentum an, doch die deutsche Politik lehnte dies ab, sehr zum Bedauern von Charles de Gaulle, der Frankreich schliesslich (nach Attentatsversuchen) aus den militärischen Strukturen der NATO zurückzog und auf eigene Verteidigungsfähigkeit setzte.

Die derzeitige sicherheitspolitische Lage ist für Wosolobe jedenfalls „eine massive Belastung besonders im Nachrichtenbereich“, wobei „mehrere strategische Operationen gleichzeitig“ am Laufen sind. (5) Man stimmt sich regelmässig mit der NATO ab, mit Ausnahme der Vertreter Zyperns, das kein Sicherheitsabkommen mit der NATO hat, sodass diese Personen dann den Saal verlassen müssen. „Operationen von höherer Intensität kann man nur unter Rückgriff auf die Führungsstrukturen der NATO durchführen“ ist die Überzeugung einiger, aber nicht aller auf EU-Ebene. Der Militärstab der EU soll Operationen besser unterstützen, die wegen der von der NATO verschiedenen Struktur stets eigene Kommandos sind, und so die Leiter dieser Operationen entlasten, sagt Wosolobe.

Besonders aufwändig sind maritime Missionen, da Schiffe Besatzungen von 200  Mann aufwärts haben. „Atalanta“ am Horn von Afrika geht mit mehreren Schiffen und Aufklärungsflugzeugen gegen Piraterie vor und hat diese praktisch auf Null reduziert. Wosolobe gibt aber zu bedenken, dass die „kriminellen Netzwerke“ sich eben stärker auf andere Bereiche verlagern, etwa auf Schlepperei. Um hier wirksamer vorgehen zu können, braucht man einen Ansprechpartner in Form einer libyschen Regierung, die jetzt gebildet werden soll. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik operiert nicht auf dem Territorium der EU, sondern außerhalb. Hingegen gibt es eine NATO-Mission in der Ägäis, weil das EU-Mitglied Griechenland und die Türkei Mitglieder der NATO sind.

Wosolobe ist für „die Eindämmung illegaler Migration“, weil weder die EU noch die einzelnen Mitgliedstaaten in der Lage sind, den bestehenden Andrang  zu bewältigen. Man könne natürlich geostrategisch „Ventile öffnen und schliessen“, meint er kryptisch zur Frage nach einer Steuerung auch via „NGOs“, die „Fluchthilfe“ leisten und bzw. in Ländern wie Deutschland und Österreich einen Diskurs durchsetzen, wonach Menschlichkeit keine Obergrenze kennen dürfe und Regierungen Gesetze zu brechen haben (was alle Schleusen öffnet). (6) Wichtige Operationen finden nach wie vor auf dem Balkan statt, wo Österreich bei EUFOR-ALTHEA der grösste Truppensteller und damit auch das Rückgrat der Mission ist. „Da Bosnien seit 15. Februar den Status eines EU-Beitrittskandidaten hat, meinen manche, der Einsatz sei nicht mehr notwendig; aber wegen der zunehmenden Islamisierung Bosniens sehen wir das anders“, sagt Wosolobe. Er betrachtet diese Mission als bedeutenden Beitrag zur Sicherheit Europas, der im Interesse auch anderer Staaten, nicht nur Österreichs liegt.

Das umfangreiche Engagement der EU in Afrika ist ebenfalls Sicherheitsinteressen geschuldet, wobei man bei Ausbildungsunterstützung etc. mit „strategic patience“ darauf vertrauen muss, dass sich Investitionen auch bezahlt machen, weil Staaten stabil werden, die zuvor von Chaos geprägt waren. So zeigt etwa die Unterstützung Malis, dass die Angehörigen der Streitkräfte „an Selbstbewusstsein gewinnen“, was ganz im Interesse der EU ist, da Armeen „Pfeiler eines funktionierenden Staatsgefüges sind“. Es machen dabei unterschiedliche Player mit: so trainiert in Somalia nicht nur die EU lokale Kräfte, sondern auch die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate. „Dies wird dann auch untereinander abgestimmt, auf der Ebene der Delegationschefs“, sagt Wosolobe.

Was Libyen betrifft, ist nicht auszuschliessen, dass es – sofern sich die politischen Verhältnisse nicht konsolidieren  – Aktionen der EU oder von einzelnen Staaten unter Artikel 51 der UN-Charta, also aus „Selbstverteidigung“ gibt. Denn die „multinationale Koalition, die Libyen bei der Staatsbildung unterstützt“, steht vor dem gleichen Problem wie die EU, die Schlepperrouten unterbinden will, da auch für sie alles blockiert ist. Wenn wir wissen, von wem die Destabilisierung Liybens ausgegangen ist, haben wir hier aber schon wieder ein Problem, das es ohne die Rolle der USA nicht gäbe, zumal es ja Gaddafi war, der Migrationsströme unterbunden hat.

Heuer arbeitet die EU eine „globale Strategie“ zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aus, die sich mit einem Gebiet von Mauretanien über den Sahel bis nach Zentralasien befasst. Es geht um „Mitverantwortung“ (nicht: Verantwortung) für „die territoriale Verteidigung unserer Staaten“, sagt Wosolobe, ohne auf den in seiner Aussage enthaltenen Widerspruch einzugehen. Denn solange Staaten nicht schlicht „Verantwortung“ für sich selbst tragen, haben sie nicht wirklich die Gebietshoheit über ihr eigenes Territorium. Daher ist, wie eingangs erwähnt, der erste Schritt der Territorialverteidigung die Trennung zwischen EU und NATO, auch um das von der NATO ausgehende Bedrohungspotenzial zu minimieren. (7)

Wosolobe unterstreicht immer wieder, dass Migration „eingedämmt“ werden muss, was auch bedeutet, „der Jugend in Afrika Perspektiven zu bieten“. Um den „Migrationsdruck“ zu reduzieren, muss man staatliche Stabilität fördern, was auch mit militärischen Mitteln geschieht, womit die EU keine Militärinterventionen meint. Die deutsche Politik scheint hier umzudenken, da man neuerdings „in Bataillonsstärke in Afrika vertreten ist“. Was Einwanderung betrifft, stellt Wosolobe klar, dass wir „korrekt“ reagieren sollen, was tatsächliche  Flüchtlinge betrifft; jene Massen, die in Bewegung gesetzt werden, sind aber „so nicht mehr beherrschbar“, nämlich indem alle in die EU gelassen werden.

(1) http://www.nato.int/cps/en/natolive/news_106692.htm?selectedLocale=en
(2) siehe Bericht von seiner ersten Pressekonferenz: https://alexandrabader.wordpress.com/2016/02/01/die-spoe-burgenland-und-die-bundespolitik/
(3) http://www.nato.int/cps/en/natolive/nato_countries.htm
(4) http://derstandard.at/2000030541866/Doskozil-Oesterreich-kann-sich-nicht-nur-selektiv-beteiligen
(5) https://en.wikipedia.org/wiki/Military_operations_of_the_European_Union und http://www.eeas.europa.eu/csdp/structures-instruments-agencies/eu-military-staff/
(6) https://alexandrabader.wordpress.com/2016/02/13/zivilgesellschaft-im-widerstand-gegen-den-staat/
(7) hier der ehemalige kanadische Botschafter u.a. in Jugoslawien James Bisset zur NATO als Angriffs- statt Verteidigungsbündnis: http://ottawacitizen.com/news/national/defence-watch/nato-at-the-heart-of-a-new-cold-war-says-former-ambassador und siehe auch: https://alexandrabader.wordpress.com/2016/02/03/eine-hercules-aufgabe-fuer-den-verteidigungsminister

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