In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?

Nur beim Job des Bundespräsidenten erwartet man, dass es eine als „First Lady“ fungierende Ehefrau gibt. Dass Alexander Van der Bellen von den Grünen am Wochenende seine Freundin geheiratet hat, wird nun als „erstes wirkliches Indiz“ dafür gehandelt, dass Van der Bellen bei der Wahl antritt. UserInnenkommentare in den Foren der Medien mit allen möglichen Unterstellungen gegen Ehefrau Doris Schmidauer werfen die Frage auf, in welchem Jahrhundert wir eigentlich leben.

Van der Bellen, der politisch in letzter Zeit kaum in Erscheinung getreten ist, kann es durchaus recht sein, dass er jetzt mit unerwarteten Neuigkeiten Schlagzeilen macht. Prompt steigen Medien darauf ein: „Am Montag gab es das erste wirkliche Indiz für die Bundespräsidentschaftskandidatur von Alexander Van der Bellen (demnächst 72). Der KURIER berichtete, dass der grüne Professor privat für klare Verhältnisse gesorgt hat. Im Herbst ließ er sich von seiner ersten Ehefrau einvernehmlich scheiden. Vor Kurzem ehelichte er seine Lebensgefährtin Doris Schmidauer (52), Geschäftsführerin im grünen Parlamentsklub.“ (1)

So berichtet der „Kurier“ in seiner aktuellen Ausgabe, dem man offenbar gesteckt hat, dass Van der Bellen und Schmidauer am Wochenende geheiratet haben, und der im Klub nachfragte. Es erinnert an das Tauziehen um van der Bellens Antreten bei der Wahl 1994, dass jetzt wieder Peter Pilz die Bühne betritt und anstelle des Kandidaten in spe dessen Antreten zusagt. „Er ist ein ruhiger, intelligenter, weltoffener Mensch, der aus diesem Amt wirklich etwas Gutes machen kann“, streut Pilz seinem Freund Rosen. 1994 spielte Pilz dem „profil“ die Information zu, dass Van der Bellen fürs Parlament kandidieren wolle, was diesen unter Zugzwang brachte.

„Bundespräsident: Hofer kandidiert nicht, Van der Bellen heiratete“ ist der Titel, den die „Tiroler Tageszeitung“ ihrem Bericht gibt. (2) Norbert Hofer ist burgenländischer FPÖ-Politiker und Dritter Nationalratspräsident, fühlt sich aber mit 44 zu jung für das Amt des Bundespräsidenten. Das Thema eignet sich auch für Geschichten darüber, wer welches hohe Amt schon mit oder ohne Ehering innegehabt hat. (3) Beim „Standard“ wird in mehr als 400 Postings – in einer Zeit, in der innenpolitisch wenig los ist – über van der Bellens zweite Ehe diskutiert. (4) Dabei fällt auf, dass viele UserInnen sofort Klischees parat haben, ohne die näheren Umstände zu kennen. So wird geflissentlich überlesen, dass nicht nur der „Standard“ Doris Schmidauer als Geschäftsführerin des grünen Parlamentsklubs bezeichnet. Dies ordnen einige aber ein unter „aha, Mann fängt etwas mit seiner Sekretärin an, die natürlich viel jünger ist“.

Schmidauer war jedoch lange Referentin im Klub und ist jetzt zuständig für  Personalführung und Klubmanagement, was eher weniger nach inhaltlicher Tätigkeit klingt. (5) UserInnen haben geschwind eine Meldung in der „Presse“ im Jahr 2006 gefunden, in der Schmidauer zu jenen Menschen gezählt wird, mit denen sich van der Bellen berät. (6) Der ehemalige Tiroler Landtagsabgeordnete Franz Klug beschwert sich in einem Userkommentar beim „Standard“ über „die Scheinheiligkeit der Postinggemeinde und der Medien“: „Was hätten denn slle die hier nun herumkritteln gepostet, wenn vdB nichts gemacht und so wie bisher von seiner 1. Frau getrennt und schon seit Jahen mit Doris lebend weitergemacht hätte? Die hätten gepostet unmöglich, typisch grün gschlampertes Verhältnis, geht gar nicht, unwählbar dieser Kettenraucher etc. etc. Jetzt hat VdB sein Privatleben was eigentlich eh niemand etwas angeht, was aber in der Seitenblickegesellschaft leider mehr interessant ist als politische Aussagen aus spießbürgerlicher Sicht in Ordnung gebracht und schon wieder passts nicht. Mir wärs wurscht gewesen wenn, Vdb weiterhin verheiratet und trotzdem mit Doris zusammenlebend BP gewesen wäre, aber wahrscheinlich hätten das die Medien und viele Poster nicht ausgehalten.“

Wenn all jene, die es schon mal ähnlich gemacht haben, Van der Bellen wählen würden, wäre sein Ergebnis sicher beachtlich. Und wenn auch noch die Menschen  dazu kommen, die ohne Scheidung getrennt leben und es dabei belassen werden trotz oder wegen neuer Beziehung, hat er den Wahlsieg praktisch in der Tasche. Nicht vergessen werden darf, dass Van der Bellen ja nicht Thomas Klestil ist, der auf heile Familie machte im Wahlkampf, damit aber die Menschen täuschte. Doch wenn man sich einige Reaktionen auf Schmidauer ansieht, fühlt man sich daran erinnert, wie die berufliche Kompetenz von Margot Löffler negiert wurde. Aus Van der Bellens Wikipedia-Eintrag geht interessanterweise nichts Privates hervor, (7) Infos über Birgit van der Bellen findet man aber im Netz. So beschreibt sie die „Presse“ zur Wahl 2008 als ehemalige Volksschullehrerin, die in der politischen Karriere ihres Mannes kaum öffentlich aufgetreten ist. (8)

Sicher spiegeln sich in Postings auch individuelle Erfahrungen wider; so bezeichnen manche Van der Bellen als „Ehebrecher“ und bezweifeln, dass die Scheidung von seiner ersten Frau wirklich „einvernehmlich“ war und sie auch weiterhin befreundet sind. Für manche zeigt es, wie spießig auch die Grünen geworden sind, wenn Van der Bellen, einer Kandidatur wegen, seine Beziehung legitimiert. Besonders krass sind aber diverse Unterstellungen in Richtung Doris Schmidauer, die negieren, dass sie schon sehr lange im grünen Klub arbeitet, also einen eigenen Job und Qualifikationen aufweisen kann, ergo keinen älteren Mann als „Versorger“ braucht. Da müssten eigentlich viele Frauen solidarisch sein, weil es ja jeder, die mehr erreichen will, schon passiert ist, dass Kompetenz bei Frauen ignoriert oder gar bekämpft wird. Einfach, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – dass sich eine Frau in eine berufliche Tätigkeit hineinkniet und dass sie Politik mitgestalten will.

Als ich bei den Grünen war, befand sich Schmidauer gewissermaßen auf der anderen Seite, weil Personen aus der Partei kaum Chancen auf eine Beschäftigung in der Partei hatten – besser, kritische Leute powerten sich in ehrenamtlichem Engagement aus, damit man die Grünen Schritt für Schritt umfunktionieren kann. Ich war aber dann Referentin in Wien vor dem EU-Beitritt und sollte für die Wiener Grünen etwas aus den Unterlagen machen, die Schmidauer und Co. eben nicht bereitstellten. Jene leeren Regale, die ich mit Material füllen sollte, wären leer geblieben, wäre es nach Schmidauer und ihren KollegInnen gegangen. Ich recherchierte aber selbst, und dies am liebsten zu Sicherheitspolitik und der militärischen Entwicklung in der EU, da diese laut Maastricht-Vertrag europäischer Pfeiler der NATO werden sollte, was den Betritt zum No-Go für einen neutralen Staat werden ließ. Freilich wurde ich als nicht NATO-kompatible (echte) Grüne schliesslich gemobbt, doch ich habe bei den Grünen zu den Themen gefunden, die mich am meisten interessieren.

Aber wie manche Reaktionen auf Frau Schmidauer, die jetzt erstmals ins Rampenlicht rückt, sehr klischeehaft ablaufen und an den Umgang mit Margot Klestil-Löffler oder auch Benita Ferrero-Waldner erinnern, erlebte auch ich diskriminierendes Verhalten wegen meines Engagements später wieder. Wäre ich ein Mann und keine Frau, würden etwa die Vertreter wehrpolitischer Vereine sich viel leichter damit tun, dass ich den Zustand des Bundesheers als Folge der Zustände im Verteidigungsministeriums klar analysiere. Und dass ich keine emotionalen, von medial kreierten Bildern geprägten Bewertungen der letzten beiden Minister Norbert Darabos und Gerald Klug gelten lasse, sondern die Herren dazu auffordere, eine Lagebeurteilung vorzunehmen. Dieser zufolge ist es unwahrscheinlich, dass ein intelligenter und als guter Stratege geltender Politiker wie Darabos sich freiwillig abschotten lässt, sodass von Druck auszugehen ist, dessen Urheber man rasch identifiziert, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Darabos NATO-kritisch ist. Auch die Tatsache, dass Klug schlicht keine Ahnung vom Ressort hat, wirft die Frage auf, wer ihn dann in eine Funktion setzt, der er in keiner Weise gewachsen sein kann.

Für viele ist nach wie vor denkunmöglich, dass sich eine Frau mit Sicherheitspolitik, Militär und Geheimdiensten befasst; und auch, dass eine Frau kompetente Beraterin von Politikern sein kann, wie es bei Doris Schmidauer offenbar der Fall ist. Wer Klischees verinnerlicht hat, führt gerne eine Menge an Einwänden an, um sich nicht der Frage zu stellen, ob er bei einem Mann auch so urteilen würde. Bei einer Frau darf aber nur das kritisiert werden, was auch bei einem Mann unangemessen erscheint oder wo sofort Zweifel an den nach außen genannten Motiven aufkommen. Da aller Wahrscheinlichkeit nach drei Männer und eine Frau bei der Bundespräsidentenwahl kandidieren, wird es genügend Gelegenheit geben, auf Genderaspekte zu achten  – und dies gilt auch für die „First Ladies“ bzw. den „First Husband“ (von Irmgard Griss) in spe. Und selbstverständlich gilt gleiches Recht für alle, die sich für ein Amt bewerben, was den Umgang mit ihrem Privatleben betrifft bzw. dass bei all jenen PolitikerInnen, die nicht vorhaben, BundespräsidentIn zu werden, die private Seite auch tatsächlich irrelevant ist, wie Medien jetzt beteuern. (9)

(1) http://kurier.at/politik/inland/hofburg-weggefaehrte-pilz-ist-sich-sicher-dass-van-der-bellen-antritt/172.183 und vorher http://kurier.at/politik/inland/van-der-bellen-hat-geheiratet-vorbereitung-fuer-die-hofburg/172.004.830 – ich gehe hier auch darauf ein: alexandrabader.wordpress.com/2015/12/28/regierung-umbildung-aber-kein-ruecktritt/
(2) https://www.tt.com/politik/10937516-91/bundespr%C3%A4sident-hofer-kandidiert-nicht-van-der-bellen-heiratete.csp
(3) http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4895742/Staatsraeson_Auch-ohne-Ehering-in-die-Hofburg?_vl_backlink=/home/politik/innenpolitik/index.do
(4) http://derstandard.at/2000028190926/Van-der-Bellen-hat-wieder-geheiratet
(5) https://www.gruene.at/partei/organisation/parlamentsklub/klubgeschaeftsfuehrung
(6) http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/nrwahl/87253/Grune_Ein-Professor-der-Widerspruch-einfordert
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Van_der_Bellen
(8) http://diepresse.com/home/leben/mensch/418183/Die-neue-Frau-Kanzler
(9) http://kurier.at/politik/inland/van-der-bellen-hat-geheiratet-vorbereitung-fuer-die-hofburg/172.004.830

4 Kommentare zu „In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?

  1. Brigitte Van der Bellen
    Ohne das Privatleben des Herrn van der Bellen näher kommentieren zu wollen, war ich einigermassen erstaunt, dass der „in Freundschaft geschiedene“ Herr plötzlich vom Tod seiner ersten geschiedenen Frau so betroffen war und Staatsverpflichtungen absagen musste. Aber vielleicht war es gar nicht deshalb, sondern wegen der tiefe Trauer um seinen Schwiegervater, dessen (nahezu gleichaltriger) Schwiegersohn er seit etwa 1,5a ist. Alles in allem war es schon bemerkenswert: Frau Brigitte van der Bellen wurde anlässlich des Berichts über ihr Ableben häufig in den Medien gar nicht mit ihrem Namen, sondern als „Van der Bellens erste Frau“ oder „Van der Bellens Exfrau“ erwähnt. Auffällig ist auch, dass seit dem Auftreten von Frau Schmidauer nahezu alle Einträge zu Brigitte van der Bellen verschwunden sind. Auffällig ist auch, dass das Ableben des Vater von Frau Schmidauer, ständig mit breitem Kampflächeln um den rotgemalten Mund, am Arm des endlich gefundenen Gemahls hängend, sofort und in einem Atemzug mit dem Tod von Frau Brigitte van der Bellen genannt wurde. Als würde Frau van der Bellen nicht einmal beim Tod die Exklusivität in der Berichterstattung „gegönnt“ werden. Es würde mich überhaupt interessieren, wie oft die Präsidentschaftskanzlei und in der Folge Medien Nachricht über das Ableben von Schwiegervätern amtierender Bundespräsidenten herausgegeben haben und für deren „tiefe Trauer“ allgemeines Verständnis eingefordert wurde. Persönlich kenne ich die Familie nicht, in jedem Fall erscheint / erschien mir aber Frau Brigitte van der Bellen als sympathische, zurückhaltende, authentische, kluge, gut aussehende und vor allen Dingen unaufdringliche Dame. Sie wäre bei offiziellen Auftritten an der Seite eines Bundespräsidenten sicherlich eine gute Erscheinung gewesen. Schade, dass es nie dazu kam. Schade, dass sie sicherlich viel einstecken musste, wenn sie nach mehr als 50 Jahren Ehe zu einer Scheidung kommt und der Ex-Ehemann gleich darauf eine wesentlich jüngere Fau heiratet, die er sicherlich nicht erst ein paar Wochen „kannte“.

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    1. Ich kenne die Motive von Frau Schmidauer nicht, hatte natürlich gewisse Eindrücke von ihr, als ich selbst in den Grünen war.

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