Chaos an der Grenze und Chaos in den Köpfen

Wenn per Gerüchteküche behauptet wird, es habe Übergriffe von Flüchtlingen auf die Bevölkerung an der steirischen Grenze gegeben, dient das dem Chaos in den Köpfen der Menschen. Denn so wird die nur mehr virtuell vorhandene „Willkommenskultur“ neu entfacht, wobei sie sich in Presseaussendungen wie einer von SOS Mitmensch abspielt, da die Organisation die „Kronen Zeitung“ wegen ihrer Berichterstattung angezeigt hat.

In diesem Fall scheint SOS Mitmensch richtig zu liegen, hat jedoch mit Pressefreiheit und Menschenrechten nur sehr selektiv etwas am Hut, auch wenn man verbal anderes beteuert. (1) Ein ehemaliger Bundesheer-Truppenkommandant, der seit Tagen freiwillig vor Ort hilft, sieht in diesen Gerüchten eine klare Funktion: Sie sollen ebenso Angst machen wie Widerstand gegen diese Einschätzung der „refugees“ hervorrufen und so davon ablenken, die Lage rational zu beurteilen. Was jene Menschenmassen betrifft, die über die Grenze dringen, hat die Polizei Gesetze außer Kraft gesetzt, die nur die Bundesregierung per Beschluss aussetzen könnte, nämlich das Grenzkontrollgesetz und eine Bestimmung im Sicherheitspolizeigesetz betreffend Zwangsgewalt.

Weil in Österreich (siehe auch Staatsvertrag) alle Personen auf unserem Hoheitsgebiet gleich behandelt werden müssen, sollte es eigentlich dadurch nicht mehr möglich sein, Einheimische z.B. nach einem Raubüberfall festzunehmen, weil ja keine Zwangsgewalt mehr angewendet werden darf. Es ist verständlich, dass ein illegales außer Kraft setzen von Gesetzen, das uns in unseren Rechten auf  Schutz verletzt, Protest hervorruft, der sich etwa in einer Kundgebung aufgebrachter BürgerInnen vor Ort artikulierte. Denn es ist legitim, sich unwohl zu fühlen und empört zu sein, wenn aufgrund chaotischer Zustände Menschen, die illegal über die Grenze strömen, in den Gärten der Bevölkerung ihre Notdurft verrichten und in Häuser gehen, Geräte abstecken und ihre Handys aufladen. Schliesslich können  sie sich nicht mit der Wohnbevölkerung verständigen, und Koordination fehlt weitgehend.

„Zwar hat das Jägerbataillon 17 des Bundesheers die Kommandogewalt vor Ort übernommen, aber die Polizei setzt eigenmächtig Gesetze außer Kraft“, sagt der ehemalige Kommandant. Zudem erinnert die Situation an jene, die wochenlang von der Bevölkerung im burgenländischen Nickelsdorf ertragen wurden; dort fühlte man sich – wie im steirischen Spielfeld – von der Bundesregierung im Stich gelassen, lobt aber die Landesregierung (die jedoch weder Polizei noch Bundesheer einsetzen kann). Da sich beim besten Willen niemand mehr für „refugees welcome“-Hype abseits von Presseaussendungen in fernen behaglichen Wiener Büros findet, fahren Medien ihre (NATO-konforme) Berichterstattung auch etwas zurück. Zugleich betonen sie aber das scheinbar Unausweichliche weiterer Massen, die sich durch unser Land wälzen, wie man an „Österreich“ vom 27.10. gut erkennen kann.

Hier ist von 130.000 Personen die Rede, die  in den nächsten Tagen kommen, und Ansprachen von Politikern zum Nationalfeiertag werden so zitiert, dass Bezugnahme auf das Flüchtlingsproblem unter dem Aspekt „Menschlichkeit“ deutlich wird. Dabei fühlen sich gerade die Soldatinnen und Soldaten von Bundespräsident und Bundesregierung im Stich gelassen, und dies in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird das Heer kaputtgespart, zum anderen scheint der politischen Führung jeder militärische Sachverstand abzugehen und man weigert sich, die Armee gemäss ihren verfassungsmässigen Aufgaben (Schutz der Souveränität und territorialen Integrität Österreichs) einzusetzen. (2)

Vielen mag der Kameradschaftsbund antiquiert vorkommen, er ist aber nach wie vor eine große Organisation mit mehreren hunderttausend Mitgliedern. Der steirische Landesverband verlangt nun „die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates und den Einsatz des Bundesheeres nach § 2 Absatz 4a des Wehrgesetzes in Leibnitz und Feldbach. Oder die Bezirke müssen zum Katastrophengebiet erklärt werden“, heisst es in einer Aussendung. (3) Da nicht zu erwarten ist, dass der Zustrom an Menschen abreißt, muss man bedenken, dass sie „untersucht, erstversorgt, untergebracht und weitertransportiert werden“ müssen. „Obwohl die Ereignisse seit längerer Zeit absehbar waren, ist es zu chaotischen Zuständen gekommen. Die Politik gibt sich überrascht, Behörden sowie Einsatzorganisationen wirken überfordert. Es fehlt die einheitliche Leitung. Im Hinblick auf die zu erwartenden Flüchtlingsströme droht das völlige Chaos, nur abwendbar durch eine einheitliche Leitung des Einsatzes, ist sich der ÖKB sicher. Eine gesetzliche Grundlage hierfür bietet der § 2 Absatz 4a des Wehrgesetzes, nach dem nach einem Auftrag der Bundesregierung das Bundesheer die Leitung übernehmen kann. Das Militär müsste dann auch die Polizei-, Rettungs-und Feuerwehreinsätze anordnen sowie die Untersuchung, Registrierung und den Weitertransport der Flüchtlinge regeln.“

Der erwähnte Truppenkommandant gehört auch zu jenen, die eine Leitung des Einsatzes durch das Bundesheer befürworten, weil man nur dort lernt, verschiedene Akteure effizient zu koordinieren. Da die Bundesregierung bislang – siehe Nickelsdorf – säumig war, weist der ÖKB darauf hin, dass die Landesregierung  gemäß § 4 des Steiermärkischen Katastrophenschutzgesetzes aktiv werden und selbst Bezirke Leibnitz und Feldbach zum Katastrophengebiet erklären  kann: „Damit könnte die Steiermärkische Landesregierung die Einsatzleitung übernehmen.“ Dass Absperrungen überrannt wurden und so die staatliche Autorität außer Kraft gesetzt wurde, bereitet zudem immer mehr Menschen große Sorgen.

Was die Beschaffenheit der „staatlichen Autorität“ betrifft, ist übrigens wiederholt zu beobachten, dass Minister Josef Ostermayer an Stelle von Bundeskanzler Werner Faymann spricht, ihn interpretiert und erklärt. Es sollte ja kein Problem sein, dass sich der Kanzler selbst mit ein paar Worten an die Öffentlichkeit wendet, zumal Österreich nicht die Funktion von Regierungssprechern wie in Deutschland hat, wo sie regelmässig Bundespressekonferenzen bestreiten. Faymann a la Ostermayer klingt dann so: „‚Bundeskanzler Werner Faymann ist in engstem Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel‘, erklärt Kanzleramtsminister und Regierungskoordinator Josef Ostermayer. Erst am Sonntag beim Sondertreffen in Brüssel haben die beiden Regierungschefs wieder ausführlich über die gemeinsame Vorgangsweise gesprochen. ‚Auch auf Koordinatorenebene bin ich in Abstimmung mit dem deutschen Kanzleramtsminister Peter Altmeier‘, so Ostermayer.“ (4)

Was dieser „engste Kontakt“ in der Praxis bewirkt, zeigt die Situation etwa im bayrischen Wegscheid: „Mir fehlen die Worte. Ich habe so einen Hals. Die Österreicher wissen ganz genau, dass wir solche Massen nicht managen können, trotzdem werden wir bis zum Geht-nicht-mehr angefüllt“, wird Bürgermeister Josef Lamperstorfer zitiert. (5) Klagen österreichischer Bürgermeister klingen ähnlich, wobei sie ja auch unter fehlgeleiteter deutscher Politik leiden. Man sollte in Bayern wissen, dass nicht Österreich Flüchtlingswellen in Gang gesetzt haben; umso mehr, als dass Bundesheer und Bundeswehr sich bereits vor vier Jahren gemeinsam bei einem Seminar mit der Bewältigung eines derartigen Massenzustroms befasst haben. Angst, dass Soldaten einen effektiven Schutz der Grenzen und des Staatsgebietes gar nicht mehr bewältigen können, haben viele Menschen in beiden Staaten. (6)

Dabei sind viele Männer militärisch ausgebildet, wobei man sie in Österreich im Rahmen der Miliz erfasst hat; diese sollte nicht von ungefähr abgeschafft werden, als versucht wurde, ein reines Berufsheer einzuführen. Es sind besonders Angehörige von Polizei und Militär, die auch in ihrer Freizeit oder im Ruhestand die Lage analysieren und beobachten und oft in klaren Worten mahnen, wo sie Öffentlichkeit finden. Hier hat man nämlich einen breiteren Focus als jene kurzfristige, stark emotional gefärbte Perspektive, die „refugees welcome“-RuferInnen an den Tag legen. Man weiss sehr wohl um Sicherheitsrisiken, Gefahrenpotenziale, notwendigen Souveränitätsschutz und um vorprogrammierte Konflikte zwischen gegeneinander ausgespielter Bevölkerung, zwischen dieser und den Neuzuwanderern und von diesen untereinander. (7)

Die FPÖ hat übrigens vor, die Bundesregierung anzuzeigen, weil diese verabsäumt hat, die Staatsgrenzen zu sichern: „Die konkreten Anzeigen seien noch im Prüfungsstadium, doch ins Blaue gesprochen fallen den FPÖ-Vertretern viele potenzielle Delikte ein. Indem die EU ‚alle Schleusen‘ für die ‚illegale Masseneinwanderung‘ geöffnet habe, werde europäisches Recht ‚mit Füßen getreten‘, argumentiert Strache: Die Regierung mache sich dabei schuldig, indem sie ihre Pflicht verabsäume, wenigstens die nationalen Grenzen zu schützen. Wer dann die ohne Registrierung eingereisten Menschen weiter chauffiere, erfülle den Tatbestand der Schlepperei, ergänzt Norbert Hofer, FPÖ-Vizechef und dritter Nationalratspräsident. Auch Generalsekretär Herbert Kickl fallen noch ein paar Vergehen ein – beispielsweise Untreue und Amtsmissbrauch, wenn die ÖBB ihre Züge für den Flüchtlingstransport zu Verfügung stellt.“ (8)

Wären jetzt Neuwahlen, würde die FPÖ rund 10% vor der Kanzlerpartei SPÖ liegen. Wie die Bundesregierung die Flüchtlings-/Migrationswelle handhabt, nämlich gar nicht in der Wahrnehmung vieler Menschen, wird diesen Trend sicher nicht umkehren, sondern eher noch verstärken. Wie in Krisenzeiten gewählt wird, hat gerade Polen unter Beweis gestellt, wo jene gewonnen haben, die gegen den von Merkel und Co. verlangten Kurs auftreten.

(1) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151027_OTS0054/sos-mitmensch-sachverhaltsdarstellung-an-staatsanwaltschaft-wegen-krone-kommentar
(2) https://alexandrabader.wordpress.com/2015/10/26/nationalfeiertags-nachlese/ – klischeehaft hingegen der Mainstream: http://derstandard.at/2000024520133/Die-Nation-ihre-Neutralitaet-und-1360-mal-Soldatenglueck?ref=rec
(3) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151027_OTS0058/schnelles-handel-ist-gefragt – zur Lage siehe auch https://alexandrabader.wordpress.com/2015/10/25/das-bundesheer-und-die-fluechtlingskrise/
(4) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151027_OTS0050/bundesminister-ostermayer-engste-abstimmung-zwischen-oesterreich-und-deutschland
(5) http://www.br.de/nachrichten/niederbayern/inhalt/wegscheid-grenzuebergang-chaos-fluechtlinge-100.html – es gibt auch die Vermutung, dass Österreich Migranten nach Deutschland schmuggle: http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/markus-gaertner/schmuggelt-oesterreich-migranten-nach-deutschland-.html;jsessionid=CF76691FB81153CE963FD62A555E2E46
(6) http://www.pi-news.net/2015/10/p488246/#more-488246 Wo bleibt die Bundeswehr?
(7) http://www.danisch.de/blog/2015/10/25/wer-hat-schuld-an-der-radikalisierung/
(8) http://derstandard.at/2000024570494/Fluechtlingskrise-FPOe-will-Regierung-anzeigen – zur Kontroverse um die ÖBB siehe http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151022_OTS0088/fpoe-deimek-oebb-muessen-bahnreisende-entschaedigen und
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151021_OTS0140/wehsely-oebb-steht-fuer-hilfe-menschlichkeit-und-qualitaet-westbahn-fuer-profit – bezeichnend, dass die Partnerin von SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, die Wiener Stadträtin Sonja Wehsely, die Politik der ÖBB verteidigt und wie sie dies tut

5 Kommentare zu „Chaos an der Grenze und Chaos in den Köpfen

  1. Der allgemeine Rechtsbruch, der Rechtsbankrott, der nicht nur in Österreich herrscht, zeigt, wie nah wir mittlerweile am Abgrund stehen. Wenn die Durchsetzung des Rechts zu einer Kann-Regelung wird, also in das alleinige Ermessen der Exekutive gestellt wird, dann würde ich dies als Staatsstreich bezeichnen. Da die Regierung daran beteiligt ist, braucht es hierfür auch nicht mehr die Erstürmung eines Präsidentenpalastes oder die Besetzung eines Parlaments. Der Staatsstreich erfolgt von „Oben“ herab im Wege der Dienstanweisung ohne großes Aufsehen. Die nächsten Monate werden entscheiden, wohin das Ganze läuft, denn ich glaube nicht, daß sich die Akteure darüber im Klaren sind, was sie dort anrichten. Eine unkontrollierte Eruption der Gewalt und der Verlust der Kontrolle könnten eine Konsequenz der derzeitigen Entwicklung sein.
    Für mich hat diese mögliche Entwicklung ihren Schrecken verloren, denn so kann es nicht mehr weiter gehen. „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“.

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    1. Die Akteure, sofern dieser Ausdruck überhaupt richtig in der Anwendung ist, sind sich nicht im Klaren was sie anrichten. Das Schlimme ist, sie wollen es auch nicht wissen.

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